Stefan Buchenau gibt einem FDP-Minister recht und will mit Castoren heizen. Aber lesen sie selbst!
Wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, eine Aufgabe zu erledigen, und eine davon in einer Katastrophe endet oder sonst wie unerwünschte Konsequenzen nach sich zieht, dann wird es jemand genau so machen.“ So lautet Murphys Gesetz: Was schiefgehen kann, geht auch schief.
Diese Regel ist seit 1949, seit besagter Ingenieur Murphy ein teures Experiment versemmelte, in aller Munde – außer bei den Regierenden dieser besten aller Welten. Die praktischen Auswirkungen solch elitärer Ignoranz erleben wir gerade: Laut Wahrscheinlichkeit gibt es einen GAU nur alle 10 000 Jahre, tatsächlich erlebt haben wir seit 1976 bereits drei. In diesem Fall scheint die Zeit genauso schnell zu vergehen wie bei den „Jahrhundertfluten“ an der Elbe, von denen wir in nur zehn Jahren auch schon drei überstanden haben.
Doch es gibt noch andere Wunder: über Nacht mutieren standhafte Schutzheilige der Atommafia zu mutigen „Abschaltern“, und eine Kanzlerin, die zu Zeiten George W. Bushs am liebsten direkt im Irak Krieg geführt hätte, mausert sich im Falle Libyens plötzlich zur Friedenstaube aus der Uckermark. Was uns schnurstracks zu einer alten Frage führt: Was ist, wenn jemand aus den falschen Gründen das Richtige tut? Was tun, wenn plötzlich alle aus der mörderischen Atomenergie aussteigen wollen?
Wenn der Rat der Gemeinde Karwitz, fest in CDU-Hand, plötzlich einen Ausstiegsbeschluß hinlegt, vor dem sich Grüne, GLW oder BI nur verbeugen können? Das wird immerhin bei der Sonn-tagsdemo in Gorleben als kleiner Sieg verbucht, wogegen das „Moratorium“ und die folgenden „Ausstieg“-Beschlüsse der Bundesregierung, zu Recht, mit Mißtrauen beäugt werden. Und je länger der Super GAU von Fukushima zurückliegt, desto weiter wandern entsprechende Pressemeldungen nach hinten (gegen Durchfall in Norddeutschland haben drei Kernschmelzen nun keine Chance mehr und landen auf Seite 8), desto ungenierter trauen sich CDU-Provinzfürsten in Dannenberg oder Clenze wieder, jegliche Anti-Atom-Resolution nach Kräften zu verwässern.
Besonderen Wert legten einige CDUler darauf, einen Atomausstieg zu bremsen, weil Strom „bezahlbar“ bleiben müsse. Offenbar sind die Damen und Herren der Ansicht, daß ein GAU „bezahlbar“ wäre. Außerdem rückt die Kommunalwahl näher und Leute, die zum Beispiel in Gorleben arbeiten, sind meist CDU-Wähler. Trotzdem waren dieses Land und dieser Landkreis noch nie so nah an einem wirklichen Atomausstieg. Nur bleibt die Frage: wie geht „der Widerstand“ mit den überall ganz unverhofft wie Pilze aus dem Boden schießenden AKW-Gegnern um? Was tun, wenn einem bei der nächsten Sitzblockade Frau Sandrock auf den Schoß springt?
Wir schreiben das Jahr 2011. Seit 66 Jahren befindet sich die Menschheit sicht- und fühlbar im Atomzeitalter, seit 57 Jahren auch in Form der „zivilen Nutzung“; 1954 ging das erste Atomkraftwerk in der damaligen Sowjetunion ans Netz. Seit dieser Zeit suchen Wissenschaft und Politik mehr oder weniger intensiv nach einer Lagermöglichkeit für den anfallenden Müll, allerdings mit unbefriedigenden, genau genommen mit gar keinen Ergebnissen.
