Wir können auch anders - grüne Konzepte für die Landwirtschaft

Es ist Wahlkampf im Lande – doch nicht nur aus diesem Grunde hatte die grüne Fraktionsvorsitzende der Europagrünen Rebecca Harms ihren Kollegen Martin Häusling sowie Referenten aus dem Landwirtschaftsbereich eingeladen, im Quickborner Jägerkrug über Perspektiven für die heimische Landwirtschaft zu diskutieren.

 

Ein öffentlicher Austausch über womöglich alternative Perspektiven zur steigenden Industrialisierung der Landwirtschaft scheint angesichts immer heftiger eskalierender Auseinandersetzungen zwischen Gegnern der Massentierhaltung und Planern von Großanlagen sowie der immer brenzliger werdenden Lage von regionalen Bauern dringend notwendig.

Doch wie zu erwarten war – und sich in der über zweistündigen Veranstaltung an vielen Stellen zeigte – ist das Thema „Perspektiven der Landwirtschaft“ so komplex, dass eines am Ende deutlich wurde: die komplexen Probleme können nur im Zusammenspiel von Erzeugern, Politik, Interessensverbänden und den Verbrauchern gelöst werden.

Weltmarkt oder regionale Versorgung?

Zunächst skizzierte der grüne EU-Abgeordnete, selbst Bio-Bauer aus dem Süddeutschen, die Vorstellungen seiner Partei zur Veränderung der Förderpolitik der Europäischen Union.

„17 Mrd. Euro gibt die Europäische Union jedes Jahr an Subventionen für Landwirte aus. 17 Milliarden, die lediglich dazu dienen, landwirtschaftliche Produktion aufrecht zu erhalten. Dabei wird derzeit nicht unterschieden zwischen Betrieben, die umweltschädlich und tierschädigend arbeiten und Betrieben, die sich um ökologische Alternativen bemühen“, so Häusling. Nach grünen Vorstellungen soll dieses Ungleichgewicht zugunsten ökologisch-regionaler Produktion verändert werden.

Inzwischen ist es laut Häusling so, dass auch Konzerne, deren Hauptgeschäft in völlig anderen Wirtschaftsbereichen liegt (z.B. Brillen oder Finanzgeschäfte) ebenso ausgiebige EU-Subventionen für ihre „Hobby“-Betriebsbereiche in Anspruch nehmen. Eine Entwicklung, die nach Häusling nicht mehr zu akzeptieren ist.

Welche Landwirtschaft wollen wir?

Dahinter steht EU-weit die Frage, welche Form der Landwirtschaft gewünscht wird. Gilt eine fast völlig industrialisierte Region wie Vechta/Cloppenburg als Modell für die Zukunft? Oder eine Entwicklung wie in den USA, wo die gesamte Agrarproduktion von inzwischen nur noch 200 000 Betrieben geleistet wird?

Immer wieder wurde in der Diskussion deutlich, dass die Verbraucher eine entscheidende Rolle bei einer womöglichen Umgestaltung der Landwirtschaft spielen. Statistiken zeigen, dass in Deutschland lediglich 10 % des zur Verfügung stehenden Haushaltsbudgets für Ernährung ausgegeben werden – in anderen europäischen Ländern liegt dieser Anteil wesentlich höher. Nicht, weil dort die Preise wesentlich höher wären, sondern weil Qualität und Art der Nahrungsmittel eine andere Rolle spielen, auch im sozialen Umgang miteinander.

„Fleisch aus artgerechter Produktion macht derzeit lediglich 1 % des deutschen Fleischabsatzes aus“, weiß Martin Häusling. „Doch das bedeutet nicht zwingend, dass die Verbraucher dieses Fleisch nicht wollen. Im Gegenteil: durch die Konzentration auf den Export für den Weltmarkt ist der Ausbau artgerechter Tierproduktion vernachlässigt worden.“ Nach Häuslings Ansicht wäre ein Marktanteil von 20 % zu erreichen, wenn genügend „artgerechtes Fleisch“ auf dem Markt erhältlich wäre.

Doch auch Maren Ramm, Vertreterin der Tierschutz-Initiative IgiT, weiß, dass die allgemeine Entwicklung derzeit in eine völlig andere Richtung geht. „Es werden gezielt Fleischüberschüsse produziert, um auf dem Weltmarkt Schritt halten zu können. Regional zu produzieren, um national Menschen mit Nahrung zu versorgen ist kein politisches Ziel“, so Ramm.

Gibt es Konzepte?

