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Hans Schlimbach: Bilder aus dem Schatten der Idylle


Blicke hinter die Kulissen einer Landschaft, die allgemein als "idyllisch" gilt, warf der Grafiker und Fotograf Hans Schlimbach, der seit vergangener Woche seine gesellschaftskritischen Fotos in der Kunstkammer in Gartow ausstellt.


Eigentlich ist es nur ein Bolzplatz wie er landauf landab in vielen Dörfern zu sehen ist: ungepflegt, weil seit Jahren nicht mehr genutzt, die Netze eingerissen und die Tore beginnen, in den Boden zu versinken. Das Bild ist offenbar im Spätsommer entstanden, zu der Zeit, wenn das hohe Gras vergilbt und anfängt, abzuknicken.

Schon dieses Motiv alleine ist tief melancholisch, doch durch das abgewetzte Siegerpodest in diesem stumpfen Blau, das zur ehemaligen DDR gehörte wie das raue Beigegrau der Schreibpapiere wird das Foto zum Zeitdokument. Es erzählt bundesdeutsche Geschichte: von jungen Pionieren, die stolz das Siegertreppchen erklommen, vom jähen Ende eines ganzen Landes und darauf folgenden 25 Jahren Verwirrung und Perspektivlosigkeit. Und es stellt die Frage, wo die "blühenden Landschaften" sind, die den DDR-Bürgern damals versprochen wurden.

Nicht alle Fotos, die Schlimbach in Gartow ausstellt, "spielen" in der ehemaligen DDR. Viele sind auch im Wendland entstanden, auf Äckern, auf den Hinterseiten von Höfen oder Ablageplätzen mitten in der Landschaft. Es sind Landschaftsbilder, Bilder von den Schattenseiten des Landlebens: verrottete LKW-Hänger, vermodernde, nach der Flut 2013 liegengebliebene Sandsäcke oder haufenweise Siloplanen - Relikte einer Gesellschaft, die "Umwelt" immer wieder als Lager- und Müllplatz versteht. Menschen sind auf den Fotos nicht zu sehen - aber auf jedem einzelnen die Hinterlassenschaften menschlichen Tuns.

Nahaufnahmen hinter den Kulissen der Idylle

Der Makroblick auf verrottende Sandsäcke im blauen Abendlicht lassen vergessene Jutehüllen wie eine exzellent komponierte Installation wirken. Haufenweise liegengebliebene schwarze Siloplanen werden in der Nahaufnahme zu faszinierenden Strukturen aus schwarz-grauen Flächen.

Denn es ist nicht das Anliegen von Hans Schlimbach, Müll und Schrott in der Landschaft als ästhetische Bereicherung zu glorifizieren. Im Gegenteil. "Mir geht es darum, den Blick für den Missbrauch der Landschaft zu schärfen," so der Grafiker und Fotograf. "Gleichzeitig haben diese Objekte aber in der Nahsicht auch eine faszinierende Ausstrahlung, die als schön bezeichnet werden kann." Um diesen Widerspruch sichtbar zu machen, stellte Schlimbach Fotos dazu, die z.B. Siloplanen in ihrem Umfeld - dem Acker - zeigen. Durch diesen kleinen Kunstgriff entzaubert er die Ästhetik der Makroaufnahmen.  

Schlimbachs Arbeitsweise bezieht sich auf die "New Topography"-Bewegung, die in den 70er Jahren in den USA die Idee der Landschaftsfotografie umkehrte. War das Ideal in der Abbildung von Landschaften bis dahin, die vom Menschen unberührte Natur darzustellen, so wollten Fotografen wie Robert Adams oder Bernd und Hilla Becher die vom Menschen beeinflusste Landschaft darstellen.

In dieser Tradition versteht sich auch Hans Schlimbach. Statt die - von vielen Besuchern immer wieder mystifizierte - Idylle der Nemitzer Heide zu fotografieren, ging er hinter die Kulissen, fotografierte Arbeitsgeräte oder dreckige LKWs, die zu Lagerplätzen umfunktioniert worden waren - und nicht den Schäfer im roten Wams, der mitten in seiner Schafherde posiert. Immer wieder begegnete ihm dabei Unverständnis und auch wütende Ablehnung der Grundstücksbesitzer. "Als ich einem Landwirt erklärte, dass ich seine Siloplanen fotografiere, weil ich sie schön finde, schaute er mich an, als wenn ich ein Fall für die Psychiatrie wäre," erzählte Schlimbach in der Vernissage.

In der Zusammenstellung von "Haufen, Planen und Resten" gelang Schlimbach eine Fotoserie, die viel erzählt vom aktuellen Umgang von Landbewohnern mit der Landschaft in der sie leben. Sie erzählt von Perspektivlosigkeit, von Verwahrlosung aber auch von Behördenversagen und beinahe kriminellem Umgang mit (grellfarbigen) Flüssigkeiten, die unablässig in den Boden tropfen. Und sie gibt zu bedenken, dass der Hang, nur die Bilder als schön zu empfinden, die allgemein als "Idylle" definiert sind, in eine graue Wolke führt, die den Blick auf das komplizierte Ganze vernebelt.

Unnötig zu erwähnen, dass die Fotos von Hans Schlimbach hohen Ansprüchen an handwerkliche und ästhetische Qualität Genüge tun. Der Staatspreisträger Heinrich Riebesahl - bekannt geworden für seine tristen, strengen Bildkompositionen u. a. von "Agrarlandschaften" - wurde gelobt für seine "präzise und geduldige" Arbeitsweise. Ähnliches könnte man von Hans Schlimbach sagen.

Die Ausstellung ist noch bis zum 20. September jeweils Freitags von 16 - 18 Uhr, Samstags von 10 - 13 Uhr und Sonntags von 11 - 13 Uhr geöffnet.

Foto / Angelika Blank: Hans Schlimbach (Mtte) bei der Vernissage. WWK-Vorsitzende Anna von Bernstorff (re.) hielt die Einführungsrede.


 




2015-08-18 ; von Angelika Blank (autor),
in Hauptstraße 10, 29471 Gartow, Deutschland

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