Selbst wenn in Ländern wie Frankreich das Vertrauen in die Sicherheit der Atomanlagen nahezu ungebrochen scheint, selbst wenn sich in Finnland und Schweden einige Gemeinden einen regelrechten Wettbewerb um die Ansiedlung eines Endlagers liefern – niemand hat bis heute eine ernstzunehmende Antwort auf die Frage: Wie schließen wir den strahlenden Müll für viele tausend Jahre von der Biosphäre, also von Luft, Grundwasser, Boden und menschlichen Eingriffen, zum Beispiel Terrorismus, ab?
Natürlich ist es unter diesen Umständen verantwortungslos, Atomkraftwerke zu betreiben oder gar, wie etwa in China, Großbritannien oder den USA, ungeachtet jeder Katastrophe lustig weiter Anlagen errichten zu wollen. Anlagen, die im Havariefall – nachgewiesen! –un-beherrschbar sind und selbst im Normalbetrieb durch radioaktive Niedrigstrahlung unabsehbare Konsequenzen für Mensch, Tier und Umwelt bedeuten – von den katastrophalen Folgen, die der Uranabbau in den betroffenen Regionen hat, mal zu schweigen. Das Fazit für jeden halbwegs verantwortungsvollen Menschen kann also nur heißen: Nichts wie raus aus dieser Technik, so schnell wie möglich!
Und was dann? Dann gibt es, aller Voraussicht nach, noch immer kein Endlager für das Zeug, das auch in 50 000 Jahren noch tödlich strahlt. Und zwar nicht, weil irgendwelche starrköpfigen Grünen und Bürgerinitiativler jegliche Planung torpedieren, sondern weil es ein solches Lager – nach menschlichem Ermessen – gar nicht geben kann. Die ägyptischen Pyramiden sind rund 5 000 Jahre alt. In dieser Zeit sind diverse Hochkulturen mitsamt ihren Sprachen untergegangen, ein Großteil ihres Wissens ging verloren. Bei den Pyramiden wurden alle Sicherheitssysteme, die einst für die Ewigkeit konstruiert wurden, „geknackt“ und die Grabkammern geplündert.
Angesichts der übermenschlichen Zeiträume, in denen Atommüll sicher gelagert werden müßte, kommen noch ein paar Eiszeiten, Erdbeben samt überschwemmungen, Vulkanausbrüche oder vielleicht ein kleiner Meteoriteneinschlag hinzu. Welche Sorte oder überhaupt noch Menschen in, sagen wir, 50 000 Jahren, hier leben, welche Kultur, welches Wissen sie haben, kann niemand voraussagen. So gesehen ist allein das Wort „Endlager“ schon eine Lüge.
Es gibt mit den Hinterlassenschaften der Atomtechnologie nach menschlichem Maß kein „Ende“. Die Zeiträume, bis aus tödlichem Müll halbwegs harmlose Reststoffe werden, entziehen sich jeglicher Vorstellungskraft, geschweige denn, menschlicher Kalkulation – egal, was eine Regierung, ein AK-End, eine Partei oder eine BI sich so alles ausdenken mögen. Und deshalb ist der Streit um Standorte und geologische Formationen zum guten Teil fruchtlose Spiegelfechterei, so lange ein „End“lager angestrebt wird.
Das einzige, was heute als halbwegs gesichertes Kriterium für die Lagerung von Atommüll gelten kann, ist die Rückholbarkeit. Denn es ist ja nun mal tatsächlich nicht auszuschließen, daß in 100 oder 200 Jahren jemand auch einmal eine vernünftige Idee entwickelt, wie mit dem Müll umzugehen ist. Und dann muß man an die Fässer, Behälter und Kokillen rankommen können – genau wie im Fall eines Wassereinbruchs, eines Bergrutsches oder sonst einer Katastrophe.
Und jetzt verkündet ausgerechnet FDP- Umweltminister Sander eine Idee: Wie wäre es, auf dem Gelände von abgeschalteten AKW, solide Bunker zu errichten, um dort den Müll für etwa 150 Jahre zwischenzulagern – vielleicht sogar unter Ausnutzung der Abwärme der ewig und drei Tage Hitze absondernden Behälter?
