Bernhard Fathmann aus Penkefitz unterstützt seit Jahren die Hilfsorganisation Opportunity International, die u.a. in Ghana mit Kleinkrediten mittellosen Menschen hilft, sich eine Zukunft aufzubauen. Vor kurzem war er - von Opportunity eingeladen - nach Ghana gereist, um sich die Verwendung der wendländischen Spenden erklären zu lassen. Björn Vogt begleitete ihn.
„Meer ohne Wasser“, so nennen Karawanenführer die Sahara. Und ähnlich einem Ozean ist es wenig spektakulär, die größte Wüste der Welt nachts zu überfliegen – kein Lichtpunkt, keine Wegmarke, die sich für Stunden aus dem Flugzeugfenster ausmachen lassen. Umso erstaunlicher das Lichtermeer, welches sich unvermittelt unter dem KLM-Jumbo ausbreitet.
Nach achtstündiger Flugzeit erreicht der Flieger gegen Mitternacht den Internationalen Flughafen von Accra. Einen Reisenden aus Norddeutschland - Bernard Fathmann aus dem wendländischen Penkefitz - begrüßt Ghana mit einem ungewohnten nächtlichen Hitzeschock: 28°C bei drückender Luftfeuchtigkeit. Der Flieger aus Amsterdam landet mit mehreren Stunden Verspätung in der Hauptstadt von Ghana, Westafrika. Der Fahrer vom Hotel ist mit seinem Willkommensschild längst wieder zuhause. Die Taxifahrer buhlen um den europäischen Gast, kennen aber das Hotel nicht, die Straße auch nicht, Ghana ist kein Reiseland, und die Taxifahrer können nicht lesen. Sinnlos, ihnen die Adresse zu zeigen.
Irgendwann erreicht der Wendländer doch seine Unterkunft, das kleine, gepflegte „Afia Beach Hotel“, am Ende einer Sandpiste, direkt am Ozean. Das Bier ist kühl, die Klimaanlage summt. Der „Donor“, wie Fathmann respektvoll im Hotel genannt wird, ist auf Einladung von „Opportunity International Deutschland“ in das tropische Land gereist.
Tropischen Regenwald für den Bau von Sklavenschiffen abgeholzt
Am nächsten Morgen begrüßt der 25-jährige Patrick Gyabaah den Reisenden: der Mitarbeiter von Opportunity International, einer Hilfsorganisation, die Mikrokredite vergibt, will dem „Donor“ – dem Spender – persönlich vor Ort zeigen, was aus seinen Spenden geworden ist. Für Bernard Fathmann eine Chance, das echte Ghana kennenzulernen – und das System von privater Entwicklungshilfe, welches „Opportunity“ dafür entwickelt hat.
Die Reise beginnt in einem gemieteten Pajero. Fahrer Isaac Okoe soll als erstes Ziel die Provinzhauptstadt Ho im Nordosten ansteuern. An jeder Ampel stürzen sich Straßenhändler auf den dunklen Geländewagen, sie bieten Nüsse, Snacks, Schmuck, Wasserbeutel feil. Nach einer Stunde durch teils dichten Verkehr ist die Stadtgrenze Accras erreicht. Auf einer mautpflichtigen Schnellstraße donnert der Wagen dann durch die sattgrüne, gleichförmige Landschaft.
Der Kahlschlag des einst üppigen Regenwaldes, der sich von der Küste bis weit ins Landesinnere zog, liegt schon 200 Jahre zurück, wie Patrick berichtet: Die britischen Kolonialherren ließen Sklavenschiffe aus den Urwaldriesen bauen. Ghana, etwa so groß wie Großbritannien, liegt zwischen Elfenbeinküste und Togo. Das westafrikanische Land gilt als politisch gefestigt, die Wirtschaftspolitik als schlüssig. Aber trotz enormer Bodenschätze und neu entdeckten Ölvorkommen vor der Küste zählt der Staat nach wie vor zu den ärmsten Ländern der Welt.
Trotz Stabilität und Bodenschätzen ist Ghana arm
Noch 2003 verdiente die Hälfte der Bevölkerung weniger als einen US-Dollar pro Tag. Auf dem UNO-Index der menschlichen Entwicklung von 2009 steht Ghana auf dem 152. Platz von 182 Ländern. Trotz der Ansätze zur Industrialisierung ist Ghana immer noch ein Agrarland: Fast 60 Prozent der Bevölkerung sind in der Landwirtschaft und Fischerei tätig, die meisten davon als Selbstversorger.
Seit der Weltmeisterschaft 2010 kennt jeder Ghana. Und das Drama, das sinnbildlich für das Elend des gesamten schwarzen Kontinents steht. Es steht unentschieden im Viertelfinale zwischen Ghana und Uruguay, die letzte Minute der Verlängerung läuft. Ghanas Top-Stürmer Asamoah Gyan, er hat bereits zwei Tore erzielt, vergibt den entscheidenden Strafstoß und damit die historische Chance, Ghana als erstes afrikanisches Team ins Halbfinale einer Weltmeisterschaft zu schießen. Doch sein Elfmeter knallt an die Latte.
Im anschließenden Elfmeterschießen unterliegen die Afrikaner, und „Gyan stürzt einen ganzen Kontinent in Tränen“, wie eine Zeitung titelt.
