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Kommentar: Mörder, Medien und Voyeure

Da bringt einer in Norwegen massenhaft Menschen um. Da klagt ein verurteilter Entführer und Kindsmörder auf Schmerzensgeld, weil ihm während des Verhörs Gewalt angedroht worden war, um so das Leben des von ihm entführten Kindes zu retten.. Helmut Koch über die Rolle der Medien.

So weit, so schlimm. Wirklich schlimm wurde und wird das alles jedoch erst durch die Medien. Gerade diese speziellen Mördertypen wollen und brauchen die Öffentlichkeit. Sie erzeugen sie, um sich dadurch Macht und Wichtigkeit vorzugaukeln. Auch wird jede/r mit einer ähnlich krankhaften Persönlichkeitsstruktur durch den aufgeilenden Umgang der Medien mit diesen Taten dazu ermutigt, es ihnen nachzumachen.

Denn sie können sicher sein: die Medien werden dafür sorgen, daß mein Gesicht auf der ganzen Welt gezeigt wird, daß mein Name unzählige Male genannt und meine Geschichte in allen Details dargestellt wird. Sie werden dafür sorgen, daß ich von null auf hundert eine auf dem ganzen Planeten zur Kenntnis genommene Berühmtheit bin. Gibt es einen größeren Gefallen, den man einem Narzißten erweisen kann? Gibt es etwas Effektiveres, um Nachahmungstäter zu ermutigen?

Natürlich soll und muß über solche Taten berichtet werden. Aber wem helfen Namen oder Gesichter des Täters – außer vielleicht den nächsten Angehörigen der Opfer (aber das ließe sich anders lösen)? In der allgemeinen Öffentlichkeit, in den Medien gehören diese Täter anonymisiert. Kein Gesicht, keinen Namen dürfen sie bekommen, und ihr Platz in der Kriminalgeschichte sollte nur durch eine Nummer gekennzeichnet sein.

Lang, lang ist’s her, daß der Berufsstand des Journalisten noch so etwas wie Ethos kannte. Vor 45 Jahren haben wir gegen Springer demonstriert, weil seine Journaille als erste in Deutschland um der Auflage willen allen Anstand über Bord warf und sensationsgeil, verlogen und menschenverachtend Schlagzeilen produzierte. Heute ist Springer-Presse überall. Kanzler Kohls geistig-moralische Wende ermöglichte es dieser Form von Anti-Journalismus, in Rundfunk und (Privat-)Fernsehen vorzudringen. Es geht um „Bimbes“, wie der temporär vergeßliche Altkanzler Geld zu nennen pflegte. Nur um Geld, um Auflage durch Sensation.

Doch diese Form von Öffentlichkeit kann nur funktionieren, wenn es einen Markt dafür gibt, wenn da Menschen sind, denen filmisch inszenierte Horror-Schocker nicht reichen, sondern die das alles auch in „echt“, möglichst „live“ haben wollen, denen kein Bericht und keine Sendung zu dumpf, zu peinlich oder indiskret wäre. Und jeder, der sich heute gruselig gekribbelt und so herrlich entsetzt die Details eines Massenmords per Internet, Zeitschrift oder Fernsehen reinzieht, sorgt für Quote – und bastelt so mit an den nächsten Tätern.

Das Verhältnis von Medien und Konsumenten ist keine Einbahnstraße, nicht: hier Täter und da unschuldige Opfer. Es ist ein sich gegenseitig hochschaukelndes, immer neue Tabus niederreißendes Wechselspiel. Längst sind auch die Öffentlich-Rechtlichen davon infiziert – weil sie glauben, nur so mit den Kommerziellen konkurrieren zu können.

Vorbei die Zeit, als ein Journalist noch glaubte, sein Berufsbild könnte etwas mit Vorbild, Schutz der Sprache und Wahrheit zu tun haben. Längst plaudern hochbezahlte Redakteure die Nachrichten in Stümmeldeutsch herunter – mit agiler Mimik und einer Einheitsheiterkeit, egal, ob es um Oskar-Verleihung oder Tsunami geht. „Reporter“ geilen sich an Ihrer Macht auf, Meinung zu machen und Menschen nach Lust und Laune hochzujubeln oder – je nach Stimmungslage – öffentlich hinzurichten. Die Grenzen zwischen Berichterstatter, Auftraggeber und Mittäter verschwimmen. Wie groß ist der Unterschied zwischen mordendem Narzißten, berichtendem Narzißten und dem möglichst „live“ Zuschauendem?

Sicher: Es gibt Ausnahmen. Nur müssen diese zur Ehrenrettung eines Standes herhalten, der selbst, geht es um andere Gesellschaftsschichten, die Ausnahmen zur Typisierung aller Betroffenen erhebt: arbeitsscheue Arbeitslose, faule Lehrer, betrügerische Sozialhilfeempfänger, ...

Was tun? Die Macht des Konsumenten ist tatsächlich groß. Man könnte das Motto: „Nicht einschalten!“ ausgeben. Würde es befolgt, so sänke die Quote, und der Markt würde das Problem regulieren. Die Existenz von RTL & Co. beweisen jedoch, daß es zu viele Konsumenten gibt, die sich ihr offenbar zu langweiliges Leben gern mit Horror und Sensationellem bunt anstreichen lassen. Deshalb könnte eine Änderung nur gelingen, wenn gleichzeitig die produzierende Seite Einsicht zeigte.

Die Anfälligkeit der menschlichen Gesellschaft verlangt seit Jahrtausenden nach Korrektur, nach moralischer Leitline, sei es durch Religion oder weltliche Ethik. Seit Erfindung der Druckerpresse war die Ethik des Journalisten das wichtigste Korrektiv in der Industrie- und Mediengesellschaft.

Den „Journalisten“ gibt es mittlerweile aber nur noch als meist freischaffendes Fossil. Die Masse der Verleger will Quote, nicht Wahrheit. Und das Internet? Es muß erst noch beweisen, ob es zu mehr taugt als zu noch schnellerer Verbreitung von Grausamkeiten und pubertärer Hirnlosigkeit.




2011-10-05 ; von Helmut Koch/ZERO (autor),

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