Für Häusling sollten z.B. über die Privilegierung von landwirtschaftlichen Bauten im Außenbereich Standards gesetzt werden: Genehmigungen nur noch für Betriebe, die sich für eine ökologisch-regionale Produktion entscheiden. An diesen neu entwickelten Standards soll sich auch die Förderung der EU orientieren. Außerdem müssen gesetzliche Bestimmungen so gefasst werden, dass es den Genehmigungsbehörden möglich wird, Betriebsplanungen, die den ökologischen Richtlinien nicht entsprechen, zu verweigern.

Denn nach grünen Vorstellungen muss es aufhören, dass ausgerechnet die Landwirtschaft immer wieder für massive Umweltschäden verantwortlich ist. „Außerdem muss der Unsinn aufhören, dass durch Exportsubventionen dafür gesorgt wird, dass die Fleischproduktion intensiviert wird, um dann das massenhaft produzierte Fleisch weltweit zu vermarkten.“ Regionale Versorgung sollte nach grünen Vorstellungen im Mittelpunkt der Förderpolitik stehen.

Nicht zuletzt soll auch die Einhaltung der Fruchtfolgen ein Kriterium sein, um Monokulturen zu vermeiden.

„Doch der Deal muss sein, dass die Verbraucher die regional und ökologisch produzierten Waren auch kaufen“, so Häuslings Aufruf für mehr Einsatz der Kunden.

„Wir wollen doch nur gerechte Preise für unsere Produkte“

Dass der Preisverfall für landwirtschaftliche Produkte die Existenz der Landwirte bedroht, weiß auch Gisela Webs, Milchbäuerin aus Quickborn. „Zur Zeit des Milchstreiks lag der Preis für einen Liter Milch bei 18 ct. Jetzt bekommen wir zwar 34/35 ct, aber das reicht immer noch nicht aus, um unsere Produktionskosten zu decken“, so Webs.

Wie sehr auch die Geflügelzüchter sich in existenzbedrohende Abhängigkeiten bringen, zeigen die schier unglaublichen Preise für ein in Mastanlagen „produziertes“ Hühnchen: nach Aussagen von Martin Häusling bekommt der Züchter ganze 18 ct für das geschlachtete Tier. Angesichts derartiger Dumpingpreise klangen die Worte einer Landwirtin aus dem Publikum wie ein verzweifelter Hilfeschrei: „Wir wollen doch nur gerechte Preise, damit wir von unseren Produkten leben können.“ EU-Subventionen sind für diese Landwirtin nicht interessant.

Auch die Verbraucher sind gefragt

Ein Beitrag eines anderen Zuhörer machte deutlich, wie sehr die Gesellschaft gefragt ist, der Landwirtschaft eine besondere Rolle in der Volkswirtschaft zuzugestehen. „Wenn die Produkte nicht mehr absetzbar oder Existenz erhaltende Preise nicht zu erzielen sind, muss der Betrieb eben aufgegeben werden“, so dieser Mann.

„Doch wer produziert dann unsere Nahrung?“ brachte eine Zuhörerin das Problem mit dieser rein betriebswirtschaftlichen Sicht auf den Punkt.

Ausserdem ist den meisten Landwirten ein Wechsel in einen anderen Produktionszweig verwehrt. Zwar hat das Aktionsprogramm „Regionen aktiv“, das in den vergangenen Jahren mit rund 5 Mio. EU-Geldern vor allem Schwung in die Entwicklung von Betrieben im Bereich der Erneuerbaren Energien bringen können, doch der Wechsel zum Energiewirt ist nicht für alle Landwirte eine Perspektive. Oft fehlt den am Rande der Insolvenz entlang schrammenden Kleinbetrieben die Möglichkeit, hohe Investitionen vorzunehmen.

Angesichts der komplexen Problembereiche wunderte es nicht, dass das Schlussresümee vor allem das Zusammenspiel aller am Landwirtschaftsbetrieb Beteiligten anmahnte. Rebecca Harms: „Die Verbraucher müssen mehr Druck machen. Auch für die Verbesserung der Kennzeichnungen ist die Unterstützung von Verbrauchern notwendig.“

Mehr fragen im Laden! Sollte die Parole für Kunden sein, die sich für Produkte interessieren, die das Label "Lebensmittel" noch verdienen.

Foto: Angelika Blank / Diskutierten am Dienstag Abend über die Zukunft der Landwirtschaft (von links): Martin Häusling, Rebecca Harms, Gisela Webs - nicht auf dem Foto, aber auf dem Podium: Maren Ramm und Manfred Ebeling




2011-08-24 ; von Angelika Blank (autor),

landwirtschaft   grüne   massentierhaltung  

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