Thema: reise

Wenn eine keine Reise tut

dann kann sie trotzdem was erzählen. Christa Tornow ist, nach eigener Einschätzung, nicht der Abenteurertyp. Muß sie auch nicht, denn es gibt ja Reisebücher. Also reist sie, mit ihrer musikalischen Begleiterin Christa Ilgner, lesenderweise durch die Welt. „Ich und – sagen wir mal – Kolumbus“ heißt ihr gemeinsames Programm, und das ist ein heißer Tip für die kalten Tage zwischen Weihnachten und Sylvester.

Christa Tornow liebt und sammelt schon lange Reisebücher der besonderen Art, also Berichte von Expeditionen oder alte Bordbücher, kurz: Bücher von Menschen die in früheren Zeiten ferne Länder bereisten. Also, hoch verehrtes Publikum, nehmen Sie Platz, stellen Sie das Rauchen und Gespräche mit den Sitznachbarn ein, vielleicht schließen Sie die Augen, lehnen sich zurück. Und machen Sie sich auf etwas gefaßt, denn heute erforschen wir an einem Abend mit Lewis und Clark den amerikanischen Kontinent, reisen mit Amundsen zum Südpol und spazieren neben Johann Gottfried Seume nach Syrakus – alles, ohne Koffer und auch ohne Jetlag.

Diese Art zu reisen hat nichts mit heutigem Tourismus zu tun; man fährt nicht mit dem Auto zum Flughafen, fliegt nicht in ein südlich gelegenes Hotel, von dem man mit dem Taxi an irgendeinen abgezäunten Strand chauffiert wird – statt dessen bleibt man sitzen, wo man ist, und lernt doch beträchtlich mehr über fremde Länder und Kulturen als die hypermobilen Kerosinverbraucher.

Damals, als diese Bücher geschrieben wurden, war Reisen noch eine Kunst, manchmal sogar Überlebenskunst. Und so sitzen wir am gemütlich flackernden Kamin und hören schaudernd von den Strapazen einer „lustigen“ Seefahrt, der unglaublichen Kälte am Nord- oder Südpol, den „Entdeckerfreuden“ im südlichen Afrika, wo die Herren Livingstone und Stanley – von Hunger, Moskitos und Fieber gepeinigt – einen Kontinent erforschen wollten.

Und wir lernen den Unterschied kennen zwischen einem Geheimrat Goethe, der auch in Italien nur sich selber suchte, und einem Georg Forster, der im Gefolge des großen Seefahrers James Cook mit unermüdlicher Neugier und fast kindlichem Staunen Pflanzen, Tiere und Kultur der Pazifischen Inseln erforschte. Wir erfahren von der rassistischen Kehrseite des Herrn Brehm, dessen Tierleben noch heute in vielen Bücherschränken steht, und auch davon, daß Sklavenhandel keineswegs eine Erfindung der weißen Eroberer Afrikas war.

Oder wie die frommen Jesuiten fast 200 Jahre in Südamerika riesige KZ-ähnliche Indiolager unterhielten, bis es sogar dem Papst zuviel wurde. Wir lernen, wie man Skorbut mit Sauerkraut bekämpft und daß Hundefleisch auf die Dauer fad schmeckt.

Wir hören über Völker und Mythen von denen, die sie einst entdeckten – und wir denken vielleicht für einen Augenblick daran, daß wir, die Nachfolger der Entdecker, diese Völker samt ihren Mythen fast vollständig ausgerottet haben.

Daß dieser Abend keine öde Vorlesung in irgendeiner Volkshochschule wird, liegt auch an den launigen Zwischentexten von Christa Tornow – und natürlich an Christa Ilgner: Sie spielt vom Shanty bis zu „Rule Britannia“, vom Spiritual bis Telemann ironische Kommentare zum großen Abenteuer mit der guten alten Quetschkommode, dem Keyboard oder einem Spinett.

Das alles ist nicht nur ein Ohrenschmaus oder lehrreich, sondern auch zuweilen richtig komisch, zum Beispiel, wenn ein wackerer Seemann monatelang den Pazifik durchkreuzt um dann zu melden, daß dort nichts als Wasser zu finden sei – das gesuchte Australien hatte er schlicht übersehen. Oder wenn jemand gelehrte (und etwas ängstliche) Betrachtungen darüber anstellt, welche Anstrengung es erfordern mag, auf der einen Seite an den Äquator hoch, und auf der anderen Seite wieder hinunter zu segeln – schließlich hatte sich erst kurz zuvor herausgestellt, daß die Erde eben keine Scheibe ist. Nur unter den Seeleuten hatte es sich längst noch nicht herumgesprochen – mit nachhaltigen Folgen für das „Betriebsklima“ auf hoher See.

Die Zeiten haben sich geändert, Mallorca ist heute fest in deutscher Hand, und zum Shoppen fliegt man mal eben nach New York. Die Welt ist – scheinbar – klein geworden und Reisen ist, außer in der Jemenitischen Wüste vielleicht, kein Abenteuer mehr. Also weg mit TUI und Billigfliegern, her mit den großen Reisebüchern. In der Orgelplantage Krummasel naschen wir am 28. und 30. Dezember, jeweils 19.30 Uhr, ein paar Appetithäppchen, und dann nichts wie auf zur nächsten Bibliothek oder Buchhandlung – der Winter wird noch lang.




2008-11-28 ; von zero (autor),

reise  

Kommentare

    Sie müssen registriert und angemeldet sein um einen Kommentar schreiben zu können