Sperrwerk oder Deichausbau? In Gartow diskutiert man seit Monaten, wie der Hochwasserschutz in der Seegeniederung verbessert werden kann. Am Dienstag stellte ein Hydrologe Vergleiche zwischen beiden Varianten vor.
Regelmäßig wiederkehrende Überschwemmungen sind das Lebenselixier der Flora und Fauna in der Seegeniederung zwischen Meetschow, Laasche und Vietze. Fallen diese Überschwemmungen weg, so gehen nicht nur wichtige Brut- und Rastplätze für Wat- und Wasservögel verloren. Auch der hoch geschützte Auwald ist von regelmäßigem Wasserumfluss abhängig. Wegen ihrer Bedeutung als Feuchtgebiet hat die Seegeniederung denn auch innerhalb des Biosphärenreservats den höchsten Schutzstatus (C-Gebiet).
In diesem hochsensiblen Bereich soll eine Hochwasserschutzanlage entstehen. "Die Frage ist nicht, ob der Hochwasserschutz verbessert werden muss, sondern wie das zu machen ist," war am Dienstag Abend bei einer Informationsveranstaltung in Gartow zu hören, auf der eine Studie über Vor- und Nachteile der beiden zur Diskussion stehenden Varianten vorgestellt wurde.
Eingeladen hatte der Gartower Deich- und Wasserverband (GDWV) , der für die Deichsicherheit in seinem Bereich zuständig ist . Er muss letztendlich über die Baumaßnahmen entscheiden und sie auch beauftragen. Im Vorfeld hatte der Verband sich des öfteren deutlich für die Sperrwerksvariante ausgesprochen, vor allem wegen der kürzeren Bauzeit und der geringeren Kosten. Die Problematik führte im vergangenen Jahr zu kontroversen Diskussionen im politischen Raum Gartow.
Das Fazit der Studie vorweg: keine der beiden Varianten hat klare Vorteile. Ob Sperrwerk oder nicht, Rückhalteflächen gehen so oder so verloren. Das Problem lässt sich nicht mit Akzeptanzdiskussionen mit Naturschützern lösen, denn deutsche und europäische Gesetze lassen eine menschengemachte Reduzierung dieser Überschwemmungsflächen nur zu, wenn es zwingende Gründe gibt. Und: die verloren gegangenen Flächen müssen zwingend ausgeglichen werden - und zwar in der Nähe. Infrage kämen auch Gebiete auf der anderen Elbseite, auch wenn sie in einem anderen Bundesland liegen.
Einfach wird es nicht
Nüchtern referierte Dr. Dr. Dietmar Mehl vom biota Institut am Dienstag Abend über die komplexen Anforderungen und Auswirkungen, die bei der jeweiligen Variante zu berücksichtigen sind, wobei er sich auf die Bereiche Naturschutz, Gewässerschutz und Hochwasserschutz konzentrierte.
Nach seinem rund 50-minütigen Vortrag wurde den rund 60 Anwesenden klar: eine schnelle Vorfestlegung auf eine Variante wird es nicht geben können, zu komplex rechtliche Vorgaben, naturschutzfachliche Tatsachen und Überlegungen sowie hydrologische Wirkmechanismen. Auch die Tatsache, dass das Wasserhaushaltsgesetz eine vorausgehende ernsthafte Suche nach Alternativen vorschreibt, macht eine Entscheidung nicht leichter.
Was die Reduzierung von Wasserausdehnungs(Retentions)flächen angeht, so ist i n mehreren Paragraphen im Wasserhaushaltsgesetz (WHG) festgelegt, dass
- Überschwemmungsgebiete in ihrer
Funktion als Rückhalteflächen zu erhalten sind. Allerdings kann in zwingenden Fällen eine Genehmigung erteilt werden. Es muss aber nachgewiesen werden, dass nach Alternativen gesucht wurde.
- zerstörte Retentionsflächen zwingend ausgeglichen werden müssen. Diese Kompensationsflächen dürfen dabei nicht zu weit von den verminderten Flächen entfernt liegen und können nicht durch Geld ausgeglichen werden.
Sperrwerk oder Deichausbau?
(Anmerkung: die vorgesehene Lage des Sperrwerks bzw. der betroffenen Deiche sowie zahlreiche Daten zu Vorgaben und Auswirkungen sind in der biota-Präsentation detailliert dargestellt. Sie steht auf der Internetseite der Samtgemeinde Gartow zum Download bereit)
Sperrwerk: Um die Überschwemmungsgebiete weitestgehend zu erhalten, dürfte ein Sperrwerk möglichst spät geschlossen werden - also bei einem recht hohen Wasserstand. Das wiederum bedeutet, dass das Sperrwerk "sehr groß" sein müsste, wie es ein Mitarbeiter des NLWKN ausdrückte. Dimensionen wie die des Hitzackeraner Schöpfwerks - mit einer Pumpleistung von 60 Kubikmeter/Sekunde - waren auf der Veranstaltung im Gespräch.
