Auf Einladung der Rechtshilfe Gorleben sollte Michael Sailer vom Öko-Institut Darmstadt am Freitag in Trebel einen Sachstandsbericht zum Stand der Endlagerdebatte geben. Daraus wurde eine Diskussion über „Machbarkeitswahn“ und die Kompetenz der Wissenschaft, langfristige Prognosen abgeben zu können.
Vor 30 Jahren gehörte Michael Sailer zu den Gründungsmitgliedern des Öko-Instituts Darmstadt. Ursprünglich als unabhängiges Forschungsinstitut gegründet, dessen Gründungsmitglieder sich dem Widerstand gegen das Kernkraftwerk Wyhl verbunden fühlten, ging es den Wissenschaftlern des Öko-Instituts um den Erhalt einer immer rücksichtsloser ausgebeuteten Umwelt. Und es ging ihnen um den Schutz der menschlichen Lebensgrundlagen, die immer sichtbarer zerstört wurden. Diese Prozesse sollten zumindest aufgehalten, wenn möglich umgekehrt werden. Das Öko-Institut war zunächst eine kleine Wissenschaftsschmiede mit einigen IngenieurInnen, PhysikerInnen, ChemikerInnen, JuristInnen und TheologInnen. Sie analysierten, bewerteten und gingen mit den Ergebnissen an die Öffentlichkeit.
Heute ist das Öko-Institut ein renommiertes Forschungs- und Entwicklungsinstitut, das inzwischen viele Aufträge auch der Bundesregierung erhalten hat. So ist Michael Sailer, Dipl.-Ingenieur für technische Chemie, schon seit Jahren für das Öko-Institut Vorsitzender der Entsorgungskommission (ESK), die die Bundesregierung in Sachen Endlagerung von radioaktivem Müll berät. Schon 1999 war er Mitglied der Reaktorsicherheitskommission (RSK), deren Vorsitzender er von 2002 bis 2006 war.
Für viele Atomkraftgegner ist diese Karriere Grund genug, Sailer Mißtrauen entgegen zu bringen, zumal er mit einigen Äußerungen in der Vergangenheit in die Kritik geriet. So kritisierte er z.B. Ende der 90er Jahre die Blockaden der Castortransporte als „ungeeignet“, weil diese in letzter Konsequenz eine Wiederaufbereitung der Brennstäbe im Ausland zur Folge hätten. Statt dessen solle atomare Endlagerung in Deutschland organisiert werden. In Trebel sollte Sailer vorgeblich über Organisationsstrukturen und Machtverteilung in der Endlagerung von radioaktivem Müll referieren. Doch nach einer knappen Stunde war klar, worum es den Veranstaltern tatsächlich ging: Sailer sollte sich zu dem Vorwurf stellen, er sei genauso einem „Machbarkeitswahn“ erlegen, wie viele Protagonisten aus der Atomwirtschaft.
Hintergrund waren Abschnitte in der von Sailer als Projektleiter mit verantworteten Broschüre „Endlagerung wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle in Deutschland“, in denen davon ausgegangen wird, dass „der erforderliche Kenntnisstand für die Errichtung eines Endlagers in Steinsalz durch die in den letzten 40 Jahren in Deutschland geleistete Forschungstätigkeit weitgehend erarbeitet sind.“ Auf Nachfragen in der Veranstaltung erklärte Sailer dann: „Ja, wir haben das notwendige Handwerkszeug, um an die Endlagerfrage heran zu gehen.“
Harter Tobak für die rund 30 erschienenen Endlager-Gegner, die davon gar nichts hören wollten. Prompt wurde Sailer unterstellt, er sei nun auch dem „Machbarkeitswahn“ erlegen. Flugs wurden ihm von mehreren Seiten ausführliche Zitate aus der 90-seitigen Broschüre (+ 1500 Seiten technischem Begleitmaterial) vorgehalten, die auf den ersten Blick die Theorie erhärten sollten, Sailer sei vom Ministerium „gekauft.“ Der Dipl.-Chemiker trugs mit Fassung und antwortete mit süddeutscher Gelassenheit.
