Umwelt: Liebe geht durch den Magen...

Die „Grüne Woche“ ist vorbei, und der Chef des Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, verkündet stolz, die Landwirtschaft habe „Vertrauen zurückgewonnen.“ Ist da irgendwo, irgendwie, irgendwann was verlorengegangen? Aber ja doch, denn Lebensmittel- und Landwirtschaftsskandale gehören inzwischen zum Alltag.

Zuletzt war es Dioxin, früher war es mal Frostschutz im Wein oder seltsame Substanzen in der Kälbermast, es gab BSE oder Legehennen unter Nikotinbrausen, gentechnisch verseuchtes Saatgut, Bienensterben und kaum einzudämmende Tierseuchen. Und immer, wenn mal wieder ein solcher Skandal öffentlich wird, stehen Landwirte vor dem Ruin, egal, ob ihre Höfe direkt betroffen sind oder nicht. So sackte Mitte Januar der Preis pro Kilo Schlachtgewicht bei Schweinen um 17 Prozent auf 1,23 Euro – bei gleichzeitig stark steigenden Futter-, Energie- und Transportkosten. Im Ergebnis bedeutet das: durchschnittlich 34 Euro weniger pro Schwein im Vergleich zum Dezember. Und dafür sollen, im aktuellen Fall, einzig und allein die kriminellen Panscher eines einzelnen Futtermittelbetriebes verantwortlich sein? Wer’ s glaubt...

Wer hingegen nicht dran glauben will, sollte wissen, wie „moderne Landwirtschaft“, bezogen auf Schweinefleisch und Eier heutzutage funktioniert: Wer Eier produziert, braucht Hennen, Hähne kann er nicht gebrauchen. So werden denn die männlichen Küken am Fließband aussortiert und umgehend vergast und/oder geschreddert. Was von ihnen übrigbleibt, landet im Tierfutter oder auch in der Biogasanlage. Die vermeintlich glücklicheren Hennen leben in Käfig- oder Bodenhaltung nur etwa ein Jahr (wenn sie nicht von ihren Kolleginnen totgepickt werden oder an einer der zahlreichen Infektionen sterben). In dieser Zeit legen sie rund 300 Eier und werden dann zum Suppenhuhn.

Das billige Schweinefleisch vom Discounter entsteht so: ein Zuchbetrieb (oft in den Niederlanden) „produziert“ Ferkel, die zum Mäster kommen, dieser füttert sie bis zur Schlachtreife, dann (das Schwein ist jetzt noch nicht einmal ein halbes Jahr alt und hat noch die Milchzähne) ab in den Schlachthof und dann in die Fleischtheke. Das Futter (auch für Hennen und Hähnchen) kann meist nur teilweise selbst produziert werden, wird also zugekauft: eine Mischung aus Mais, Getreide, Sojaschrot (als Eiweißlieferant) und diversen Fetten – auch um das Futterpulver zu einem Granulat zu verkleben. So ganz nebenbei wirkt dieses Fett natürlich auch als Wachstumsbeschleuniger.

Sojaschrot kommt aus Übersee, meist aus den USA, und stammt überwiegend aus genmanipuliertem Anbau. Lieferanten ohne Genpanschereien gibt es noch, zum Beispiel in Brasilien, aber deren Kapazität reicht nicht für den Weltmarkt, außerdem sind sie etwas teurer. Die Fette stammen, wie wir im Rahmen des aktuellen „Skandals“ lernen mußten, aus allerlei fragwürdigen Quellen, und kein Mensch wird ernsthaft glauben, daß da nur ein einzelner Betrieb aus Kostengründen so lange Dreck mit „sauberen“ Fetten verrührt hat, bis die Grenzwerte gerade so stimmten.

Natürlich kann man den Eiweißanteil auch mit eigenen Erzeugnissen steigern, mit Erbsen oder Bohnen zum Beispiel, aber das hat Konsequenzen. „Können sie komplett vergessen. Dann legen die Hühner nur noch 260 statt 300 Eier im Jahr, dann verdienen wir nichts mehr daran“, sagt ein hessischer Eierproduzent. Vermutlich hat er recht, die Gewinnmargen sind – zumindest beim Landwirt und nicht nur im Fall von Eiern – tatsächlich so eng. Dieser Landwirt, den die „Berliner Zeitung“ am 15. Januar zitiert, verweist darauf, daß 40 Eier mehr oder weiniger pro Jahr über die Existenz eines Betriebes entscheiden können. Denn 40 Eier pro Huhn, das macht bei 40 000 Hühnern 1,6 Millionen Eier „Verlust“.

