Kommentar: Röttgens Besuch in Gorleben - Heldenpose eines Bundesumweltministers

Umweltminister Norbert Röttgen kommt nach Gorleben, um sein "Dialogkonzept" vorzustellen. Doch schon angesichts der (Un)Art der Einladung kommen Zweifel auf, ob der Minister seinen geplanten "Dialog auf Augenhöhe" wirklich ernst meint. Ein Kommentar von Karl-Friedrich Kassel.

Eigentlich sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, daß demokratische Politiker den von ihren Entscheidungen Betroffenen ihre Absichten und deren Wirkungen erklären. Gerade erst hat man beflissen versprochen, aus der hochherrschaftlich in den Sand gesetzten Planung für Stuttgart 21 die Lehren gezogen zu haben und in Zukunft rechtzeitig mit dem Bürger zu reden.

Da mutet es seltsam an, daß der Bundesumweltminister sich erst dann auf den Weg ins Wendland macht, als alle Entscheidungen schon getroffen sind. Und die Reiseabsicht dann auch noch als großes Angebot von Transparenz und Ergebnisoffenheit verkaufen will. Erst wird das Moratorium aufgekündigt, dann die Laufzeitverlängerung durchs Parlament und am Bundesrat vorbei gebracht. Dann, einen Tag nach dem Castor, wird auch noch der Sofortvollzug für die Endlagerarbeiten angeordnet. Und erst danach, nachdem alle Entscheidungen gefallen sind, die von der Bundespolitik getroffen werden können, erst danach stellt sich der zuständige Minister vor das Parlament und verkündet, daß er jetzt nach Gorleben fahren werde. Aber selbstverständlich geht alles völlig transparent und ergebnisoffen zu. Mit welchem Klammerbeutel muß man nach Ansicht von Röttgen eigentlich gepudert sein, um das ernst zu nehmen?

Wer Vertrauen erwerben will für das Versprechen, in Gorleben werde ergebnisoffen geprüft, der hätte dazu viele Möglichkeiten. Und zwar ohne Berlin zu verlassen. Er hätte auf den Sofortvollzug verzichten können, beispielsweise. Er könnte den unsäglichen Herrn Thomauske als Verantwortlichen für die Sicherheitsanalyse in die Wüste schicken, oder - was energiepolitisch nahezu das gleiche ist - zurück nach Nordrhein-Westfalen. Er könnte sich endlich einen anderen Abteilungsleiter suchen als ausgerechnet einen Ex-Manager der Stromkonzerne. Es gäbe eine lange Liste möglicher „vertrauensbildender Maßnahmen“. Aber die blieben alle aus. Stattdessen kündigt der Minister an: ich reise nach Gorleben und stelle mich den Kritikern. Was für ein Held!

Und nur darum geht es. Es geht nicht um Vertrauen der Betroffenen, es geht nicht um einen ergebnisoffenen Prozeß. Es geht allein um die Heldenpose des Bundesumweltministers. Die Region wird mißbraucht, um das politische Gewicht Röttgens in den Augen einer uninformierten Öffentlichkeit zu stärken. Seht her, ich spreche auch mit meinen Kritikern in der Höhle des Löwen! Bin ich nicht ein treuherziger rheinischer Jung? Wie ehedem seine Vorgängerin Merkel als Bundesumweltministerin kommt Röttgen geflogen. Auch Merkel flog ein, landete auf dem Schützenplatz hinter dem Gildehaus in Lüchow. Vor einer CDU-Versammlung verkündete sie damals: auch beim Kuchenbacken geht mal etwas daneben. Kurz vorher waren „hot-spots“ auf den Castorbehältern festgestellt worden, Flecken, die zigfach stärker strahlten als zugelassen. Genau wie Backpulver eben.

Jetzt fliegt Röttgen ein. Beim Grafen in Gartow lädt er sich gleich selbst ein. Offenbar kann er sich nicht vorstellen, daß man nicht geehrt ist, mit ihm unter diesen Bedingungen zu reden. Der Landrat erfuhr erst nachträglich vom Besuch, sogar die CDU war überrascht und entsprechend verärgert. Ein Moderationskonzept will er mitbringen, ist zu hören. So ist es richtig: erst Fakten schaffen, und dann den Ärger moderieren. Vor dreißig Jahren hätte das noch als Lapsus durchgehen können. Heute ist es nur noch unverschämt.

Es gab vor Jahren ein Konzept, wie eine Endlagersuche aussehen sollte. Unter dem Kürzel AKEnd hatten sich Wissenschaftler von Pro und Contra Gorleben und Atom darauf geeinigt. Es sah eine ergebnisoffene Suche vor, bei der jeder einzelne Schritt im Konsens gegangen werden sollte. Nur so ließe sich Vertrauen und Zustimmung gewinnen für ein so langfristiges Projekt.

Erst blieb das Konzept unter Rot-Grün lange liegen. Dann setzte Röttgens Vorgänger Gabriel es - in abgewandelter Form - um. Doch schon der erste Schritt, bei dem die Zustimmung aller notwendig gewesen wäre, scheiterte. Röttgen macht gern Trittin und Gabriel für den Stillstand bei der Endlagersuche verantwortlich. Aber es waren CDU und FDP, die damals - vor fünf Jahren - ihre Zustimmung versagten. Ebenso wie vor sechzehn Jahren, als in den ersten Konsensgesprächen die Stromkonzerne die Endlagerung in Gorleben zur Disposition stellten.

Oder vor 27 Jahren, als die Regierung Kohl das bis dahin geltende Konzept einer parallelen Untersuchung mehrerer Standorte aufgab und nur noch Gorleben akzeptierte. Oder vor über dreißig Jahren, als Ministerpräsident Albrecht verkündete, Gorleben sei erwiesenermaßen der einzige geologisch geignete Salzstock in Niedersachsen. Wogegen sogar der Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften damals protestierte.

Bei so viel Ergebnisoffenheit durch die Zeiten wird das Wendland selbstverständlich vertrauensvoll den Versprechungen des aktuellen CDU-Umweltministers lauschen.

Bis der nächste kommt.

Foto: Laurence Chaperon/ norbert-roettgen.de




2010-11-26 ; von Karl-Friedrich Kassel (autor),

norbert röttgen   endlager_gorleben  

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