Daß sich Bundespräsidenten in die aktuelle politische Diskussion mischen, ist nichts Neues. Richard von Weizsäcker spielte den Mahner, Johannes Rau gab gern den Pastor, Roman Herzog forderte, daß ein Ruck durch Deutschland gehen müsse. In dieser Tradition stellt jetzt Horst Köhler, sich auf die Finanzkrise beziehend, „die Banken an den Pranger“.
Nun ist Herr Köhler – nach offizieller Lesart – ein „ausgewiesener Finanzfachmann“, ein Titel, den man nicht durch Ausbildung erwirbt, sondern der einem gegebenenfalls von den Medien verliehen wird. Wie kommt also der Mann zu dem Ruf, etwas vom Geld zu verstehen? Immerhin ist er Diplom-Volkswirt und schrieb 1977 seine Dissertation zum Thema „Freisetzung von Arbeit durch technischen Fortschritt“ (er meinte vermutlich „Entlassung von Arbeitern durch Modernisierung“, aber geschenkt!).
Danach führte ihn seine Karriere kontinuierlich nach oben, bis er es 1990 zum Finanzstaatssekretär unter Kanzler Kohl und seinem Finanzminister Theo Waigel brachte. In dieser Funktion schrieb er die – extra für den Bundestagswahlkampf gegen den SPD-Kandidaten Oskar Lafontaine gerichtete – Finanzplanung des Bundes mit der frohen Botschaft: „Die Deutsche Einheit zahlen wir aus der Portokasse – sprich: ohne Steuererhöhungen.“
Das entpuppte sich schon sechs Wochen nach der so gewonnenen Wahl als kleiner Irrtum: Es wurden der allseits beliebte „Solidaritätszuschlag“ eingeführt sowie die Mineralölsteuer drastisch erhöht. Durch derartige Verdienste geadelt, landete Herr Köhler, nachdem er zwischendurch Vorsitzender des Sparkassen- und Giroverbandes war, schließlich auf dem Chefsessel des Internationalen Währungsfonds, jener segensreichen Einrichtung, die auch mal ganze Volkswirtschaften samt Bevölkerung ruiniert, um auf diesem Wege die „Kreditwürdigkeit“ von Entwicklungsländern zu erhöhen.
Dieser Fachmann hat nun also per Interview festgestellt, daß sich „die Finanzwelt mächtig blamiert“ habe und daß die Märkte durch „Renditejagd“ zu „Monstern“ geworden seien. Seinen ehemaligen Arbeitgebern, den Banken, attestiert er, daß sie „die Überkomplexität der Finanzprodukte“ die sie ge- und verkauft haben, selber nicht durchblickten. Und unseren klugen Journalisten fällt dazu bestenfalls ein, daß diese „vernichtende Kritik“ vielleicht ein wenig populistisch sei, aber im Kern denn doch wohl berechtigt.
Wie bitte? Wodurch wurde denn die aktuelle Finanzkrise ausgelöst? Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, den USA, haben die Banken über Jahre Kredite an Leute vergeben, die diese mit ihren kargen Einkommen niemals bezahlen können. Geködert wurden die Kreditnehmer damit, daß die Immobilienpreise auf ewig weiter steigen würden, ihre Häuser somit immer mehr wert wären, die Kunden also Zugang zu weiteren Hypotheken hätten, um damit ihre Kredite irgendwann bezahlen zu können.
In dieses finanzpolitische Hütchenspiel haben die Chefs unserer Privat- und Landesbanken Riesenmengen Geld gepumpt – nicht ihr eigenes, versteht sich; soviel Sachverstand war immerhin vorhanden, sondern das Geld der Anleger, der Kunden und letztlich, nachdem diese Blase geplatzt ist, das Geld der Steuerzahler.
Das „Überkomplexe“ daran war, daß amerikanische Banken, nachdem sie merkten, wieviele faule Kredite sie in ihren Bilanzen hätten ausweisen müssen, sich ein paar doofe Geldsäcke gesucht haben, denen sie ihre Risiken in die Tasche mogeln konnten. Also haben sie „Pakete“ aus vielen faulen und ein paar weniger faulen Krediten geschnürt und diese an hiesige Banken verhökert. Es scheint also, folgt man unserem verehrten Bundespräsidenten, für die versammelte Wirtschaftselite in Politik und Chefetagen, unmöglich gewesen zu sein, zu durchschauen, daß ständig steigende Immobilienpreise bei wachsender Arbeitslosigkeit, stagnierenden Löhnen und einer horrenden Staatsverschuldung der USA bestenfalls ein frommer Wunsch, in Wirklichkeit wohl eher eine Marketinglüge sind.
Was da im fernen Amerika passiert, wird sich spätestens im nächsten Jahr auch hier bemerkbar machen, denn alle Banken, die jetzt „Wertberichtigungen“ durchführen, „Gewinnerwartungen“ reduzieren oder Verluste melden, werden deutlich weniger (oder gar keine) Steuern zahlen – wobei Vater Staat (und damit wir alle) doppelt betroffen ist: Erstens fehlen Einnahmen, zweitens haftet der Steuerzahler schon jetzt für die Verluste im hohen zweistelligen Milliardenbereich.
Es ist ja sicher richtig, für ein derartiges Desaster die verantwortlichen Manager „an den Pranger“ zu stellen – richtiger wäre es, sie mit ihrem nicht unbeträchtlichen Privatvermögen in Haftung zu nehmen. Aber ausgerechnet Horst Köhler, dessen Sachverstand unter anderem zu einem Finanzdesaster namens Deutsche Einheit geführt hat, ist nun nicht gerade der geeignete Mahner für verantwortlichen Umgang mit dem Geld anderer Leute.
Außerdem könnte er, wenn seine Äußerungen nicht bloß wohlfeiles Wiederwahlkampfgelaber sein sollen, vielleicht mal darauf hinweisen, daß in den meisten betroffenen Banken Politiker aller Parteien in den Aufsichtsräten sitzen – auch der „Linke“ Oscar Lafontaine verdient sich so ein kleines Zubrot als Mitglied im Aufsichtsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau.
Und während, zum Beispiel, die Sparkassen alle Jahre wieder ihr beliebtes „Börsenspiel“ für Schüler veranstalten und damit junge Leute dazu anstiften, im virtuellen Maßstab die gleiche Voodoo-Ökonomie anzubeten, die im wahren Leben gerade ein paar hunderttausend Ame-rikaner in den Ruin getrieben hat, während die Bahn gerade, gegen alle Erfahrungen, zum Beispiel aus England, unbedingt (teil)privatisiert werden muß und damit das nächste volkswirtschaftliche Risiko vorprogrammiert wird, ruft unser aller Bundespräsident kackfrech: „Haltet den Dieb!“
Vor Jahren wurde an einer Uni mal ein besonderes Börsenspiel gespielt: Renommierte Finanzberater sollten in vorgegebener Zeit mit einem fiktiven Budget möglichst viel Profit erwirtschaften. Der Sieger mit den besten Ergebnissen war... ein Schimpanse! Der tippte einfach irgendwo auf den großen Kursbogen, und ließ damit alle Experten weit hinter sich.
Vielleicht sollten wir zum nächsten Bundespräsidenten einen wählen, der Charly, Knorke oder Dongo heißt.
Foto: Bundespräsident Horst Köhler ging gemeinsam mit Rosi Mittermaier und Christian Neureuther beim neunten Berliner Bundestagslauf gegen Osteoporose an den Start.
obs/Tetra Pak