Kritische Worte zur Atomkraft sind jüngst aus einer Richtung gekommen, die sich bislang eher zurückhaltend in dieser Sache gezeigt hat: von der katholischen Kirche. Genau gesagt: vom katholischen Forschungsinstitut für Philosophie in Hannover.
Anstoß zur Stellungnahme jenes Instituts, das eine weitere Nutzung der Atomkraft für moralisch bedenklich hält, gab ein Besuch des bischöflichen Generalvikars Dr. Werner Schreer im Erkundungsbergwerk Gorleben.
Generalvikar: Ängste im Wendland ernst nehmen
Nach dem Bischof ist der Generalvikar einer der ranghöchsten Repräsentanten der katholischen Kirche in Bistum Hildesheim, zu dem auch Lüchow-Dannenberg gehört. Schreer forderte im Rahmen seines Besuchs, dass die Bevölkerung bei einer weiteren Erkundung des Salzstocks „angemessen mit einbezogen“ wird. „Als Christen haben wir den Auftrag, uns um die Bewahrung der Schöpfung zu bemühen“, sagte der Generalvikar in Gorleben. Man müsse daher die Bedenken und Ängste der Menschen im Wendland ernst nehmen, aber auch die möglichen Umweltbelastungen künftiger Generationen im Blick haben.
Atomkraft gefährdet Umweltbedingungen
„Kirche – Kernenergie – Klimawandel“, so lautet der Titel der 23-seitigen Stellungnahme, die das Forschungsinstitut für Philosophie nun im Auftrag von Generalvikar Schreer erarbeitet hat. Die Atomkraft sei eine Technologie, die die Sicherung lebenszuträglicher Umweltbedingungen gefährdet, stellt das Institut fest. Es verweist in diesem Zusammenhang unter anderem auf die Möglichkeit von Katastrophen durch menschliches oder technisches Versagen sowie auf das Problem der Zwischen- und Endlagerung radioaktiver Abfälle.
AKW-Weiterbetrieb verletzt Gemeinwohl
Die Verfasser der Studie verweisen auf die Verantwortung für künftige Generationen und geben zu bedenken, dass diese in puncto Atomkraft „nicht Teilnehmer am runden Tisch sind und nicht mit entscheiden können“. Das Institut unterstreicht: Atomkraftwerke hätten erst zu einem Zeitpunkt gebaut werden dürfen, an dem unter Berücksichtigung des Stands der Technik ein überzeugendes Konzept für eine Endlagerung vorgelegen hätte. Wörtlich heißt es in dem Papier: „Man hätte sich demnach nicht mit dem Vorgehen einer Zwischenlagerung atomarer Abfälle und mit der bloßen Hoffnung auf die zukünftige Entwicklung eines tragfähigen Konzepts für eine Endlagerung zufrieden geben dürfen. Dass ein solches Konzept bis heute nicht vorliegt, macht den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken zu einer Verletzung der fundamentalen Gemeinwohlpflichten politischer und wirtschaftlicher Eliten.“
Keine wirkliche Verantwortung möglich
Die Entsorgung atomarer Abfälle betreffe eine Zeitdimension, für die die gegenwärtige Generation schon aus grundsätzlichen Erwägungen keine wirkliche Verantwortung übernehmen könne, heißt es in der Studie. Dies gelte auch und so lange, wie keine wirklich sichere Endlagerung garantiert werden kann. Die Sicherheit der Behandlung und Verbringung der Abfälle müsse unabhängig von jeder denkbaren künftigen Entwicklung menschlicher Zivilisation gewährleistet werden. „Es hätte zudem die Frage geklärt werden müssen, wie denn die Tradierung des dazu notwendigen Wissens über Jahrhunderte, Jahrtausende garantiert werden kann“, schreiben die Wissenschaftler.
Wissenschaftler und Politiker haben versagt
Mit Blick auf die Vorgänge im atomaren Lager Asse bilanziert das katholische Institut: „Wissenschaftler, Politiker und Mitglieder der Atomindustrie haben versagt; sie haben ihre Gemeinwohlpflichten verletzt.“ Bei der Atommüll-Problematik gehe es nicht allein um Technisches, sondern auch um eine moralische Frage, geben die Verfasser der Stellungnahme zu bedenken. Die Menschen, die als Funktionsträger in Institutionen, in Wissenschaft, Atomindustrie und in Nuklearmaterial nutzenden Institutionen tätig sind, hätten eine Verantwortung, „zu der es auch gehört, für etwas einzustehen, das sie als Individuen jeweils nicht nur allein zu verantworten haben“.