Im nachfolgenden wnet-Gespräch erklärte sich seine gelassene Haltung, obwohl er und die Kommission zwischenzeitlich aus dem Publikum deutlich als „Machbarkeitsfanatiker“ oder „Handlanger der Wirtschaft“ diskreditiert wurde. „Über 400 Jahre lang hat das Ingenieurswesen in Deutschland gemeint, sein Wissen nicht mit der Öffentlichkeit teilen zu müssen. Da empfinde ich eine gewisse Bringschuld, unsere Arbeitsweisen und Erkenntnisse allgemeinverständlich zu vermitteln.“ Lag es an der missverständlichen Ausdrucksweise von Michael Sailer oder am Nicht-verstehen-wollen des Publikums? Sailer schaffte es jedenfalls nicht, das tiefsitzende Misstrauen gegen wissenschaftliche Sicherheit zu zerstreuen.
Zum Beispiel wurde der Satz „Wir haben das notwendige Handwerkszeug“ konsequent mit der Aussage „Wir haben ein Endlager gefunden“ verwechselt. Nein, mit „Handwerkszeug“ habe er nur gemeint, dass die für die Planung, Betrieb und Abwicklung eines Endlagers notwendigen wissenschaftlichen Methoden und technischen Verfahren so weit entwickelt sind, dass man (Wissenschaft + Technik) es sich jetzt zutrauen könne, einen konkreten Endlagerstandort tatsächlich zu einem Endlager auszubauen und dieses dann auch zu führen.
Das „Handwerkszeug“ müsse natürlich richtig angewandt werden und auch die Planer und Betreiber müssten kompetent und zuverlässig genug sein, die strengen Richtlinien einzuhalten. „Ich weiß, das es bis zur Festlegung auf ein Endlager noch viele Fragen zu klären gibt. Wir können nicht morgen anfangen zu bauen.“ Doch die Kritiker waren mit diesen Auskünften nicht zufrieden, verwiesen immer wieder auf die jüngsten Skandale und Störfälle, die nach ihrer Meinung belegten, dass es eben „keine Machbarkeit“ gebe.
Auch Wissenschaft muss sich immer wieder überprüfen
Dabei machte Sailer ziemlich klar, dass auch er nicht davon ausgeht, dass Wissenschaftler unfehlbar sind: „Natürlich muss auch nach Jahrzehnten immer noch und immer wieder beobachtet werden, ob das prognostizierte Verhalten tatsächlich eintritt.“ Und falls nicht, müssen Anpassungsmaßnahmen vorgenommen werden. Für ihn als Wissenschaftler alltägliches Geschäft. Für Atomkraftgegner, die seit mehr als 30 Jahren immer wieder „Lug und Trug“ sowohl im politischen als auch im wissenschaftlichen Geschäft erleben mussten, eine befremdliche Sicht der Dinge.
Der zweite Reibungspunkt war Michael Sailers klare Aussage, dass es für ihn „derzeit keine Gründe gibt, Gorleben aus einem vergleichenden Auswahlverfahren herauszuhalten“. Auch diese Haltung musste er ausführlich erläutern. Für Michael Sailer ist der Salzstock Gorleben aus wissenschaftlicher Sicht grundsätzlich geeignet, als Endlager zu dienen. Aber: „Ich will nicht die machbare Lösung realisieren, sondern die bestmögliche. Es muss mindestens ein halbes Dutzend zur Auswahl stehende Standorte geben, die auf ihre Eignung überprüft werden.“ Dazu gehören nach Sailers Ansicht auch Gebirgslagen aus Tongestein.
Denn – wie auch in seiner Broschüre nachzulesen ist – in den letzten 40 Jahren ist zwar die geologische Beschaffenheit von Steinsalz gründlich untersucht worden, doch es fehlen vergleichbare Werte von Tongesteinslagen. Sailer will, dass beide Gesteinsarten gleichermassen erforscht werden, um dann am Ende sagen zu können, welche Gesteinsart für die Lagerung des hochradioaktiven Mülls besser geeignet ist. „Es muss eine Entscheidung für die bestmögliche Lösung geben und nicht für die bloß machbare.“
Dabei ließ Sailer keinen Zweifel daran, dass es eine Lösung der Endlagerfrage geben muss. „Denn dieses brandgefährliche Zeug oberirdisch in Zwischenlagern zu verwahren, kann keine Lösung sein.“ Innerhalb der Anti-AKW-Bewegung gibt es allerdings Stimmen, die genau dies bevorzugen würden, denn „jeder, der behauptet, die Technik im Griff zu haben, kann nur scheitern.“ Also besser oberirdisch permanent zugänglich lagern und auf X-tausend Jahre ständig unter Kontrolle halten ...
