Brauchen wir demnächst keine Lehrer mehr, um Fakten zu vermitteln? Diese und andere provokante Thesen zu modernen Lehrmethoden präsentierte die Erziehungswissenschaftlerin Cr. Charmaine Liebertz am Dienstag im Lüchower Amtshaus. Vor rund 50 Sozialpädagogen und Lehrern erläuterte Liebertz ihre Vorstellungen über "ganzheitliches Lernen".
Früher habe man ein Buch aufgeschlagen, um herauszufinden, wann Napoleon geboren sei, heute gucke man im Internet nach, „und das ist gut so“. Unser Wissen verdoppele sich alle fünf Jahre. Bis ein neues Schulbuch herauskomme, dauere es hingegen drei bis vier Jahre.
Diese Entwicklung sei jedoch kein Nachteil. Sie ermögliche eine Bindungspädagogik, die den Menschen als Ganzes sieht. „Facebook, SchülerVZ und so weiter. Noch nie war die Jugend so vernetzt wie heute. Die Jugend sehnt sich nach Bindung“, sagte die Kölnerin Daran lasse sich anknüpfen.
„Leistungspädagogik“ und „Kuschelpädagogik“ voneinander zu trennen, sei veraltet. Nachder modernen Hirnforschung bilde Denken und Fühlen eine Einheit. Mimik und Gestik würden 80 Prozent der Kommunikation ausmachen, so Dr. Charmaine Liebertz. Dieses Wissen könne man sich zu Nutze machen. „Es gibt keinen, den man nicht motivieren kann“, sagt die 56-Jährige. Wie könne es etwa sein, dass Schüler, die als konzentrationsschwach gelten, die Namen von 120 Pokemon-Figuren auswendig können? Fernsehformate wie die „Sendung mit der Maus“ bewiesen, dass man nahezu jedes Thema jeder Altersgruppe vermitteln kann. Entscheidend sei die Herangehensweise.
Sprache basiere auf mentalen Bildern, daher sei es wichtig, die Bilder der jeweiligen Zielgruppe zu kennen, um zu wissen, „wo man andocke“. Es müsse ein Bezug zum Leben des Kindes hergestellt werden. Um Wissen zu vermitteln, sei es außerdem unabdingbar, authentisch zu sein. Lehrer sollten sich immer wieder fragen, was sie am Fach und ihrer Zielgruppe fasziniert. „Wir unterrichten Menschen, nicht Fächer. Wer selbst keinen Spaß hat, kann ihn auch nicht vermitteln“, betont die Erziehungswissenschaftlerin, die seit Jahren die „Gesellschaft für ganzheitliches Lernen“ leitet. (www.ganzeitlichlernen.de)
Lachen und Lernen sei ohnehin ein Traumpaar. In allen Biografien großer Persönlichkeiten wie etwa Albert Einstein tauchten Humor und Esprit auf. Mit einem Satz wie „Die Länge einer Minute hängt empfindlich davon ab, ob man vor oder hinter einer Toilettentür steht“ lasse sich der Inhalt von Einsteins Relativitätstheorie bleibend vermitteln. „Fakten sollten humorvoll angebracht werden, ohne sich selbst zum Clown zu machen“, sagt Dr. Charmaine Liebertz.
Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Wissensvermittlung sei die Kunst der Narration, der Art, wie man etwas erzählt. Schon die Ankündigung: „Darf ich Euch mal etwas erzählen?“ errege Aufmerksamkeit, ebenso danach leiser weiterzusprechen. „Heute morgen habe ich im Garten Jack den Regenwurm getroffen. Wieso der Jack heißt? Hat der eigentlich Brüste? Lasst uns mal nachschauen.“ Solche Ansätze seien besser als zu sagen: „Heute geht es um den Regenwurm. Schlagt doch mal Seite 24 in Eurem Buch auf.“
„Die Zeiten des einsamen Helden sind vorbei“, sagt Dr. Charmaine Liebertz. Besser sei es, Kinder an der Gestaltung des Unterrichts teilhaben zu lassen und zu kooperieren, sich eine Rückmeldung zu holen oder nach Vorschlägen zu fragen.
Das Entscheidende bei dieser Lehrweise sei vor allem, bei sich selbst anzufangen und nicht andere verändern zu wollen. „Beim Schach bewegen sich die Figuren. Erst dann verändern sich die Systeme drum herum.“
Foto: Angelika Blank / Auch bei ihrem Vortrag wurde sehr schnell deutlich, dass Lebendigkeit und Ausdrucksstärke für Charmaine Liebertz ein wesentlicher Bestandteil ihrer Lerntheorien sind.