Nach anstrengender Fahrt durch die Küstensavanne und zahllose kleine Dörfer kommen wir in Ho an, rund 150 Kilometer nordöstlich von Accra. Ho ist ein zur Provinzhauptstadt angeschwollenes Dorf mit heute 70.000 Einwohnern. Der größte künstliche Stausee der Welt, Lake Volta, ist nicht weit. Wir treffen Donald Dzebo, den örtlichen Filialleiter der Sinapi-Bank, die mit Opportunity zusammenarbeitet.
Es sei mehr als nur ein Kleinkredit nötig, um arme Menschen bei ihrem Weg aus der Armut nachhaltig zu unterstützen. Deswegen hat Opportunity International die so genannte „Trustbank“-Methode entwickelt: 15 bis 30 mittellose Menschen werden in eine Kreditnehmer-Gemeinschaft, eine so genannte Trustbank („Vertrauensbank“) integriert. Sie bürgen füreinander und unterstützen sich gegenseitig in ihrer Geschäftsidee. So wird das Risiko auf viele Schultern verteilt. Mikrokredite sind gerade in Verruf geraten, da einige schwarze Schafe das Entwicklungshilfe-Instrument in Indien mißbrauchen, um damit Geld zu verdienen. Opportunity geht einen konsequent anderen Weg. Die durchschnittliche Höhe der einzelnen Kredite beträgt rund 180 Euro.
Frauen gehen besser mit Krediten um als Männer
Der einzelne Kreditnehmer verpflichtet sich, den Kredit in kleinen Raten mitsamt Zinsen in marktüblicher Höhe nach und nach zurückzuzahlen. Kann ein Kreditnehmer den Kredit nicht abzahlen, haftet die Gruppe für ihn.
Fast 90 Prozent der Kreditnehmer sind Frauen. Frauen bedürften eines besonderen Schutzes und seien zudem noch für durchschnittlich sechs weitere Familienmitglieder verantwortlich, berichtet Donald Dzebu: „Und sie gehen viel verantwortungsvoller mit dem Kapital um als die Männer“.
Die gesamten Gewinne werden bei Opportunity, einer gemeinnützigen Stiftung, wieder in neue Trustbanks investiert - in Menschen mit einer guten Idee. So geht nichts von den Spenden verloren, im Gegenteil: Da von den Klienten moderate Zinsen durchaus entrichtet werden, wächst die Geldmenge, die in neue Projekte investiert werden kann, stetig. Alle religiösen Gruppen werden gefördert, berichtet Dzebu: Traditionalisten ebenso wie Moslems oder Christen. Aber es gibt Bedingungen: Man muss bei „klarem Verstand“ sein, zwischen 18 und 60 Jahren alt (in Ausnahmen werden auch Menschen bis 65 gefördert) und man muss bereits sechs Monate erfolgreich sein Business betreiben.
Dafür werden die Clients auch betriebswirtschaftlich geschult. Wert wird auch auf die Erziehung der Kinder gelegt: für sie werden die Schulgebühren anteilig übernommen.
Donald Dzebu stellt sein Team vor: zehn Mitarbeiter kümmern sich um die vielen hundert Clients, die in der Ho-Region Mikrokredite von Opportunity bekommen. Wir sollen fünf von ihnen kennelernen: Eine Näherin, einen Automechaniker, einen Lehrer, eine Friseurin und einen Landwirt.
Kreditabrechnung nach dem Gottesdienst
In einer nahen Kirche findet gerade ein Gruppentreffen statt. Die 20 Unternehmerinnen treffen sich hier alle 14 Tage dienstags, um nach einem Gottesdienst mit stilechter Gospel-Livemusik – „Praise the lord“ – ihre Kreditraten zurückzuzahlen. Zuerst wird gesungen und getanzt, dann das Geld abgeliefert. „Das ist sicherer, so werden sie nicht überfallen“, berichtet Donald Dzebu.
Danach besuchen wir Marcy Bosrotsi. Die 19-jährige Schulabbrecherin lernt mit der Hilfe von Opportunity bei Schneiderin Bellinda Williams, die eine kleine Nähstube betreibt. Seit 16 Jahren schon sorgt Bellinda für farbenfrohe Kleider, die sich die Frauen von Ho für wenig Geld vor Ort schneidern lassen können.
Ohne Opportunity wäre sie zum Straßenkind geworden
Auch die Auszubildende Vida Amematsro profitiert von Opportunity: Ihre Eltern konnten das Schulgeld nicht mehr aufbringen, sie wäre einfach zum Straßenkind geworden. Dank der Hilfe von Opportunity kann sie sich in „Cele‘s Hair Saloon“ ausbilden lassen. Später, so plant sie, will sie sich mit einem Mikrokredit selbständig machen.
Der 18-jährige Alfred Akabuto schraubt an einem ehemals sehr teuren 5er BMW. In der Nähe des Friseursalons hat er in der kleinen Werkstatt „Second Speed Auto Works“, die von Opportunity unterstützt wird, als einer von vier Jugendlichen einen Ausbildungsplatz gefunden. „Wir sind hier spezialisiert auf europäische ,Exoten‘“, lächelt der Chef. Drei Jahre lernen die Jungen ihr Handwerk, wie in Deutschland.
+++ Fortsetzung folgt +++
Titelfoto: In der westafrikanischen Küstenstadt Aflao zeigt Donald Dzebu (rotes Hemd) von der Hilfsorganisation „Opportunity International“ Bernard Fathmann aus Penkefitz (rechts neben Dzebu) die Karotten, die am Strand geerntet werden können - dank eines ausgeklügelten Bewässerungssystems.
Alle Fotos: Björn Vogt
{{tpl:inlineLB2 |ID=YX8ZDRBWP2}}