So sieht es nämlich in der Wirklichkeit, jenseits von Bekundungen von Bauernfunktionären oder Landwirtschaftsministern, aus: Ein Großteil der noch wirtschaftenden Landwirte kann, bei Strafe des eigenen Untergangs, nicht mehr selbst entscheiden, was er füttert und wie er wirtschaftet. Die schiere Größe der Investitionen in Ställe und Maschinenpark fesseln die Bauern an Banken, Zulieferer, Großhändler und „Gesetzmäßigkeiten“. In Anlehnung an die Erfahrungen der Finanzkrise könnte man sagen, sie sind „to big to change“.

Und so ernten sie, was sie selbst mitgesät haben, weil sie seit Jahrzehnten jede Rationalisierung mitgemacht und flächendeckend auf Masse statt auf Klasse gesetzt haben. Und deshalb müssen sie jetzt – mit gefangen, mit gehangen – ausbaden, was ihnen kriminelle Futterpanscher eingebrockt haben – was wiederum für den neuen niedersächsischen Landwirtschaftsminister, Gert Lindemann, zwar traurig, aber natürlich kein „Systemfehler“ ist, weshalb er auch eine grundlegende Wende in der Agrarpolitik für überflüssig hält. Recht hat der Mann: Das System macht keine Fehler. Es ist der Fehler!

Aber es gibt, selbst für Landwirte, auch noch gute Nachrichten: nach einer Studie der Uni Bonn ist der Absatz bäuerlicher Erzeugnisse in den letzten zehn Jahren um 180 Prozent gestiegen – das gilt allerdings nur für Bio-Höfe. Dabei ist der Hype um die aktuellen Dioxinwerte und der Run auf Bio-Eier eigentlich kaum zu verstehen, denn auch viele Biobetriebe kaufen Futter zu und haben, wie im letzten Jahr mit Mais aus der Ukraine, schon ihren eigenen Dioxin-Skandal gehabt. Der Mais stammte übrigens von dortigen Biohöfen, war aber trotzdem verseucht, weil sich im Boden noch Rückstände früherer, konventioneller Bewirtschaftung befanden; soll noch einer sagen, „moderne Landwirtschaft“ arbeite nicht nachhaltig!

Gerade Freiland-Tierbestände nehmen Dioxin auf, weil’s fast überall ist, mal mit Elbhochwasser angeschwemmt, mal über Feinstäube von Wind und Regen gleichmäßig verteilt. Trotzdem hat sich die Dioxinbelastung der Bevölkerung dank sinkender Grenzwerte, besserer Analysemethoden, Filtern in Industrieschornsteinen und Verbot von so manchem Sprühgift in den letzten 20 Jahren um rund zwei Drittel verringert. Noch vor 50 Jahren hätten deutsche Mütter, gleiche Maßstäbe wie bei Milchkühen vorausgesetzt, wegen Dioxin notgeschlachtet werden müssen. Bis heute hat sich die Belastung der Muttermilch immerhin halbiert.

Natürlich ist Dioxin, wie andere Rückstände, auch in geringen Dosen gefährlich. Aber es geht um viel mehr als um Dioxin. Es geht um eine Landwirtschaft, die inzwischen weitgehend in unüberschaubaren Strukturen feststeckt und damit äußerst anfällig für „Störungen“ ist. Aus einst selbständigen Landwirten wurden Lohnmäster, deren Wirtschaftlichkeit durch strukturelles Versagen (oder auch kriminelle Machenschaften) irgendwo in der langen Kette zwischen Produktion und Verzehr immer mal wieder in Frage gestellt wird. So stehen im aktuellen „Skandal“ zuerst betroffene Bauern vor dem Ruin. Der gerade ertappte Futterpanscher hat sich in die Insolvenz gerettet, aber der Sinn oder Unsinn von Turbomast, Legehennenknast oder mit chemischer Keule und „genetisch optimiertem“ Saatgut betriebenem Ackerbau wird nicht ernsthaft in Frage gestellt.

