Ist es Zufall, dass sich knapp vier Wochen vor der Bundestagswahl die Negativ-Meldungen über den geplanten Endlager-Standort Gorleben häufen? Doch selbst wenn tatsächliche das Ende des Standorts Gorleben nahen sollte – die Freude könnte nur verhalten sein: platzt Gorleben, muss die Endlagersuche von vorn beginnen – während in still gelegten Reaktoren massenhaft strahlender Müll lauert.
Sollte tatsächlich eine Partei annehmen, dass sie die Endlagerfrage zum Wahlkampfthema machen kann, so sollte sie nicht vergessen, dass sich über fünfzig Jahre hinweg inzwischen verschiedenste Bundesregierungen an diesem Thema erfolglos versucht haben. Fast so lange wie die Bundesrepublik alt ist, beschäftigen sich Wissenschaftler und Politiker mit der Endlagerung radioaktiver Abfälle. Das Ergebnis ist ein wahres Armutszeugnis für eine angebliche High-Tech-Nation: über fünfzig Jahre nach dem Einstieg in die Nutzung der Kernenergie ist die Endlagerfrage für hoch radioaktiv strahlenden Müll aus fast 20 laufenden Atomkraft-Anlagen immer noch nicht geklärt. Allein im bereits 1989 still gelegten Reaktor Hamm-Uentrop warten ca. 6000 m³ strahlendes Material auf ihre Entsorgung – rund 2000 m³ Brennelemente wurden schon vor Jahren ausgebaut und im Zwischenlager Ahaus eingelagert. Solange die Endlagerfrage nicht geklärt ist, kann der Reaktor nicht abgebaut werden. Also rostet er seit 20 Jahren unter permanenter Überwachung still vor sich hin. Dabei lief dieser Reaktor ganze 400 Tage (!). Dann wurde er wegen permanenter Pannen abgeschaltet. Wer sich für die Pleiten-Pech und Pannen-Geschichte des THTR Hamm-Uentrop interessiert, dem sei die Internetseite der Bürgerinitiative empfohlen.
Schwach- und mittelradioaktiver Müll aus dem seit einigen Jahren im Abriss befindlichen AKW Greifswald ist im Morslebener Schacht gelandet – der 1998 für die weitere Atommüll-Einlagerung gesperrt wurde, weil er inzwischen als stark einsturzgefährdet gilt. Seitdem wird in Morsleben aufwändig stabilisiert. Man schätzt die Kosten der Sanierung auf 2,2 Mrd. Euro.
Der Druck steigt
Wie unglaubwürdig die zuständigen Behörden mit dem Problem der Endlagerung umgehen, zeigt der Fall Hamm-Uentrop: Den Betreibern des maroden Hochtemperatur-Reaktors ist nach Medienberichten schon 1996 versprochen worden, dass bis 2009 ein Endlager zur Verfügung steht. Nun wird über einen Zeitraum „2010 – 2017“ verhandelt. Zur Erinnerung: bereits Anfang der 60er Jahre ging man davon aus, dass bis 1966 ein Endlager zur Verfügung steht.
Und in den nächsten Jahren sollen noch mehr Atomkraftwerke vom Netz gehen: Neckarwestheim (2010), Biblis A (2010), Biblis B (2010/11), Brunsbüttel (2011), Isar I (2011/2012), Philippsburg 1 (2012/13 usw. usw. Bis zum Jahre 2021 sollen alle 17 noch betriebenen AKW vom Netz gehen. Also gerade einmal 10 Jahre Zeit, bevor x-tausend Tonnen radioaktiver Müll auf ihre Entsorgung warten – nicht gerechnet der laufend anfallende Müll aus dem Betrieb der Reaktoren.
Der Druck, endlich ein Endlager anzubieten, ist also enorm. Selbst wenn es bei Gorleben bleiben sollte, muss Deutschland wohl für mindestens 20 Jahre mit Dutzenden improvisierter Zwischenlager in den dann abgeschalteten Reaktoren leben.
Gorleben droht zu platzen
Doch nun droht der Bundesregierung ihr lang gehegter Traum, in Gorleben ein Endlager für hoch radioaktiven Müll gefunden zu haben, endgültig zu platzen.
