„Die Endlagerung radioaktiven Abfalls ist eine nationale Frage und kein Problem einer einzelnen Region. Und: wir müssen bei der Standortsuche völlig neue Wege gehen“, so das einhellige Resümee von Landesbischof Ralf Meister sowie Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, nach ihrem zweitägigen Besuch im Wendland.
Vier Wochen vor dem geplanten nächsten Castortransport war es der Leitung der Evangelischen Kirche wichtig, sich vor Ort einen Eindruck von der Debatte um die Einrichtung eines atomaren Endlagers in Gorleben zu machen. Einen ganzen Tag lang sprachen der Landesbischof von Niedersachsen sowie der Ratsvorsitzende der Evangelische Kirche in Deutschland in Lüchow-Dannenberg mit Kirchenvorständen und -vertretern aus der Region, besichtigten das Betriebsgelände in Gorleben, sprachen mit den Betreibern und nicht zuletzt mit Vertretern der Initiativ-Gruppe „Schulterschluss“.
Bei der abschließenden Pressegespräch in Gartow zeigte sich nicht nur EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider bewegt von dem, was ihm während der vielen Gespräche berichtet wurde: „Wir sind bis zum Rand gefüllt mit Informationen und intensiven menschlichen Begegnungen, bei denen uns viel Vertrauen entgegen gebracht wurde. Die Menschen berichteten uns ungeschützt, was sie bedrückt und ihnen Mühe macht.“
Für Schneider hat sich nach seinem Besuch die schon früher kritische Haltung der Evangelischen Kirche noch verstärkt. „Unser Eindruck ist, dass Gorleben ausgesucht wurde und erst danach die Bedingungen für eine Einlagerung von hochradioaktivem Abfall dem Standort angepasst wurden. Dadurch ist in der Bevölkerung eine tiefe Vertrauenskrise entstanden,“ so Schneider in Gartow.
Die Geschichte der Atommüll-Entsorgung sei eine Geschichte des Unterschätzens. So wurden nach Schneider (unter anderem) sowohl die Problematik des Abfalls, der Zeitbedarf aber auch der Widerstand sowie die Widerstandsfähigkeit der wendländischen Bevölkerung unterschätzt.
Ein neuer Anfang in der Endlagersuche ist notwendig
„Deshalb braucht es einen neuen Anfang in der Endlagerpolitik,“ so der EKD-Ratsvorsitzende. Um dieses voran zu treiben, müsste bei den Menschen in der Region allerdings neues Vertrauen aufgebaut werden. Ein erster Schritt zur Vertrauensbildung wäre es, die Erkundung in Gorleben umgehend zu stoppen, um ein deutliches Signal zu setzen. Schneider kündigte die Menschen vor Ort in dieser Hinsicht zu unterstützen.
Des weiteren gehöre zum Neuanfang, dass ein klares Konzept erstellt werde, wie mit Atommüll umgegangen werden soll. „Und dieses neue Gesetz muss in voller Transparenz und unter Beteiligung der Öffentlichkeit entwickelt werden,“ so Schneider.
Landesbischof Ralf Meister ergänzte die Ausführungen des Ratsvorsitzenden. „Ich habe vor meinem Besuch erwartet, hier technische Schlüsselprobleme erklärt zu bekommen. Statt dessen habe ich viele Menschen getroffen, die seit Jahrzehnten zutiefst verunsichert sind und sich wegen der über ihre Köpfe hinweg getroffenen Entscheidungen oft „als Exilanten in ihrer eigenen Heimat“ empfinden.“
Dieses Erleben hat den Landesbischof sehr bewegt und und „mich in der Haltung der Landeskirche, die Erkundung in Gorleben zu stoppen, deutlich bestärkt“. Denn nur so könne ein fairer Vergleich möglicher Standorte zustande kommen.
Chancen zu Offenheit und Transparenz erneut vertan
Zur möglichen Absage des Castortransports nach Bekanntwerden überschrittener Grenzwerte mochten sich weder Landesbischof noch der Ratsvorsitzende deutlich positionieren. Aber im Umgang mit der kürzlich bekannt gewordenen Überschreitung der Grenzwerte sieht Meister „noch ein Stück mehr Verlust an Glaubwürdigkeit“. Hier sei erneut eine Chance, die Überprüfung transparent und offen zu gestalten, nicht wahrgenommen worden.
Für den Ratsvorsitzenden war es außerdem ein „enttäuschendes Votum“, dass der Dannenberger Kartoffelsonntag mit dem Castortransport nicht belastet werden soll, diese Rücksichtnahme aber für den 1. Advent nicht gilt.
Dialog nicht nur einseitig führen
Was den sogenannten „Gorlebendialog“ des Bundesumweltministeriums angeht, so wies Schneider darauf hin, dass ein Dialog nicht daraus bestehe, den Menschen etwas erklären zu wollen, sondern dass zu einem Dialog auch gehöre, dass man dem Gegenüber zuhöre.
„Ich nehme Bundesumweltminister Röttgen ab, dass er es mit einer ergebnisoffenen Suche wirklich ernst meint. Deswegen nehme ich auch an, dass er mithelfen wird, dass die Endlagerfrage nicht wieder zu einem regionalen Thema degradiert wird“, so Schneider zur Sorge, dass das Endlagerthema zu einem reinen „Wendland-Problem“ verkommt. Und Ralf Meister ergänzte: „Für die Evangelische Kirche ist es klar, dass das Endlager mindestens ein nationales, wenn nicht gar ein europäisches Thema ist.“
Angesichts der langen Zeiträume sieht Schneider das Entsorgungsthema als „Ewigkeitsproblem“, dass nicht in kurzer Zeit zu lösen sei.
PS: Am Wochenende kündigte Bundesumweltminister Norbert Röttgen an, am 11. November mit den Ministerpräsidenten aller Länder über einen Neuanfang in der Endlagersuch zu beraten.
Foto: Angelika Blank / Informierten sich im Wendland über die atomare Endlagerung: Landesbischof Ralf Meister (re.), EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider (mi.), emfangen und begleitet wurden sie vom Endlagerbeauftragten der Evangelischen Kirche, Pastor Eckhard Kruse aus Gartow (li.)