Thema: mobilität

Inforeise: Mobilität im Wendland neu gedacht

Wie soll die Mobilität der Zukunft im Wendland aussehen? Eine Infotour des Regionalentwicklungs-Vereins "Region Aktiv" nach Augsburg und Reutlingen brachte den Reisenden neue Impulse.

Aus Sicht des Klimaschutzes ist die Frage nach der Zukunft der Mobilität im Wendland eine der schwierigsten. Weite Strecken, weit voneinander entfernt liegende Arbeitsplätze, Einkaufsmöglichkeiten oder Ärzte, machen einen Verzicht auf das eigene Auto so gut wie unmöglich.

Eine kleine Gruppe aus Vertretern der "Region-Aktiv" Initiative sowie Kommunalpolitikern, Verkehrspraktiker sowie Vertretern der Initiative "Fridays for Future" informierten sich kürzlich in Augsburg und Reutlingen über Konzepte, wie sie dieses komplizierte Problem angehen. Nach eigenem Bekunden nahmen sie dabei zahlreiche positive Impulse mit.

Dieter Schaarschmidt, Vorstandsmitglied in der Regionalentwicklungsinitiative "Region Aktiv" und Mitarbeiter der grünen Landtagsabgeordneten Julia Verlinden, berichtet über die Reise.

Stadtwerke Augsburg - Biogasmobilität

Die Verantwortlichen der Stadtwerke in der bayerischen Großstadt sind nicht davon überzeugt, dass mit der Umstellung auf elektisch betriebene Busse ein günstigerer und sauberer Betrieb möglich ist. Die Stadtwerke setzen auf Biogas - bereits 2011 ist die gesamte Busflotte auf die Niederflur-Biogastechnologie umgestellt worden.

Herr Klaus Röder, zuständig für den Bereich „rollendes Rad“ bei den Stadtwerken, sieht es wegen mangelnder Vorteile gar nicht ein, seine vorbildliche Busflotte mit E-Bussen zu ergänzen. Er hofft, dass Bundesverkehrsminister Scheuer sein Versprechen an ihn hält, dass die Quoten für E-Busse bei der Umsetzung in deutsches Recht nur national gelten und nicht für jedes Busunternehmen.

Im Betriebshof werden nicht nur die 85 großen Busse, sondern auch 50 Taxis und der städtische Fuhrpark mit 390 Fahrzeugen mit Biogas betankt. Für etwa 1600 private PKW stehen außer dieser Tankstelle weitere 4 Tankstellen in Augsburg zur Verfügung.

Sichtlich beeindruckt von diesem modernen Busunternehmen zeigte sich auch Stefan Irro, der als Geschäftsführer der Lüchower Verkehrsservice GmbH&Co.KG, ein relevanter Akteur des ÖPNV im Auftrag der kreiseigenen LSE (Lüchow-Schmarsauer Eisenbahn) ist und mit dessen Bus die Gruppe auf Tour ging. Er resümiert: „Ich bin technologieoffen und habe festgestellt, dass eine Umstellung auf Biogasbusse machbar und wirtschaftlich darstellbar ist. Wenn der Landkreis dies wünscht, werden wir dies umsetzen können“.

Mit einem weiteren Angebot für die Augsburger Kunden haben die Stadtwerke ihre Gäste beeindruckt. In Augsburg gibt es eine „Mobil-Flatrate“. Für 79 Euro kann jeder Bürger alle Verkehrsmittel nach eigenem Bedarf nutzen. Da kommt es den Stadtwerken zugute, dass sie neben Straßenbahnen und Bussen auch 200 Carsharing-Fahrzeuge und 50 Fahrradstationen betreiben und alles aus einer Hand anbieten können. Für Senioren gibt es das 99 Cent-Ticket, es gilt erst ab 9 Uhr und soll die morgendliche Rushhour entlasten.

Mit einer Mobilitäts-App wollen die Augsburger in einem halben Jahr alle Mobilitätsangebote bündeln. Auch eine kleine Überraschung für die Wendländer war, dass sie beim Einchecken in das Hotel am Hauptbahnhof alle ein ÖPNV-Ticket inklusiv erhielten, mit dem ganz Augsburg erkundet werden könnte, wenn die Zeit dafür reichte. Diesen Service erhalten alle Touristen in Augsburg.

Reutlingen – Modellprojekt für das 1 Euro-Ticket

Am Freitag ging die Reise weiter nach Reutlingen. Dort läuft ein Modellprojekt "1 Euro-Ticket". Auf dieses weltweit erste Projekt angesprochen, reagierte der Leiter des Amtes für Stadtentwicklung in Reutlingen, Herr Stefan Dvorak entschieden. Er findet es nicht gut, den ÖPNV ganz kostenlos zu machen, denn noch umweltfreundlicher seien zu Fuß gehen und Radfahren und dafür müsse es auch noch einen Anreiz geben.