Wer die entsprechende Verantwortung trage, habe die Aufgabe, „alle Sachprobleme in der Öffentlichkeit transparent zu kommunizieren, Unsicherheiten und Ungewissheiten zu benennen, das heißt, sie offen und ehrlich mit den betroffenen und besorgten Bürgerinnen und Bürgern zu besprechen.“ An die Politiker, die beteiligten Wissenschaftler und die Entscheidungsträger in der Atomwirtschaft sei klar und deutlich die Frage nach ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu stellen.
Wie ein Flugzeug ohne Landebahn
Die ungelöste Endlagerfrage kommentiert die Studie, man habe mit der Nutzung der Atomkraft - bildlich gesprochen - „ein Flugzeug gestartet, ohne am Ankunftsort eine Landebahn zu haben.“ In Deutschland gebe es lediglich eine politisch und gesellschaftlich strittige Vorfestlegung auf das Erkundungsbergwerk Gorleben. Es müsse eine fachlich fundierte, gesellschaftlich akzeptable und nach Atomrecht geregelte Lösung gefunden werden. Die Studie fordert eine unvoreingenommene Abklärung des sichersten Endlagermediums, eine Öffnung auf die internationale Diskussion und eine offensive Beteiligung der Öffentlichkeit. „Zudem sollten die Probleme nicht durch eine Verlängerung der Restlaufzeiten noch verschärft werden“
Atomkraft keineswegs klimaneutral
Denjenigen, die sich mit dem Argument „ CO2 einsparen“ für die Atomkraft aussprechen, hält das Institut entgegen: „Der aktuelle Beitrag zur Einsparung von CO2 durch Kernkraftwerke ist, gemessen am Gesamtausstoß klimaschädlicher Gase, gering.“ Die Atomkraft sei im Vergleich mit den anderen Verursachern zwar CO2-arm, aber sie sei deshalb keineswegs klimaneutral. Bei der Gewinnung, der Aufbereitung und dem Transport des Brennstoffes, beim Bau und Rückbau von Atomkraftwerken und bei der Endlagerung werde CO2 ausgestoßen. Noch entscheidender sei jedoch, dass diese Technologie auf einem Rohstoff basiert, dessen Vorkommen endlich ist und überhaupt nur einen kleinen Teil des Weltenergiebedarfs decken könnte.
Umbau der Energieversorgung gefährdet
Die weitere Nutzung Atomkraft verzögert und gefährdet nach Überzeugung der Studie den dringend gebotenen Umbau der Energieversorgung, durch den die katastrophalen Folgen des Klimawandels unverzüglich eingedämmt werden müssten. Die längerfristige Nutzung der Atomkraft führe dazu, dass „der alte technologische Referenzrahmen des Handelns“ nicht verlassen werde. „Wer neue Wege gehen will, der ist gut beraten, die alten möglichst rasch zu verlassen“, mahnen die Wissenschaftler. Aus diesem Grund sei es widersprüchlich, zu meinen, die durch eine Laufzeitverlängerung erwirtschafteten Mittel könnten doch für die Förderung eines Energieumbaus eingesetzt werden.
Durchschaubare Zweckargumente
Auch eine zu befürchtenden „Stromlücke“ und hohe Stromkosten führen Befürworter einer Laufzeitverlängerung gern ins Feld. Das aber, so das Institut, seien „durchschaubare Zweckargumente und interessengeleitete Zurechnungen“. Eine zielgerichtete und entschlossen handelnde Energiepolitik könne und müsse diese Befürchtungen widerlegen. „Auch wenn in anderen Ländern noch weitere Atomkraftwerke geplant und errichtet werden, ist und bleibt der Ausstieg zentral für die Rolle Deutschlands in der Frage eines rechtzeitigen und wirksamen Einstiegs in einen nachhaltigen Umgang mit Energie auf dieser Welt“, heißt es in der Stellungnahme.
Fazit: Atomkraft kann nicht bejaht werden
Das katholische Fachinstitut kommt zu dem Fazit: Die Zulässigkeit der friedlichen Nutzung der Atomenergie kann nicht bejaht werden. Es müsse bei dem einmal beschlossenen Ausstieg aus der Atomkraft bleiben. Knapp und kurz hat die „Kirchenzeitung für das Bistum Hildesheim“ in ihrer Überschrift zum Bericht über die Stellungnahme deren Aussage zusammengefasst: „Atomkraft? Nein danke!
Der gesamte Text der Studie kann im Internet - hier - heruntergeladen werden.
Foto: Karin Behr / publixviewing
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