Sie prägte den wendländischen Gorlebenwiderstand wie kaum eine andere: Lilo Wollny. Am Samstag feierte die unermüdliche Widerständlerin in Vietze ihren 90. Geburtstag.
Lilo Wollny. Dieser Name stand über 20 Jahre beinahe als Synonym für den wendländischen Widerstand. Er steht für Kompromisslosigkeit, unbedingten Widerstandswillen aber auch für trockenen Humor und Menschenfreundlichkeit. Am Samstag feierte die "Leitfigur des wendländischen Widerstands" (Medienzitat) mit mehreren Dutzend Freunden und MitstreiterInnen ihren 90. Geburtstag.
Mit nicht einmal 20 Jahren floh sie mit ihrer Familie aus dem zerbombten Hamburg nach Vietze zu den Großeltern. Eigentlich wollte sie wieder zurück nach Hamburg, studieren, „die weite Welt erforschen“. Stattdessen musste sie im elterlichen Haushalt und Betrieb helfen. Als mit dem Kriegsgefangenen Peter Wollny ihre große Liebe in den elterlichen Betrieb kam, waren die Pläne von Studium und weiter Welt endgültig für lange Zeit ad acta gelegt. Sie bekam fünf Kinder und beschäftigte sich fortan mit Kindern, Haushalt, Garten und der Leitung von Bäckerei und Café.
Als die Amerikaner nach dem zweiten
Weltkrieg auf den Höhbeck kamen, fand sie durch ihre
Englischkenntnisse eine neue Aufgabe: sie übersetzte für die
Kriegssieger – und machte sich dadurch auch einige Feinde im Dorf.
Die Standortbenennung verändert ein Hausfrauenleben
Mit 50 Jahren, am 22. Februar 1977, änderte sich ihr Leben schlagartig. „Wir saßen vor dem Fernseher und erfuhren dort, dass Gorleben für die Ansiedlung eines nuklearen Entsorgungszentrums auserkoren worden war,“ erzählte Lilo Wollny. “Als damals dieser Albrecht strahlenden Gesichts auf dem Bildschirm erschien und verkündete, dass es Gorleben werden würde, war das einrichtiger Schock! Es war so, als wenn uns der Boden unter den Füßen weggerissen würde.“
Von dem Moment wurde Lilo Wollny aktiv. „Ich wurde regelrecht aus dem Schlaf gerissen,“ erzählte sie. Sie engagierte sich in der gerade gegründeten Bürgerinitiative, wurde schnell eine ihrer Vorsitzenden und setzte sich fortan unermüdlich und kompromisslos gegen die Umsetzung dieser „unmenschlichen Pläne“ ein. Plötzlich wurde aus ihr eine faszinierende Protagonistin des Widerstands. Journalisten aller Couleur gaben sich bei ihr die Klinke in die Hand. Eine 60-jährige Hausfrau und Mutter – inzwischen sogar Großmutter – als Leitfigur des Widerstands? Das interessierte und brachte sie bis in bundesdeutsche Leitmedien.
In ihrer schlichten Art und zutiefst von der Richtigkeit des Widerstands überzeugt, motivierte sie – inzwischen Generationen - von Gorlebengegnern, mit dem Kampf nicht nachzulassen. Unermüdlich eignete sie sich im Eigenstudium soviel Wissen über technische Bedingungen und politische Trickserein an, dass sie bald als Expertin in Sachen Endlagerung von Atommüll galt.
Ihre Überzeugungskraft und
Fachkompetenz brachte sie dann 1987 in den Bundestag. Obwohl
parteilos, saß sie für die Grünen bis 1990 im Parlament. Dabei
blieb sie immer schlicht. Trotz umfassenden Fachwissens argumentierte
sie immer aus der Sicht eines Menschen, dem die Heimat abhanden zu
kommen droht. Und gleichzeitig plädierte sie immer dafür, selbst in
den härtesten Auseinandersetzung Lebenslust und Gemeinschaftssinn
nicht zu vergessen.
Neue Kinder: die jungen WiderständlerInnen
All die jungen Menschen, die damals aus Berlin ins Wendland pilgerten, um „den Gorleben-Widerstand zu unterstützen“ fanden in ihrem Gartenhaus immer eine Unterkunft. Sie wurden zu „meinen Kindern“, denen sie gerne Unterricht in Sachen Aufrichtigkeit und dem Recht auf, ja geradezu die Pflicht zum Widerstand gab.
In der Sache war sie kompromisslos. Für sie war die Verhinderung eines atomaren Endlagers in Gorleben das Wichtigste, für das sie sich einzusetzen hatte. Als ihre Tochter den Konfirmandenunterricht schwänzte und der damalige Pastor sie deswegen erbost anrief, um zu fragen, wo ihre Tochter denn bliebe, antwortete sie schlicht: „Na auf 1004! Wo denn sonst? Da gehört sie doch hin!“
Für Lilo Wollny gab es keine
richtigen oder falschen Gorlebengegner. Jede/r, der den Kampf gegen
Gorleben unterstützte, war ihr willkommen. Nur Gewalt oder
politische Tricksereien waren ihr zuwider.
Wider die Interessen der Macht
Bis heute wird sie wegen ihrer menschenfreundlichen Art, ihrem trockenen Humor und ihrem unermüdlichen Kampfeswillen mit höchstem Respekt gewürdigt. Im Gorleben-Archiv hat sie ihr eigenes Fach, in dem ihre zahlreichen Reden und Publikationen für die Öffentlichkeit erhalten werden.
Seit einigen Jahren hat sich
Lilo Wollny aufgrund diverser Erkrankungen aus der Öffentlichkeit
zurückgezogen, lebt in einem Pflegeheim bei Dannenberg. Doch ihren Humor hat die
90-jährige bis heute nicht verloren. „Das ist doch hier kein
Geburtstag sondern eine Geschichtsstunde,“ brummelte sie bei ihrer
Feier am Samstag nach mehreren Reden, die ihr Leben würdigten.
Aber
Lilo Wollnys Leben und Handeln wird noch für spätere Generationen
mehr als eine Geschichtsstunde sein. Es ist die Geschichte einer Frau, die sich unerschrocken auch den höchsten politischen Autoritäten entgegen stellte und zeitlebens ein Motto vertrat: "Gegen die Menschen darf keine politische oder wirtschaftliche Macht ihre Interessen durchsetzen." Dieses Motto wird noch lange Zeit hochaktuell sein.