Machbarkeitswahn oder realistische Einschätzung?
In der Veranstaltung selber war es nicht möglich, von Michael Sailer zu erfahren, welches denn konkret seine Grundbedingungen für die Festlegung auf einen Endlagerstandort sind – zu stark wurde die Diskussion von der „Machbarkeits“-Debatte dominiert. Doch nach der Veranstaltung hatte wnet die Gelegenheit, die offen gebliebenen Fragen zu erörtern.
Hier die vier entscheidenden Punkte, nach deren Klärung sich Sailer für ein konkretes Endlager aussprechen könnte:
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Vor allem müssen zunächst die Sicherheitsanforderungen an ein Endlager festgelegt werden. Die Diskussion hierüber ist zwar schon sehr weit fortgeschritten, aber es fehlen noch die letzten Ausarbeitungen.
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Ein vergleichendes Auswahlverfahren, in dem mindestens ein halbes Dutzend Standorte mit verschiedenen Gesteinslagen miteinander abgewogen werden. Dazu gehört auch Tongestein. Gorleben wird dabei allerdings nicht per se wegen vergangener Verfahrensfehler ausgeschlossen.
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Das „Handwerkszeug“ muss konkret auf den auszuwählenden Standort angewandt werden, will sagen, es müssen alle technisch machbaren Sicherheitsmaßnahmen auch angewandt werden.
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Etwaige Betreiber müssen ihre Zuverlässigkeit und Kompetenz nachweisen. Vor allem müssen sie in der Lage sein, die von der Wissenschaft entwickelten Meßmethoden, Betriebs- und Kontrollverfahren zuverlässig und kompetent anzuwenden.
Wissenschaft im verworrenen Netz der Zuständigkeiten
Doch Michael Seiler weiß auch, dass sein Einfluß – und der der Entsorgungskommission – begrenzt ist. Am Anfang des Diskussionsabends hatte er eindrücklich dargestellt, wie sich derzeit die Zuständigkeiten für Bewilligung, Betrieb und Aufsicht von Endlagern darstellen. Danach ist es ein eng verzahntes Gebilde von Ämtern, Institutionen und Ministerien, „auf einer Folie nur mit der vierten Dimension darstellbar“, das für diese Aufgaben zuständig ist.
Hier sind es konkurrierende Ministerien (BMWI und BMU), die in der Praxis oft gegeneinander arbeiten, dort ist nach Aufschlüsselung der Beteiligten erkennbar, dass z.B. die DBE sowohl in der Bewilligung als auch in der Aufsicht eine maßgebliche Rolle spielt. Wenn man dann auch noch weiß, dass Anteilseigner der DBE zu 75 % die GNS, ein Zusammenschluß der Energieunternehmen, ist, so sind massive Zweifel an der Neutralität von Bewilligungs- und Aufsichtsinstitutionen wohl mehr als berechtigt. Dazu kommt noch, dass die DBE einen Monopolvertrag über die Entsorgung von Atommüll hat, dessen Kündbarkeit bis heute nicht geklärt ist. Allgemein wird davon ausgegangen, dass der Vertrag unkündbar ist. Die Entsorgungskommission hat da nur eine beratende Funktion. Immerhin können die Mitglieder der ESK ihre Ergebnisse nach eigenem Gutdünken veröffentlichen, ohne sich vorher Genehmigungen einholen zu müssen.
In der umstrittenen „Endlager“-Broschüre heißt es zur politischen Diskussion nüchtern: „Vor dem Hintergrund der anstehenden gesellschaftlichen Diskussionen im Rahmen der Planungsschritte für ein Endlager sind die bereits bestehenden Erkenntnisse zu den sozialen, wirtschaftlichen und ethischen Aspekten der Endlagerung fortzuschreiben und weiterzuentwickeln.“
Wer sich ein eigenes Bild über die Inhalte der Endlager-Broschüre machen will, dem sei der Download auf der Seite des Öko-Instituts empfohlen. Dort sind auch die vertiefenden Anhänge als pdfs verfügbar.
Foto: Angelika Blank
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