Bis heute sind Siedlungen rings um Tschernobyl so verstrahlt, dass niemand mehr dort leben kann. Den Betroffenen hilft der deutsche Verein „Heim-statt Tschernobyl“ seit 1991 bei der Umsiedlung in den nicht verstrahlten Norden des Landes. Martin Stark und Andreas Noack aus Dannenberg helfen seit Jahren - dieses Mal in Drushnaja.
Stromkonzerne und Atomkraft-Betreiber trommeln für die Laufzeitverlängerung der deutschen AKWs, CSU-Chef Horst Seehofer trompetet in der Frankfurter Allgemeinen, man möge die Laufzeit der Atommeiler überhaupt nicht begrenzen, und eine Schar deutscher Top-Manager posaunt via Zeitungsanzeigen, ein vorzeitiges Abschalten vorhandener Atomanlagen würde "Kapital in Milliardenhöhe vernichten, zu Lasten der Umwelt, der Volkswirtschaft und der Menschen in unserem Land".
Ganz im Stillen dagegen bemühen sich Frauen und Männern aus Deutschland, in Weißrussland die Not von Menschen zu lindern, die nach der Tschernobyl-Katastrophe an Leib und Seele erfahren haben und immer noch erfahren, was die Atomkraft anrichten kann: Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer des Vereins „Heim-statt Tschernobyl“ bauten und bauen zusammen mit Einheimischen in nicht-atomverseuchten Regionen ökologisch durchdachte Häuser, in die Menschen aus dem verstrahlten Gebiet umsiedeln können.
Dannenberger installierten Heizung für Umsiedler
Zu den vielen Aktiven, die schon seit Jahren von Deutschland nach Weißrussland reisen, um dort tatkräftige Hilfe zu leisten, gehören Martin Stark, Lehrer im Ruhestand und Andreas Noack, Umwelttechniker, der zurzeit in der Wendlandschule arbeitet, aus Dannenberg. Unlängst sind die beiden Männer von einem besonderen Einsatz zurückgekehrt: Diesmal galt es nicht, ein Haus hochzuziehen, sondern eine umweltfreundliche Heizungsanlage zu installieren im Gemeinschaftshaus in Drushnaja.
In diesem Ort im Norden Weißrusslands und im ebenfalls nördlich gelegenen Stari Lepel hat „Heim-statt Tschernobyl“ mittlerweile über 50 Häuser geschaffen, dazu eine Ambulanz und je ein Gemeinschaftshaus. „Diese Häuser sind wichtig für die soziale Integration der umgesiedelten Familien“, betont Martin Stark, der zusammen mit Andreas Noack und einem weißrussischen „Kollegen“ die Heizung im Gemeinschaftshaus in Drushnaja gebaut hat.
„Mal eben zum Baumarkt“ - das geht nicht
Das Material wie Kessel, Pumpen, Rohrleitungen und allerlei Kleinteile wurden aus Deutschland angeliefert, doch dieses und jenes fehlte noch, als die fleißigen Leute zu Werke gehen wollten. In Deutschland fährt man dann mal eben zum nächsten Baumarkt – in Belarus ist dies nicht so rasch zu erledigen: Ein Fax muss in die Hauptstadt Minsk geschickt werden, dort wiederum sorgt dann ein kundiger Mensch dafür, dass die benötigten Dinge nach Drushnaja gesandt werden.
Alternative Energie sichtbar machen
Ökologische Bauweise und Umweltverträglichkeit werden besonders groß geschrieben bei allem, was in den neuen Siedlungen entsteht. Die Heizung für das Gemeinschaftshaus hat – in Weißrussland produzierte - Pellets als Brennstoff, und draußen am Gebäude sind Solarkollektoren angebracht, die in der wärmeren Jahreszeit für Warmwasser sorgen und dann, wenn es kälter wird, aber dennoch die Sonne scheint, der eigentlichen Heizung vorgewärmtes Wasser zuführen. „Neben der Umsiedlung wollen wir die Möglichkeiten alternativer Energiegewinnung sichtbar machen“, unterstreicht Martin Stark. Auch dieses solle als „Zeichen gegen Tschernobyl“ gewertet werden und sei eine wesentliche Aufgabe vom „Heim-statt Tschernobyl“.
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Menschen aus Belarus aktiv am Bau beteiligt
Das Haus selbst, das schon vor einigen Jahren gebaut worden war, ist nun nach ökologischen Gesichtspunkten „renoviert“ worden: Es erhielt ein mit Reet gedecktes Dach und eine Mehrschichten-Wärmedämmung, deren wesentlicher Bestandteil in Belarus hergestellte Dämmplatten aus Schilf sind.