- ein neues Gutachten
Im Auftrag der Linke im Landtag, hat der Kieler Diplom-Geologe Ulrich Schneider letzte Woche eine Studie vorgelegt, worin er die neusten Erkenntnisse über das Lagermedium Salz beschreibt, und wie es sich verhält, wenn es mit stark Wärme entwickelndem Atommüll in Kontakt kommt. Gleich zu Beginn der Vorstellung seiner Studie stellte Schneider klar: "Es gibt keine Langzeitsicherheit für das Endlager Gorleben". Man könne sich das Deckgebirge über dem Salzstock wie einen hohlen Zahn vorstellen. Wie Karies dringe das Wasser in die abwärtsführenden Kalisalzschichten ein, die das Steinsalz des geplanten Endlagers umgeben. Davon zeuge bereits der eher zufällig gefundene eingespülte Sand bis in etwa 400 Metern Tiefe. Infolge der Temperaturerhöhung durch den hoch radioaktiven Atommüll werde das Salz dünnflüssiger. Dadurch reiße der ohnehin zerklüftete Hauptanhydrit - die Schicht zwischen den innersten Salzen des Endlagers und den äußeren Salzgesteinen - auf und könne absinken. "Dies könnte dazu führen, dass radioaktives Material in die Biosphäre gelangt, was die Menschen in der Region massiv gefährden würde. Aus diesen Gründen ist eine Langzeitsicherheit für ein atomares Endlagers in Gorleben nicht zu gewährleisten", sagte Schneider.
- Rechtsunsicherheit bestehender Verträge
Am Wochenende flog auf, dass rund 100 Grundstückseigentümer ihr Land nicht an die Betreiber eines möglichen Endlagers verkauft, sondern lediglich bis zum Jahre 2015 zur Nutzung freigegeben haben. Und dies auch noch mit der Einschränkung, dass dieses „Nießbrauchsrecht“ nur für die Erkundung gilt, nicht für einen eventuellen Betrieb als Endlager. Will die Bundesregierung also Gorleben als Endlager manifestieren, müssen alle Verträge nachverhandelt werden. Da zu den Überlassern des Nutzungsrechts auch viele Endlagergegner gehören, ist es mehr als zweifelhaft, ob diese der Nutzungsänderung zustimmen werden. - Bisher keine fachliche Entscheidung
Die Bürgerinitiative Umweltschutz hat in alten Akten der Bundesregierung entdeckt, dass ein entscheidendes Gutachten in Sachen Gorleben von politischer Seite abgeändert wurde. Der ursprüngliche Entwurf der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) ging davon aus, dass es nicht auszuschließen sei, dass „nach erfolgter untertägiger Erkundung aufwändige Maßnahmen an den technischen Barrieren notwendig werden, um die Einhaltung von Grenzwerte sicher zu stellen.“ Schon am Tag darauf war der Bericht nach politischer Einwirkung – Beteiligung haben sie als „Weisung“ aufgefasst – so abgeändert, dass sich die „Eignungshöffigkeit“ Gorlebens nun als „voll bestätigt“ galt.
Als Wahlkampfthema ungeeignet
Viele Regierungen haben sich an der Endlagerfrage im Laufe der Jahrzehnte schon die Finger verbrannt. Keiner ist es bisher gelungen, eine Lösung in dem Dilemma zu finden. Im Gegenteil: mit Beschwichtigungen, Verzögerungen und Fehleinschätzungen hangelte man sich von Legislaturperiode zu Legislaturperiode.
Doch demnächst werden sich die Versäumnisse der Vergangenheit rächen - der Konflikt immer unauflösbarer: Wird Gorleben wegen seiner „Geburtsfehler“, wie es der Leiter des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, dieser Tage nannte, endgültig begraben, muss die Standortsuche bei Null begonnen werden. Experten schätzen den Zeitraum zwischen der Suche, dem Erkundungsverfahren und der Inbetriebnahme an einem neuen Standort auf bis zu 30 Jahre.
Entscheidet man sich für die weitere Erkundung Gorlebens, so werden angesichts der bekannt gewordenen Probleme wohl weitere 20 Jahre ins Land gehen, bevor ein Endlager in Betrieb genommen werden kann – vorausgesetzt,
- es tauchen keine geologischen Schwierigkeiten auf,
- die Verträge mit den Eigentümern können verlängert werden,
- es wird gegen die Weitererkundung nicht geklagt,
- und der anhaltende Widerstand in der Bevölkerung lässt schlagartig nach.
Eine Zwickmühle, in der alle stecken. Doch kann trotz des Müll-Drucks, der sich von Jahr zu Jahr erhöht, ein Standort manifestiert werden, der von Anfang an mehr "schön"diskutiert wurde als wissenschaftlich solide untersucht? Zumal die Festlegung auf Salz als ideales Einlagerungsmedium schon vor Jahrzehnten getroffen wurde – zu einer Zeit als man die gefährliche Strahlung radioaktiven Mülls auf einige Jahrzehnte schätzte.
Da kann es eigentlich nur eine Antwort geben: Alles auf Null - und von vorne beginnen. Mit einer vergleichenden Standortsuche, die auch andere Gesteinsformationen einbezieht und einem Entscheidungsverfahren, in dem politisches Kalkül keine Rolle spielen kann, sondern wissenschaftliche Kriterien, die sich an den mühselig entwickelten Sicherheitsanforderungen orientieren.
Foto: aufpassen.org
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