Die Reaktion des Widerstands war absehbar: „Der FDP-Politiker plädiere letztlich dafür, die Atommüll„entsorgung” auf die lange Bank zu schieben“, wettert die BI und spricht von „Sanders Absurdistan“. Recht hat sie! Nur, daß es nicht Sanders, sondern unser aller Absurdistan ist. Wir alle leben in der absurden Situation, daß es für ein Problem einfach keine Lösung gibt, das Problem aber trotzdem ständig wächst. Mit jedem Tag steigt weltweit die Menge des Mülls, für den es keine sichere „Entsorgung“ gibt. Das gilt übrigens nicht nur für Atommüll, sondern auch für diverse Reststoffe der Chemischen Industrie oder der Gentechnik.
Zurück zu Herrn Sanders Vorschlag: Wenn es ein „Endlager“ nicht gibt und nicht geben kann – was ist an seiner Idee eigentlich so unvernünftig? Natürlich wird damit die Atommüll„entsorgung” auf die lange Bank geschoben. Das ist auch, egal wer sich wie entscheidet, gar nicht mehr zu verhindern. Seit es Atombomben und Atomkraftwerke gibt, haben alle, die politische oder wirtschaftliche Verantwortung trugen und tragen, und natürlich alle, die Strom aus AKW verbrauchen oder Kraftwerke betreiben, genau das getan: Sie haben die Verantwortung und die Folgen ihres Tuns auf die lange Bank („des Teufels liebstes Möbelstück“, wie Mutter Pietraß immer sagte) geschoben, mithin künftigen Generationen aufgebürdet.
Das kann man beklagen, ändern läßt es sich nicht. Es gibt in diesem Streit keine Gewinner, weil es eben nicht mehr darum gehen kann, wer recht hat, oder die nächsten Wahlen gewinnt. Es kann nur noch darum gehen, den Schaden so gering wie möglich zu halten – und das allein wird schwer genug werden.
Und genau da blitzt, neben dem Kalkül eines FDP-Politikers, der sich mit seiner Partei bei der Wählergunst im freien Fall befindet, so etwas wie Vernunft auf: Ein AKW-Gelände ist in der Regel recht gut gesichert und flößt schon von Ferne einen gewissen Respekt ein. Ein weiterer massiver Bunker auf solchem Gelände verschandelt kaum die Landschaft und gibt relative Sicherheit für 100 bis 200 Jahre. Außerdem ist eine Wärmequelle die ohne Energiezufuhr für viele Jahre so oder so vor sich hinstrahlt fast schon ein Hauptgewinn für alle, die im Rahmen des ökologischen Umbaus der Energieversorgung nicht nur an Windräder denken. Wir reden hier von Behältern mit anfangs rund 400 Grad Celsius Oberflächentemperatur, die, zum Beispiel, in Gorleben 40 Jahre lang abkühlen müssen, damit der Inhalt überhaupt umverpackt werden kann. Was also spricht dagegen, die Abwärme von Castorbehältern zu nutzen? Wie viele Öl- und Gasheizungen könnten damit überflüssig werden, wie viel CO2 wäre damit einzusparen? Wäre das nicht eine echte Brückentechnologie für die Wärmeversorgung von vielen, bis effektivere und bezahlbare ökologische BHKW-Lösungen für den Wohnungsbau verfügbar sind?
Was spricht dagegen – außer, daß dieser Vorschlag vom ungeliebten FDP-Mann kommt, und daß manch braver Widerständler einfach nicht akzeptieren kann, daß aus dem bösen Atomkreislauf vielleicht doch noch ein, sogar ökologisch vertretbarer, Nutzwert für viele entstehen könnte? Technisch wäre die Nutzung der Abwärme kein Problem. Und in den nächsten zwei Jahrhunderten finden die Wissenschaftler vielleicht einen (zumindest etwas besseren) Weg zur Endlagerung oder zur sicheren Verwertung des Atommülls. Falls nicht, dann müssen halt neue, bessere Bunker gebaut, und weiter geforscht werden. Was also spricht dagegen? Hat jemand eine bessere Idee?
Foto(Gerhard Ziegler): Zentrum der Stadt Pripjet