Finanziert wurde das Projekt Gemeinschaftshaus, das rund 65.000 Euro erforderte, mit 15.000 Euro vom Verein „Heim-statt Tschernobyl“ und 50.000 Euro von der Bundesrepublik Deutschland (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Diese Zuwendung ist an die Bedingung geknüpft, dass der Verein vor Ort Eigenleistungen erbringt. Menschen aus Weißrussland sollen darüber hinaus aktiv an den Arbeiten beteiligt und ihnen die erforderlichen Kenntnisse vermittelt werden.
Gern berichtet Martin Stark von der guten harmonischen Zusammenarbeit mit den Kräften der Baubrigade von „Öko-Dom“: Dies ist die weißrussische Partner-Organisation von „Heim-statt Tschernobyl“. Wesentlich mit geholfen haben Dolmetscherinnen, denen auch die technischen Fachvokabeln etwa aus dem Bereich der Heizungsmontage keine Probleme bereiten.
In Workcamps zwei Siedlungen geschaffen
Das „neue“Gemeinschaftshaus fügt sich ein in die Siedlung Drushnaja, umgeben von Häusern, die in den vergangenen Jahren von Ehrenamtlichen des deutschen Vereins sowie jetzigen Bewohnern gebaut worden sind. Dies geschah jeweils in den Sommermonaten in dreiwöchigen Workcamps, und zwar in Lehmbauweise, bei der auch Menschen effektiv mitwirken können, die keine Kenntnisse in puncto Bautechnik haben.
Ob weitere Häuser für Umsiedlungswillige gebaut werden? Das möchte der Verein gern tun, sagt Martin Stark, aber: Voraussichtlich werden künftig pro Jahr nur zwei statt bisher drei Häuser entstehen – denn: „Die Kosten sind gestiegen!“ Voraussetzung für eine Erweiterung der Siedlungen ist es auch, dass von den zuständigen Stellen in Weißrussland Baugrund freigegeben wird.
„Wie sollen wir die deutsche Atom-Renaissance erklären?“
Nach wie vor bietet die Organisation „Öko-Dom“ den Menschen in strahlenbelasteten Gebieten Veranstaltungen an, auf denen über die Möglichkeit einer Umsiedlung informiert wird. Doch nicht alle Betroffenen entscheiden sich für einen Fortzug. Immerhin bedeutet er einen Abbruch sozialer Kontakte und das Zurücklassen alles Vertrauten und auch Liebgewordenen. Solchen Überlegungen und Gefühlen jedoch steht die Tatsache entgegen, dass die Belastung noch lange nicht „vorüber“ ist.
In einem Rundbrief gibt der Verein „Heim-statt Tschernobyl“ zu bedenken, dass die Verstrahlung in der Tschernobyl-Zone selbst bei Cäsium 137 noch nicht mal den Halbzeitwert erreicht habe. „Tschernobyl ist in der deutschen Regierungspolitik nicht mehr im Gespräch. Im Gegenteil: Veraltetet Kraftwerke sollen länger am Netz bleiben“, schreibt der Vorsitzende des Vereins, Dietrich von Bodelschwingh, und fragt: „Wie sollen wir den Menschen im Tschernobylgebiet und unseren Freunden in Weißrussland eine solche Atom-Renaissance nur erklären?“
Konstruktiver Widerstand ein Zeichen der Solidarität
Der Vorsitzende bekräftigt: „Neben den Protesten in Gorleben, den Menschenketten an den Kraftwerken, den Offenen Briefen und Gesprächen mit Abgeordneten reihen wir uns mit unserem Umsiedlungs-Häuserbau in Belarus durch konstruktiven Widerstand mit ein und setzen vor Ort ein Zeichen der Solidarität mit den Opfern“.
Zum Glück sei die Mehrzahl der Deutschen gegen den weiteren Ausbau der Atomkraft. Und ein Wort des Vorsitzenden aus seinem Rundbrief zu den Vereins-Aktivitäten dürfte auch den AtomkraftgegnerInnen im Wendland Mut machen: „Wenn viele kleine Menschen an vielen Orten viele solche kleinen Dinge tun, können sie eine Zukunft nach Tschernobyl ohne Atom-Energie erreichen“.
Foto: Das Gemeinschaftshaus in Drushnaja