In der Seegeniederung ist noch höhere Pumpleistung als in Hitzacker notwendig, wenn - wie vorgesehen - aus Nordosten, dem im Sachsen-Anhaltinischen fließenden Aland, Wasser in die Seege gepumpt wird. Die Anlage für die sogenannte 'Aland-Überleitung' ist inzwischen betriebsbereit, ob, wie und wieviel von hier aus jemals übergepumpt wird, bleibt bisher im Dunkeln. Die Studie geht aber davon aus, dass diese womögliche Überleitung in der Planung berücksichtigt werden und deswegen eine sehr hohe Pumpkapazität (rund 77 Kubikmeter pro Sekunde) eingeplant werden muss.
Bei der Sperrwerkvariante würde ein deutlicher Verlust an Rückhalteflächen entstehen - je nachdem wie früh das Tor geschlossen wird. Dementsprechend müssen auch größere Ausgleichsflächen gefunden werden.
Diese Maßnahme könnte innerhalb von rund 10 Jahren fertiggestellt werden - mit weitaus niedrigeren Kosten als sie beim Deichausbau anfallen würden.
Deichausbau: Nach der Studie gibt es keinen Verlust an Rückhalteflächen. Durch umfangreiche und längerdauernde Baumaßnahmen wird das Gebiet jedoch längerfristig belastet. Das Plan-, Genehmigungs- und Bauverfahren würde 30 Jahre und mehr dauern. Die Kosten wären um ein Vielfaches höher als bei einem Sperrwerk.
Für beide Varianten wird eine mögliche Deichrückverlegung im Bereich Meetschow als mögliche Ausgleichsmaßnahme für Retentionsraumverlust berücksichtigt. Aber auch dies birgt Probleme - zum einen stehen die Flächen nicht problemlos zur Verfügung, zum anderen ginge hier wertvoller Auwald verloren.
Was passiert in den Regionen ringsum?
Schon im vergangenen Jahr wurde bei der Vorstellung der vom NLWKN erstellten "Machbarkeitsstudie zum Hochwasserschutz" deutlich kritisiert, dass länderübergreifende Wirkmechanismen im Flusslauf nicht berücksichtigt worden sind. Auch am Dienstag Abend gab es diese Kritik. Die schlichte Antwort von Dr Mehl: "Das war nicht mein Auftrag für die Studie."
Heinrich König vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz betonte allerdings, dass die länderübergreifende Zusammenarbeit funktioniere und permanent fortgeführt werde. Dennoch blieb an diesem Abend offen, ob den Zuständigen geplante oder umgesetzte hochwassermindernde Projekte in anderen Elbregionen bekannt sind.
Ob eine Genehmigung - für welche Variante auch immer - erteilt wird, wird wohl entscheidend davon abhängen, ob u. a. diese Faktoren geklärt sind. Denn: Geld gibt es nur, wenn gemeinsam gedacht wird. Wie sagte ein Redner in der Fragerunde? "Wir müssen die Brille weiter ziehen."
Nicht angesprochen wurde auf der Veranstaltung die Frage, ob sich diese isolierte Hochwasserschutzmaßnahme nicht erübrigt, wenn die Sanierungen der zahlreichen Deiche, die nach einer NLWKN-Studie dringend erhöht bzw. ertüchtigt werden müssen, abgeschlossen sind.
Bei allen Problemen muss aber eine Lösung gefunden werden, denn - wie von einem NLWKN-Vertreter zu hören war - das Land wird darauf drängen, dass der unzureichende Hochwasserschutzstatus zwischen Gartow, Laasche und Meetschow behoben wird.
Ernst-August Schulz als Vorsitzender des GDWV sah die Veranstaltung als Beginn eines öffentlichen Prozesses zur Findung der bestmöglichen Variante. "Die Kriterien sind sehr zahlreich und komplex," so Schulz. "Deswegen müssen wir den Weg mit allen Beteiligten zu Ende gehen."
Die Studie der biota, die Präsentation von Dienstag sowie die NLWKN-Machbarkeitsstudie aus dem vergangenen Jahr stehen unter dem Stichwort "Hochwasserschutz" auf der Website der Samtgemeinde Gartow zum Download zur Verfügung.
Foto | Angelika Blank: In der ausgedehnten Seegeniederung soll eine Hochwasserschutzanlage entstehen. Ob es ein Deich oder ein Sperrwerk werden wird, ist noch unklar. Die rote Linie markiert die Höhe, die das Bauwerk voraussichtlich haben wird.