Überraschung beim diesjährigen Bauerntag in Lüchow: Robert Habeck wurde von 400 Landwirten nicht ausgebuht, sondern beklatscht - für das Konzept des Grünenvorsitzende eines radikalen Umbaus der Agrarwirtschaft.
Robert Habeck ist ein Phänomen: nicht nur, dass er sich harten Diskussionen stellt - er schafft es sogar, mit grünen Positionen einen ganzen Saal voller (zumeist konventioneller) Landwirte zum Nachdenken zu bewegen. Am Dienstag stellte er auf dem Bauerntag in Lüchow seine Vorstellungen eines System-Umbaus der Agrarwirtschaft vor.
Schon die Snacks auf den Tischen im Saal des Gildehauses waren ein Synonym für die Entfremdung der heimischen Landwirtschaft von ihren eigenen Produkten: Kekse und Kuchen vom Discounter waren die angebotenen Kleinigkeiten. Kein Wunder, denn der größte Teil der heimischen Ernte verschwindet im großen Markt: Getreide, Mais und Rüben landen nicht bei den heimischen Verbrauchern. Kartoffeln werden nur zu einem geringen Teil direkt an die Kunden verkauft. Die meisten Erdfrüchte gehen in die Stärkefabrik. Gemüse und Obst baut hierzulande kaum noch jemand an - zu hoch die Personalkosten, zu intensiv die Handarbeit.
Für Habeck sind nicht die Landwirte schuld an der Misere, sondern ein System, dass sie seit 1950 immer mehr in die Schraube des "Wachse oder Weiche" zwingt.
Trotzdem - oder gerade deswegen - müssten sich die Landwirte bewegen, so Habeck. Der Grünenvorsitzende prognostizierte eine düstere Zukunftsperspektive für Alle, die sich nicht auf veränderte Bedingungen einstellen. "Wenn sich das System nicht ändert, dann sitzen hier in 25 Jahren nur noch die Hälfte von Ihnen," so die klare Ansage von Habeck an die anwesenden Landwirte.
Dem Ärger der Landwirte, dass sich so viele in die Diskussion einmischen, die "keine Ahnung" haben, trat Habeck entgegen: "Die Agrarwirtschaft wird aus Steuermitteln finanziert, da müssen Sie schon aushalten, dass die Gesellschaft mitquatschen will," so Habeck. "Beide Seiten sagen mit Recht 'wir haben andere Interessen'." Eine Auflösung dieses Grundkonflikts gehe nur durch Dialog.
Wie funktioniert das Agrarsystem?
Mit einem Rückblick machte Habeck deutlich, wie es zu dem heutigen Agrarsystem kam. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei es hauptsächlich darum gegangen, die Bevölkerung mit guten und ausreichenden Lebensmitteln zu versorgen. Dieser Ansatz führte zu einer unglaublichen Produktionsintensivierung und dadurch zu verfallenden Preisen.
"Wir leben in einer Zeit, in der lebensmittel in einer Qualität und zu einem Preis verfügbar sind wie nie zuvor in der Geschichte," so Habeck. "Dass wir so ein reiches Land geworden sind, das haben Sie als Landwirte erarbeitet."
Für die Landwirte bedeutet dieser permanente Produktionsdruck aber auch, dass die Preise immer niedriger und die Produktionszeiten wesentlich kürzer geworden sind. Nach Habecks Ansicht führte die zunehmende Effizienz der Landwirtschaft zu Entkoppelung des Wertes von Lebensmitteln zum Preis.
Die Logik des System zwingt zur Effizienzsteigerung
Die Milchviehleistung habe sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt. Die Zeiten, in denen Kühe Milch geben, werden immer kürzer. "Wo ist da die Grenze? Was macht das mit dem Organismus der Tiere, was macht das mit dem Tierwohl?," der Grünenvorsitzende. "Ab wann ist die Grenze erreicht, wo wir Säugetiere zu reinen Rohstofflieferanten machen?."
Doch die Logik des Marktes geht immer noch weiter. Zum Beispiel hat sich der Ertrag von Weizen hat sich seit 1950 um 50 % erhöht. Ähnliches gilt für andere Produkte. Die Konsequenz: von zwei Millionen landwirtschaftlichen Betrieben 1950 sind heute nur noch rund 250 000 Höfe übriggeblieben. "2 % Betriebsaufgaben pro Jahr - das ist politisch gewollt," ist Habeck überzeugt. "Zieht man diese Entwicklung weiter, dann ist in 25 Jahren Schluss. Weil die Effizienz immer größer werden muss."
Nun gehe es um die Frage, ob die Annahmen von 1950 noch richtig sind. "Wir müssen darüber diskutieren, wie wenig Landwirte wir eigentlich haben wollen in Deutschland," so Habeck.
Wenn alle Betriebe weiterleben wollen, dann kann das System so nicht weiterlaufen. "Letztendlich frisst das System seine Kinder. Sie werden zu einem Verteilungskampf gezwungen, den nur die Größten gewinnen werden."
Habeck hält es für eine falsche Strategie, in der Krise Vollgas zu geben. "Wenn Sie der Erwartung entsprechen wollen, gute, große Mengen zu niedrigen Preisen zu produzieren, dann kommen Sie bei Löhnen raus die würde kein anderer Betrieb ertragen."
