Seit dem 1. April 2015 gibt es in Europa keine Milchquote mehr. Seitdem darf soviel Milch verkauft werden, wie die Kühe hergeben. Vor allem für die kleinen Betriebe bedeutet das immer öfter das endgültige Aus.
Noch in letzter Sekunde hatten die Milch-Landwirte im März vergangenen Jahres auch in Brüssel vehement dafür gekämpft, dass die Milchquote erhalten bleibt - erfolglos. Zum 1. April wurde die Milchquote abgeschafft.
Seitdem befinden sich die Milchpreise im freien Fall. Mitte Mai lag der Preis, den die Molkereien zu zahlen bereit waren, bei unter 20 Ct. Um nur die direkten Kosten der Milchproduktion zu decken, braucht ein Landwirt allerdings über 40 Ct/Liter.
In den letzten Wochen folgte Krisengipfel auf Krisengipfel, doch in der Bewertung der Ergebnisse sind sich Bauernverband und Milchbauern einig: Der Lösungsweg von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt ist nicht tauglich, die Krise der Milchbauern zu lösen.
Damit hört die Einigkeit allerdings schon auf. Während der Bauernverband seinen Mitgliedern immer noch grenzenloses Wachstum propagiert, plädiert z.B. der Bund der Milchviehhalter vehement für freiwillige Mengenreduzierungen.
Warum produzieren die Milchbauern so viel?
Die Krise der Milchviehhalter ist nicht neu. Bereits im Jahre 2008 schütteten hierzulande Milchbauern ihr kostbares Gut lieber weg oder verschenkten es lieber als es zu Dumpingpreisen in die Molkereien zu liefern. Massenhafte Protestfahrten nach Brüssel folgten, Demonstrationen und immer wieder neue Krisengipfel.
Sie selbst denkt noch nicht ans Aufhören, aber "die Lust zur Arbeit nagt ganz schön an einem", sagt sie. Bei den Milchbauern habe sich nach den langen Jahren des Kampfes die Meinung durchgesetzt, dass sie als kleinbäuerliche Betriebe politisch nicht mehr gewollt seien. "Sowohl Politik als auch Molkereien setzen auf große Einheiten mit mehr als 500 Kühen," so Webs.
Doch gerade in Lüchow-Dannenberg mit seinen kleinbäuerlichen Strukturen (wobei heutzutage ein Stall mit 200 Kühen schon als "klein" gilt) können und wollen viele diesen Druck nicht mitmachen. "Eine Erweiterung zieht nicht selten Kosten in Millionenhöhe nach sich," so Gisela Webs. "Wobei die Banken kein Geld mehr geben, wenn nach dem Umbau nicht mindestens ein Plus von 240 Kühen erreicht wird." Folge: Immer mehr Bauern rutschen in die Schuldenfalle. Und immer mehr Milchlandwirte verschwinden aus den Dörfern.
Vehement propagiert wird Mengenvergrößerung lt. Gisela Webs vom Bauernverband, der - zur Empörung nicht nur von ihr - auch aktuell seinen Landwirten immer noch empfiehlt, auf Mengensteigerung zu setzen, obwohl sich die Milchpreise seit Jahren im Sinkflug befinden. "Das sei die Chance zum Einstieg in den Weltmarkt, nur so könnten neue Märkte erschlossen werden, von denen dann auch die Bauern hierzulande profitieren würden erzählen ihnen die Funktionäre des Bauernverbandes," berichtet Webs. "Diese Versprechungen treiben viele Landwirte in den Ruin."
Die Milchbäuerin wundert sich dabei über ihre Kollegen, die trotz der beinahe jahrzehntelang andauernden Milchpreiskrise ihren Funktionären glauben und sogar mitten in der Krise immer noch investieren. Das liege aber auch daran, so Webs, dass viele Landwirte die Marktmechanismen überhaupt nicht durchschauen - sie ihnen von den Bauernverbänden aber auch nicht objektiv erklärt würden.
"Viele haben geglaubt, dass sie frei sind, wenn die Milchquote fällt. Dass sie dann richtig loslegen und ordentlich Geld verdienen können," wundert sich Webs. "Das ist jetzt zum Desaster geworden."
Inzwischen gibt es immer mehr Milchlandwirte, die aus der Schuldenfalle nicht mehr herauskommen: hören sie auf, müssen sie millionenschwere Kredite schlagartig zurückzahlen. Versuchen sie auf einen anderen Betriebszweig umzuschwenken, bekommen sie keine Finanzierung mehr. Und verkaufen bringt angesichts der schlechten Marktlage ebenfalls keinen Ertrag. So bleibt oft kein anderer Weg als verzweifelt zu versuchen, am "freien" Markt teilzunehmen. Doch Milchlandwirte haben keine Marktmacht. Oft wissen sie nicht einmal, welchen Preis sie diesen Monat für ihre Milch bekommen. Sie müssen die Milchabrechnung hinnehmen, wie ihre Kühe das Heu, das ihnen vorgeworfen wird.