Deshalb halten sie das 1 Euro oder besser 365 Euro Jahresticket für den besseren Weg. Reutlingen gehört als „Lead-City“ zu einem von fünf Modellprojekten, die vorbildlichen ÖPNV für zwei Jahre gefördert bekommen. Für die Reutlinger diente wiederum Wien als Vorbild, die schon 2012 das 1 Euro-Ticket eingeführt haben. Sie nutzten die Gunst der Stunde und haben ihr ganzes Stadtbusnetz umgekrempelt, denn bei diesem Modellprojekt wird nicht nur das 1 Euro-Ticket zu 95% vom Bund bezuschusst, sondern auch die Anschaffung von Fahrzeugen und die Infrastruktur.

Die Debatte über womöglich einzuführende Fahrverbote wegen überhöhter Feinstaubbelastungen hat nach Einschätzung der Reiseteilnehmer auch dazu beigetragen, dass die Stadträte bereit waren, den ÖPNV stark zu fördern und die Autos aus der Innenstadt zu vergraulen. Das ist sicher auch ein Grund dafür, dass sich Reutlingen dazu entschlossen hat, ihre Busflotte schrittweise auf E-Busse umzustellen. Bis 2030 wollen sie 100% erreichen.

Im ersten Jahr des Modellprojektes (2019) wurde die Zahl der Fahrgäste um 1 Million gesteigert, für 2020 wird mit einer weiteren Million gerechnet. Dabei wurde der Takt auf mindestens alle 20 Minuten verdichtet, selbst sonntags mindestens alle 30 Minuten im ganzen Einzugsgebiet, in der Innenstadt weit häufiger.

Auch für die bessere Erschließung des ländlichen Umlandes wird viel getan. Die Stadtbahn bis zur etwa 50 km entfernten schwäbischen Alb soll ab 2022 mit neuartigen Straßenbahnen, die auf stillgelegten Bundesbahn-Schienen verkehren sollen, wiederbelebt werden. Die Förderbescheide in Höhe von 80 bis 95% liegen bereits vor.

Realität ist aber auch, dass die Stadt Reutlingen nach Auslauf der Förderung den ÖPNV in ihrer Stadt statt mit bisher 700 000 Euro pro Jahr mit dann 4,5 Millionen Euro bezuschussen muss.  "Doch das ist es der Stadt wert," schätzt Dieter Schaarschmidt die Bereitschaft der Reutlinger Kommunalpolitiker ein. "Sie wissen, noch mehr Autos verkraftet die Stadt nicht. Aber mit dem Modellprojekt wurden bisher auch schon 22 Millionen Euro an Fördermitteln in eine klimafreundliche Infrastruktur investiert und die Luft damit in Reutlingen deutlich sauberer."

Alexandra Schramm, die Geschäftsführerin der kreiseigenen LSE hat viele Anregungen aus Augsburg und Reutlingen mitgenommen: "Die Städte Augsburg und Reutlingen sind nicht mit dem dünn besiedelten Lüchow-Dannenberg vergleichbar," Schramm. "Während in den Städten 2.000 Menschen pro km2 leben, sind es im Wendland nur 40. Trotzdem möchte ich die besten Ideen übernehmen und eigene Zielvorstellungen entwickeln." Besonders an der Entwicklung einer Mobilitäts-App mit einem „on demand“-System hat sie großes Interesse, um individuelle Mobilitätsbedürfnisse in Echtzeit zu erfüllen, berichtet Dieter Schaarschmidt.

Hohe Förderquote nur für kurze Zeit

Wie geht es nun weiter, nach dieser Busreise? Die 14 TeilnehmerInnen wollen an dem Thema dran bleiben. Landrat Jürgen Schulz hat zugesagt, das Thema im nächsten Verkehrsausschuss und im nächsten Kreistag auf die Tagesordnung zu setzen. Und die Zeit drängt, betont der Initiator der Reise und Vorsitzende von Region Aktiv, Dieter Schaarschmidt. "Die hohe Fördermittelquote für Biogasbusse wird voraussichtlich nur von kurzer Dauer sein und auch die 10 Modellprojekte für Mobilität sind sicher schnell vergeben," plädiert Schaarschmidt für schnelle Entscheidungen.

Foto | Schaarschmidt: Werkstattmeister Karl Kast zeigt den Wendländern seine Buswerkstatt in Augsburg



 


2020-03-09 ; von asb/pm (text),
in Lüchow-Dannenberg, Deutschland

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