Nachdem das niedersächsische Umweltministerium (NMU) unter Minister Hans-Heinrich Sander (FDP) Greenpeace Einsicht in entscheidende Akten zum Strahlenskandal um das Atommüll-Zwischenlager in Gorleben verweigerte, legte Greenpeace gegen den ablehnenden Bescheid am Donnerstag Widerspruch ein. Auch Grüne und die Bäuerliche Notgemeinschaft kritisierten die Ablehnung scharf.
"Umweltminister Sander hat offenbar vor uns und der Öffentlichkeit etwas zu verbergen", sagt Greenpeace-Atomexperte Mathias Edler. "Dieses Verhalten verstärkt unsere Zweifel an der Rechtmäßigkeit des kommenden Castortransports. Dieser Castor darf nicht nach Gorleben rollen."
Das NMU lehnt vor allem die Einsicht in die vollständigen Messberichte der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) und in den innerbehördlichen Schriftverkehr ab. Aufgrund der PTB-Messungen geht Umweltminister Sander davon aus, dass der Strahlengrenzwert am Zwischenlager Gorleben bis Jahresende nicht überschritten wird. So konnte das Ministerium die Einlagerung weiterer Castorbehälter aus der französischen Plutoniumfabrik La Hague in Gorleben genehmigen.
Umweltministerium sieht "kein öffentliches Interesse" an Akteneinsicht
Auch die PTB hatte einen entsprechenden Antrag auf Akteneinsicht mit der Begründung abgelehnt, die Herausgabe der Messberichte an Greenpeace sei ihnen vom NMU schriftlich untersagt worden. Für das NMU sei ein "öffentliches Interesse" an der Akteneinsicht nicht erkennbar. Die PTB schreibt in ihrem Ablehnungsbescheid weiter, die von ihnen erstellten Messwerte seien "geistiges Eigentum" des Auftraggebers NMU. Der Auftraggeber habe das "ausschließliche, unbeschränkte Nutzungsrecht". "Diese Begründung für die Heimlichtuerei ist dreist", sagt Edler. "Informationen zur allgemeinen Sicherheit dürfen kein geistiges Eigentum einer Behörde sein. Wenn an einer Atomanlage der radioaktive Grenzwert überschritten wird, ist das für die betroffene Bevölkerung von größtem Interesse."
Greenpeace hat nach dem Umweltinformationsgesetz mehrere Anträge zur Akteneinsicht beim Umweltministerium (NMU) und dessen Auftragnehmer PTB gestellt. Neben den Messberichten der PTB bleibt ausgerechnet die Korrespondenz mit dem Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasser- und Küstenschutz (NLWKN) unter Verschluss. Dieser hatte im Sommer vor einer Überschreitung des Strahlengrenzwertes in diesem Jahr gewarnt. Auch die Schriftwechsel des NMU mit dem Bundesumweltministerium, mit dem Büro des niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister (CDU) und innerhalb der Dienststellen des NMU bleiben Greenpeace verwehrt.
Landwirte: Eine unglaubliche Provokation des Ministeriums
"Wie hoch sind die Belastungen durch radioaktive Strahlung im Gorleben wirklich?" fragt die Bäuerliche Notgemeinschaft, nachdem bekannt wurde, dass die Einsicht in die Akten des Ministeriums verweigert wurde. "Warum verhindert das Umweltministerium, dass die hauseigenen Berechnungen überprüft werden können?" Immerhin seien diese Rechnungen die Grundlage dafür, den Transport weiterer Castoren mit hochradioaktivem Müll nach Gorleben zu genehmigen.
Die Begründung der PTB für die Ablehnung, es handele sich um "geistiges Eigentum" des Ministeriums, dass damit die "alleinigen Nutzungsrechte" habe, sei eine absurde Begründung, konstatiert die Notgemeinschaft. Damit bestreite Minister Sander das elementare Recht der Öffentlichkeit auf Information: "Ein Recht, dass das Umweltministerium nicht zum ersten Mal mit Füssen tritt."
Die Bauern erinnern daran, dass es sich vor wenigen Wochen auch geweigert hätte, den zuständigen Kreistagsausschuss über die Strahlensituation zu informieren. Mit seiner Geheimhaltungstaktik setze sich der Umweltminister immer mehr dem Verdacht aus, die wahren Tatsachen aus taktischen Gründen zu verbergen, so die Bäuerliche Notgemeinschaft.
Offenbar sei ihm das Risiko zu groß, dass die Rechenkunststücke seiner Behörde enttarnt und dann keine weiteren Castoren in das Zwischenlager gebracht werden könnten. Wenn der Atommüll aber erst mal in Gorleben sei, könne ihn auch ein verlorener Gerichtsprozess nicht mehr herausholen. Sander müsse sich ohnehin keine Sorgen mehr um seine politische Zukunft machen, er werde bald pensioniert. Damit habe er jetzt praktisch freie Hand, als eine seiner letzten Amtshandlungen noch die Castoren auch mit zwielichtigen Tricks nach Gorleben zu schieben.
Das Fazit der Bäuerliche Notgemeinschaft: "Den Umgang des Umweltministeriums mit den berechtigten Interessen der Bevölkerung kann man nur noch eine unglaubliche Provokation nennen."
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