Warum funktioniert die freiwillige Mengenbegrenzung nicht?
Inzwischen sind die Milchbauern gespalten. Während die einen weiterhin dem Rat der Verbände folgen und bis zum Rande der Möglichkeiten vergrößern, versuchen andere, verzweifelt Werbung für eine freiwillige Mengenbegrenzung zu machen, wie sie über das Milchboard organisiert wird.
Doch diejenigen, die glauben, dass ihnen die Mengenerweiterung Heil bringt, steigen natürlich nicht in die freiwillige Mengenbegrenzung ein. Andere bezweifeln den Erfolg, weil nicht genügend Bauern zusammenkommen.
Die Zurückhaltung ist nicht ohne Grund. Von den Molkereien werden diejenigen Landwirte torpediert, die zur Milcherzeugergemeinschaft (MEG) Milchboard gehören. "Da werden dann schlechte Angebote gemacht oder ihnen offen ins Gesicht gesagt, dass man an kleinen Mengen nicht interessiert ist," weiß Gisela Webs. Die Genossenschaftsidee der Molkereien habe längst keine Gültigkeit mehr.
Angesichts der Falschinformationen durch die Bauernverbände sei die Skepsis unter den Landwirten kein Wunder, so Webs. "Zwischenzeitlich wurden sogar steigende Preise verkündet, wurde gar davon geredet, dass der 'Flaschenhals' überwunden sei." Dabei seien die Milchpreise schon seit Jahren, wenn nicht gar einem Jahrzehnt, im freien Fall.
Der Bund deutscher Milchviehhalter fordert deshalb, dass in Brüssel ein "Frühwarnsystem" installiert werden muss. "Die Monitoringstelle, bei der alle Marktdaten einlaufen, soll rechtzeitig warnen, wenn die Preise sich über einen bestimmten Zeitraum hinweg negativ entwickeln," fordert Webs. "Dann sollen sie zur freiwilligen Mengenbegrenzung aufrufen." Falls das nicht wirke, so stellt sich der BDM vor, dass dann für begrenzte Zeit eine Mengenbegrenzung wieder verpflichtend wird, bis sich der Markt beruhigt hat. Ziel: die Bauern sollen dem Markt entsprechend produzieren.
Überproduktionen sind politisch gewollt
Dass die freiwillige Mengenbegrenzung nicht funktioniert, liege auch daran, dass eine ernsthafte Lösung der Preiskrise politisch nicht gewollt sei. "Politik und Molkereien wollen große Einheiten, damit die Milch billig bleibt und somit andere Waren gekauft werden können," ist Webs überzeugt. "Dann gibt es auch nicht so viele Landwirte, die Forderungen stellen." Außerdem wollten die Molkereien den täglichen Abholverkehr über Land loswerden.
Bei der Konzentration auf Großeinheiten fallen all die Betriebe über Bord, die als Familienbetriebe wirtschaften und sich nicht massiv verschulden wollen. "Sie werden bald nicht mehr wissen, wohin sie ihre Milch liefern sollen, denn die Molkereien lehnen zunehmend kleine Anlieferer ab," so Webs.
Der Aufbau von regionalen Molkereien und der damit verbundene regionalere Absatz hat ebenfalls keine Chancen auf Umsetzung, da dieses Konzept weder von der Bundespolitik noch von der EU unterstützt wird. Nicht einmal Renate Künast, ehemalige grüne Bundesministerin, sah zu Amtszeiten Möglichkeiten, hier zu intervenieren. Also sind auch die kleinen Betriebe gezwungen, sich am großen Markt zu behaupten.
Und was ist mit den 100 000 000 Euro, die der aktuelle Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt als Hilfe bereitstellt? Gisela Webs kann da nur lachen. "100 Millionen durch 73 000 deutsche Milchbauern geteilt - das macht noch nicht einmal 1500 Euro pro Landwirt aus," rechnet sie vor. "Bei meinen 50 Kühen fehlen mir bei jeder Milchabrechnung 3000 - 4000 Euro zur Kostendeckung. Und damit sind nur die reinen Kosten der Produktion gemeint, ohne Löhne."
Gisela Webs hat noch Energie und will weiter dafür kämpfen, dass die bäuerliche Landwirtschaft mit ihren Familienbetrieben in den Dörfern erhalten bleibt. "Aber die Tage häufen sich, an denen die Lust zur Arbeit abhanden kommt." Vor allem dann, wenn die aktuelle Milchabrechnung eingetroffen ist.
Foto: Melkcomputer und vollautomatisierte Melkanlagen (hier ein Melkkarussel) finden immer Einzug in die Milchviehställe. Kleine Betriebe, die die millionenschweren Investitionen nicht leisten können, geraten dabei zunehmend ins Hintertreffen