Eine anderer Aspekt des landwirtschaftlichen Expansionsdrucks sind die ökologischen Folgen. "Es ist nicht abzustreiten, dass die Abnahme von Insekten, an Arten, auch an Pflanzen im Zusammenhang mit intensiver Bewirtschaftung steht," ist Habeck überzeugt. "Und Sie wissen es: der Klimawechsel trifft die Landwirtschaft am ehesten."
Habeck hält es auch nicht für klug, abzustreiten, dass die Landwirtschaft etwas mit erhöhten Nitratwerten im Boden zu tun hätte. "Bei aller Messstellendiskussion lässt sich unterm Strich sagen: Wir haben erhöhte Nitratwerte im Grundwasser. Und es gibt einen Zusammenhang zwischen intensiver Tierhaltung und Biogasanlagen mit höheren Nitratwerten im Boden." Eine klare Ansage, an Alle, die gerade in jüngster Zeit wegen angeblich unfair gesetzter Grundwasser-Messstationen die eigene Verantwortung für Nitratbelastungen abwehren wollten.
Es gälte, neue Wege zu beschreiten und Lösungen für die Probleme zu finden.Auch zum Thema zunehmende Bürokratie hatte Habeck etwas zu sagen: "Ein System, welches aus sich selbst heraus Probleme löst, braucht weniger Regeln, weniger Bürokratie, dann bräuchten wir die Debatte über die Düngeverordnung gar nicht führen."
Habeck ist überzeugt, dass das existierende Agrarwirtschaftssystem grundlegend geändert werden muss, wenn Höfe überleben wollen, wenn ökologische Krisen überwunden und wenn die gesellschaftliche Debatte zwischen Landwirten und Umwelt- und Naturschützern versöhnlich geführt werden soll.
Wie soll ein Umbau aussehen?
Der ehemalige Landwirtschaftsminister hat klare Vorstellungen davon, wie eine Agrarpolitik aussehen müsste:
- Marktsegmente schaffen, die sich lohnen, die nicht auf Intensivierung ausgerichtet sind. Also Produkte entwickeln, mit denen sich höhere Preise erzielen lassen - wie zum Beispiel ein Qualitätsmerkmal "Weidehaltung" bei Rindfleisch.
- Fördersysteme entwickeln, die Bauern nicht verleiten, immer intensiver zu produzieren. Das bedeutet nach Habeck, dass die erste Säule der EU-Agrarförderung (die Direktzahlungen) so umstrukturiert wird, dass die Landwirte ihr Geld nach einem qualifizierten System erhalten. In Schleswig-Holsten hatte Habeck ein Punktesystem eingeführt: Gewässer-, Klima- und Artenschutz, Tierwohl ... jeder Punkt ist Geld wert.
Des Weiteren sieht Habeck drei zentrale Bereiche, die umgebaut werden müssen:
Umbau der Tierhaltung
"Sie können den Leuten nicht deutlich machen, warum es gut sein soll, dass ein Schwein 30 Tage stehend in einem engen Stand gehalten werden muss, weil sonst 10 % der Föten verloren gehen könnten," plädierte Habeck für einen Umbau der Tierhaltung.
Um dieses Problem zu lösen, stellt sich Habeck ein verbindliches Umlagesystem vor. Will heißen: die Bauern kriegen Geld für den Umbau der Tierhaltung, dass aber von den Konsumenten mitbezahlt wird.
Kennzeichnung: die aktuellen Kennzeichnungen verhindern nach Habecks Ansicht, dass die Verbraucher sich mit den aktuell herrschenden Bedingungen auf den Höfen auseinandersetzen. Auf den Verpackungen soll auch bildlich deutlich werden, unter welchen Haltungsbedingungen zum Beispiel die Hühner, aus denen Chicken Wings aus Indien wurden, leben mussten.
Verbot von Dumpingpreisen, die unter den Produktionskosten liegen.
Außerdem sollte den Landwirten auch finanziell entlastet werden, zum Beispiel durch die Möglichkeit, Rücklagen steuerlich über einen längeren Zeitraum steuerlich freizustellen, um Einkommenseinbußen ausgleichen zu können. Auch eine Ausfallversicherung für Klimaschäden hält Habeck für sinnvoll.
"Wenn es so weitergeht, dann rutschen Sie tatsächlich in eine industrielle Agrarwirtschaft hinein," machte Habeck am Schluss seines Vortrags deutlich. "Dann entscheiden Sie nicht mehr selbst über Produkte, Sie müssen sich auf einzelne Segmente spezialisieren und Sie verlieren endgültig die Souveränität über den Preis. Wenn ALDI mit Geld auf Ihren Höfen unterwegs
ist, dann ist jede Rede vom freien Bauerntum endgültig vorbei. Dann sind Sie
Lohnmäster geworden.
Deswegen stehen wir an einer Stelle, an der wir uns
nicht nur aus ökologischen Gründen fragen müssen, ob wir so weitermachen wollen. Wenn es so weitergeht wie bisher, dann ist die Rede von der industriellen Landwirtschaft nicht mehr nur eine Metapher sondern in absehbarer Zeit
reale Wirklichkeit in Deutschland. Das ist nicht das, was ich will, das
ist glaube ich auch nciht das, was Sie wollen. Und um das zu verhindern,
brauchen wir einen anderen Diskurs."
Keine Begeisterungsstürme - aber spürbare Nachdenklichkeit