Ist Landleben machbar? Und schön? Für Michael Seelig, Inhaber des Werkhofs Kukate, ist das überhaupt keine Frage. Und suchte zwanzig Gleichgesinnte, denen es im Wendland ebenso gut gefällt wie ihm. Die Suche war nicht schwer, schwieriger schon eher die Auswahl, wer von den vielen zufriedenen Wendländern im Buch vorgestellt wird. Eine bunte Mischung ist da zusammen gekommen: Da wird der ehemalige Schering-Manager ebenso vorgestellt wie die Bioland-Bäuerin, die eine Frankfurter Banker-Karriere für ihren Traum vom Landleben aufgab. Die Italienerin aus dem Rheinland mit ihrer Bottega ebenso wie mehrere Künstler - ob aus dem Ruhrgebiet oder Thüringen.
Mit ganzseitigen, lebendigen Fotos (Timo Vogt) und recht persönlichen Darstellungen der Vorgestellten will der kleine Band Mut machen, Mut, sich für das Landleben zu entscheiden. Aber natürlich nicht für irgendeine Provinz, sondern für das Wendland. In blau und beige präsentiert sich das Bändchen im Umschlag. Mit grosszügigen, fast scherenschnittartigen Strichen skizziert hier Irmhild Schwarz, ebenfalls eine der im Buch vorgestellten Künstlerinnen, "ihr" Wendland: mit Äckern, weitem Himmel, Sonne und historischen Fachwerkhäusern, die sich in Wald und Büsche schmiegen.
Herausgeber des Büchleins ist der Förderverein Zukunftsorientierte Entwicklung im Elbetal e.V.. Dieser hat in den vergangenen Jahren die ökologische Verbrauchermesse "ÖXPO" in Grabow organisiert und zuletzt die "Klimawochen" in Lüchow. Das Buch ist im Buchhandel oder im Werkhof Kukate für 7,50 Euro erhältlich. Erlöse fliessen dem Verein für die Umsetzung weiterer Projekte zu.
Hier ein Auszug:
WAS VERSCHLUG DIE WITTSTAMMS AUSGERECHNET NACH CLENZE?
Wer durch Clenze fährt, kann schon ein wenig depressiv werden. Läden stehen leer, manche Häuser verfallen. Die „Löwen-Villa“ aber erstrahlt in funkelndem Blau-Weiß. Sie sticht in Clenze heraus wie eine Villa Kunterbunt. Hier hausen die Schauspieler Kerstin und Wilhelm Wittstamm und ihre vier Kinder.
Auf den Pfeilern neben der Einfahrt wachen drei steinerne Löwen. An der Haustür lächelt eine pinke Pappmaché-Puppe mit blonder Perücke. Man ahnt, dass die Leute hier ein wenig anders sind. Wobei über die „Löwenvilla“ schon immer viel erzählt wurde – von Einschusslöchern und einquartierten Soldaten, einer Nerzzucht, Knochen im Garten und Hühnerställen im Obergeschoss. Im Sommer 1994 sind Kerstin und Willem Wittstamm nach vielen Jahren im Zirkuswagen hier sesshaft geworden.
Was hat sie ausgerechnet nach Clenze verschlagen? Was lockt hier? Das schöne Haus mit Nebengebäuden und Garten scheint ein ziemlich idealer Standort für eine junge, wachsende Familie: Vorne die Straße – „das ist das Leben“, sagt Kerstin. Der Bäcker ist nebenan; Bioladen, Supermarkt, Apotheke sind zu Fuß zu erreichen. Onno geht in Clenze in den Kindergarten, Josef, Lola und Oskar zur Kooperativen Gesamtschule, die Kinder aus dem ganzen Wendland anzieht. Das Freibad ist um die Ecke. Obendrein ist es bezahlbar. Freunde hatten sie hierher gelockt, führten sie in die „Szene“ ein. Im Jahr darauf heirateten sie – und luden per Zeitungsannonce zur Feier.
„Dieser Landkreis ist voll Neugier und Kommunikation“, sagt Kerstin. „Wir sind sofort drin gewesen.“ Gewiss gibt es auch immer Tratsch. Doch mit den Alteingesessenen arrangiert man sich in friedlicher Koexistenz.
Das Leben der Großen spielt auf vielen Bühnen. Kerstin macht Theater – von Produktionen mit Behinderten beim Verein „Terra est Vita“ in Belau bis zu Weihnachtsmärchen im Kulturzentrum Platenlaase. Wilhelm wirbelt als Zauberer durch Deutschland – beim Circus Roncalli, bei schicken Events, aber auch auf dem Clenzer Dorffest. So sehen die Bürger, dass die „Chaoten“ nicht die Schlechtesten sind.
Seit Jahren organisieren Kerstin und Willem die „Kulturelle Lachparade“ mit bekannten Varietékünstlern. Ihr Zirkuszelt „Musenpalast“ steht aber auch an der Transportstrecke, wenn Castorbehälter voller Atommüll durchs Wendland Richtung Gorleben rollen – mit 72-stündigem Dauerprogramm, das die frierenden Atomkraftgegner aufwärmt und bei Laune hält.
Der Kaffee dampft in der stillen Küche. Zur vollen Stunde schreit der Kuckuck aus der Uhr über dem Tisch. Hinter der Scheune endet der Ort, locken Wald, Wiesen, Felder.
Bald wird es wieder laut in Haus und Hof. Die Schule ist gleich zu Ende.