Prof. Klaus Püschel ist ein bekannter Rechtsmediziner
aus Hamburg. Er untersucht Gewaltopfer - Lebende und Tote. Er hat die
Ex-Freundin von Jörg Kachelmann ebenso begutachtet wie etwa Uwe
Barschel. Am Wochenende war Prof. Püschel so etwas wie der Stargast
einer zweitägigen Tagung des Heimatkundlichen Arbeitskreises
Lüchow-Dannenberg (HALD), die die Teilnehmer nach Wustrow, an einen
Tatort in die Göhrde und ins „Naturum“ führte. Das Thema:
Gewaltverbrechen im Wendland. Rechtsmediziner Prof. Püschel drückte es
unverhohlen so aus: „Warum ist das Wendland für uns so spannend? Weil es
hier so abgefahrene Fälle gibt!“
Der schlimmste Massenmörder der Nachkriegszeit, der „Totmacher“ Rudolf
Pleil, hatte hier ebenso zugeschlagen wie etwa ein junger Vater, der
seinen Sohn, ein Frühchen, aus Aberglauben heraus umbrachte. „Im
Wendland ist man dem Aberglauben noch sehr zugeneigt“, so Püschel
süffisant.
Im Fokus der gut besuchten Tagung aber standen die
ungeklärten Doppelmorde in der Göhrde vor 25 Jahren, die zu den
unheimlichsten Verbrechen der Nachkriegszeit gehören. Da die Tagung offen für Interessierte war, verzeichnete Organisator Dr.
Rolf Meyer rund 50 Besucher. Die Meisten waren nur wegen eines Themas
vor Ort: der Göhrde-Morde. Bis aus Dortmund reisten Teilnehmer an. Im
Internet nämlich wird das Thema - etwa im Forum „allmystery.de“ - hoch und runter diskutiert.
Am Samstag referierte Prof. Püschel u.a. über die Obduktion der ersten
beiden Opfer, das Ehepaar Reinhold aus Hamburg. Dafür brachte Püschel
Experten aus dem Institut für Rechtsmedizin (IfR) der Uniklinik
Eppendorf mit. Dr. Eilin Jopp etwa referierte über forensische
Anthropologie.
Keine aktive Ermittlung zu den Göhrde-Morden
Im Internet wird reichlich spekuliert und jedes noch so kleine
Detail ausufernd diskutiert. Erstaunt waren die Anwesenden jedoch, als sie
erfuhren, dass zur Zeit nur ein einziger Ermittler auf den Fall
angesetzt ist. Fachkommissar Detlef Ziech von der Kripo Lüneburg ist aktuell für die
Göhrde-Morde zuständig. Er hat den berüchtigten Fall vor zwei Jahren von
Dieter Weihser „zur Betreuung“ übernommen. Weihser ging damals
reichlich frustriert in den Ruhestand. Und obwohl man buchstäblich alles
versucht und jede Theorie verfolgt habe, sei das bisherige Ergebnis
„schlecht“, so Ziech unumwunden. Obwohl auch damals schon Querdenker auf
den Fall angesetzt worden waren und auch die abwegigsten Theorien
verfolgt wurden. Ziech merkte an, dass zur Zeit nicht aktiv an dem Fall
gearbeitet wird.
„Das ist unhaltbar“, kritisierte Püschel, der dafür plädiert, dem Fall
mit heutigen Analyse-Methoden wieder mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Es
gäbe neben den beiden Haaren, die dem Täter zugeordnet werden, durchaus
weitere vielversprechende Spuren in den Akten, z.B. eine Musikkassette.
Am Sonntag fuhr die Gruppe zu einem makaberen kleinen Ausflug in die
Göhrde an den ersten Tatort. Mitarbeiter des IfR stellten die Situation
am Fundort nach: zwei Leichen, mit dem Gesicht nach unten, die Hände
gefesselt. Die Opfer wurden stranguliert, erschlagen, erschossen, die
Kleidung laut Püschel „teilweise vorhanden, teilweise weg, teilweise
derangiert“, sprich: der BH zerrissen. Sämtlicher Schmuck wurde an den
mumifizierten Opfern noch gefunden - einen Raubmord schließen die
Ermittler deshalb aus. Heute geht die Polizei davon aus, dass es sich
wahrscheinlich um einen Täter (nicht um mehrere) handelt, der psychische
Defekte aufweist und einen starken Bezug zur Göhrde hat. Sexuelle
Motive werden für sehr wahrscheinlich gehalten.
Das Fernglas, was die ersten Opfer, das Ehepaar Reinhold, angeblich bei
sich hatten, hätten die Töchter Jahre später im Keller gefunden. Die
Polizei hält es deshalb heute für eher unwahrscheinlich, dass Reinholds
ein Fernglas bei sich trugen. Die Zuhörer erfuhren auch, dass die Polizei das damals angefertigte Phantombild heute für falsch hält. Die Theorie Auftragsmord aus Eifersucht und eine daraus resultierende
mögliche Verwechslung der Opfer hält die Polizei inzwischen ebenfalls
für abwegig.
Was bleibt, sind jede Menge Fragen und exakt 2005 Spuren in den Akten.
Foto / Björn Vogt: Rechtsmediziner Prof. Klaus Püschel bei der Nachstellung der Morde im Göhrder Wald.