Im Gegenteil: die Einlassungen des neuen niedersächsischen Landwirtschaftsministers hätte seine Vorgängerin, die Putenqueen Grotelüschen, nicht schöner formulieren können! Und die Damen und Herren Chemielobbyisten mit ihrem „Pflanzenschutz“, die Wissenschaftler der Genlabore, die gerne auch mal Saatgut und Zuchttiere patentieren lassen, die Funktionäre in Landvolk und Bauernverband, die von diesem System der organisierten Verantwortungslosigkeit großartig leben, reiben sich die Hände. Schon allein durch die immer öfter auftretenden Resistenzen von „Schädlingen“ gegen viel genutzte Sprühgifte ergibt sich immer neuer, subventionierter, Forschungsbedarf und anschließende neue Produkte, die die Folgen der alten „Schutzmittel“ in Grenzen halten sollen. Da paßt ins Bild, daß die „Monsanto“ demnächst in Deutschland, zum Beispiel in Sachsen-Anhalt, großflächig Gen-Zuckerrüben „testen“ darf, die in den USA längst verboten sind.

Während auf EU-Ebene wieder mal über eine Neuverteilung der gut 50 Milliarden Euro jährlicher Landwirtschaftssubventionen nach Kriterien wie Ökologie und Nachhaltigkeit diskutiert wird, sperren sich vor allem französische und deutsche Politiker gegen eine Wende. Die wollen lieber weiter per Exportsubvention heimische Bauern unterstützen, ruinieren aber damit die Landwirtschaft der Entwicklungsländer und lösen so die Hungerrevolten aus, die Ministerin Aigner mit heimischindustrialisierter Landwirtschaft bekämpfen will – noch dazu, ohne am Ende den heimischen Bauern wirklich zu helfen.

Schon vergessen? Die Revolte in Tunesien, die Unruhen in Algerien sind maßgeblich durch gestiegene Lebensmittelpreise ausgelöst worden. Um die Preise für Schweinefleisch zu „stabilisieren“, kauft die EU jetzt große Mengen auf, lagert sie ein, und wird das Zeug irgendwann, wenn die Preise wieder „stimmen“ auf den Markt zurückwerfen. Nach Milchseen und Butterbergen haben wir jetzt also ein Schweinegebirge. Aber es kommt noch besser: weil durch die „alternativlose“ Bankenrettung so viel „billiges“ Geld im Umlauf ist, haben Spekulanten inzwischen auch Agrar-Rohstoffe wie Getreide oder Mais als Spekulationsobjekt entdeckt. Die Folgen werden wir bald weltweit ausbaden.

An den hier nur grob skizzierten Strukturen werden noch so viele neue Kontrolleure nichts ändern. Und das ist auch nicht beabsichtigt. Zu viele profitieren davon, daß Landwirtschaft inzwischen weitgehend losgelöst von natürlichen Wachstumszyklen und ökologischen oder klimatischen Rahmenbedingungen funktionieren muß. Und das gilt längst nicht mehr nur für die riesigen Agrarfabriken, die aus den ehemaligen LPG hervorgegangen sind. Es mag Wunschdenken sein, die Mehrheit der Landwirte in absehbarer Zeit davon zu überzeugen, ökologisch und ethisch vertretbar zu wirtschaften. Aber nicht erst seit dem jüngsten „Skandal“ dürfte auch dem sprichwörtlich dümmsten Bauern dämmern, daß Wohl und Wehe seines Hofs unter den derzeitigen Verhältnissen nur sehr bedingt davon abhängen, wie gut oder schlecht er selber arbeitet. Nicht einmal die Höfe, die nachweislich kein belastetes Futter verwendet haben, werden zur Zeit ihre Schweine, Puten, Hähnchen oder Eier zu vernünftigen Preisen los.

Wenn aber die Existenz von bäuerlichen Betrieben, teilweise seit Jahrhunderten in Familienbesitz, innerhalb von Wochen dadurch gefährdet wird, daß irgendwo in dem Wust von Abhängigkeiten jemand schlampt oder betrügt, dann ist es höchste Zeit, sich ein paar neue Gedanken zu machen. Und die könnten, zum Beispiel, darin bestehen, daß Tierzüchter wieder die Kontrolle über das verwendete Futter zurückgewinnen. Wenn das über regional begrenzte Produktionsgenossenschaften passiert, gibt es kurze Wege, klar erkennbare Verantwortlichkeiten und regionale Wertschöpfung. Falls diese Genossenschaft sich darauf verständigt, längere Wachstumszyklen der Tiere für artgerechtes Futter in Kauf zu nehmen, hätten letztlich – vom Produzenten bis zum Verbraucher – alle etwas davon. Für bessere Qualität zahlen nämlich viele Menschen gern auch etwas mehr, wobei gesunde, ausgewogene Ernährung eben nicht automatisch teurer ist. Und Discounterfraß wird es für die anderen auch weiterhin geben.




2011-02-28 ; von Stefan Buchenau/zero (autor),

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