Schon länger schwelt der Konflikt zwischen den Milchbauern und "ihrem" Verband, dem Landvolk. Am Donnerstag war Landvolktag in Lüchow - äußerlich ruhig nahmen fast 300 Landwirte die Worte ihres Vorsitzenden auf. Doch der Schein trügt: unter der Oberfläche brodelt es.
Nicht nur Milchbauer Ulrich Brünicke aus Brünkendorf ist schon lange skeptisch, was die Bauernverbände für ihn als relativ kleinen Milchviehhalter tun können. Mit seinen 60 - 70 Milchkühen gilt er nicht als Zukunftsmodell in der Landwirtschaft. Zwar hat er jetzt durch die Befreiung von der Zwangsabgabe für die CMA eine kleine Entlastung erhalten - für Brünicke immerhin ein Plus von rund 3000 Euro in der Betriebskasse - aber an den nicht einmal die Produktionskosten deckenden Einnahmen aus den Milchlieferungen ändert das nichts. Auch Brünicke hatte letztes Jahr am Milchstreik teilgenommen. Doch nun fragt er sich, wie viele andere seiner Kollegen, wie es mit der Milchproduktion in Deutschland weitergehen soll, nachdem die Preise wieder durchschnittlich unter 20 Cent gefallen sind.
Vom Landvolktag in Lüchow erwartete der Landwirt ein wenig mehr Aufklärung, was der "Bauernverband Nord-Ostniedersachsen" und sein Unterverband, das Landvolk, für ihn tun kann. Doch Werner Hilse, Präsident des niedersächsischen Landvolkes und (Noch)-Aufsichtsratsvorsitzender der CMA hatte den rund 300 Landwirten wenig Konkretes zu sagen. "Die Welt hat sich verändert, Europa ist grösser geworden. Wir müssen erkennen, dass wir längst nicht mehr für Deutschland produzieren, sondern für die Welt." Sollte die Landwirtschaft diese Zeichen nicht erkennen, so räumt Hilse ihr wenig Zukunftschancen ein. Es folgte ein vehementes Plädoyer für die "Ausweitung der Märkte" und die Teilnahme am globalisierten Markt. "In China wird Jahr für Jahr billionenfach Umsatz gemacht, daran müssen wir teilhaben", rief er den überwiegend in Familienbetrieben arbeitenden Landwirten zu.
Auf die Frage, wie denn die Märkte zu festigen sind, hatte der Landvolk-Präsident lediglich Durchhalteparolen parat: "Das wird wieder besser werden. Überall um uns herum wird die Produktion zurück gefahren. Wir müssen nur bei unseren Produktionszahlen bleiben, dann sind wir bald wieder vorne mit dabei". Jetzt befinde man sich allerdings in einem dramatischen Wettkampf auf den Märkten. "Wir produzieren 115 % des Milchbedarfs". Dabei gibt es nach Hilses Ansicht genügend Märkte, die offen sind und einen enormen Bedarf haben, wie eben China, aber auch die USA.
In Sachen Milch gestand Hilse ein, dass auch er mit dem Deutschen Bauernverband, insbesondere seinem Präsidenten Gerd Sonnleitner, nicht immer einig sei. Die Neuaufstellung der Milchpolitik im letzten Jahr sei allerdings für die Bauern, aber auch für die Verbände eine schwere Herausforderung gewesen. Für die aktuelle Preismisere im Milchbereich macht Hilse die "zu schnellen Preissteigerungen" verantwortlich. "Das hat einen Rückgang im Verbrauch von 8 % gegeben. Da haben die Verbraucher mit den Füssen abgestimmt. Diesen Verlust haben wir bis heute nicht aufgeholt", so Hilse.
Wer den Markt hat, hat die Macht
Gegen die Kritik der Milchbauern, während des Milchstreiks nicht genügend an ihrer Seite gestanden zu haben, ja den Streik durch öffentliche Aussagen sogar diskreditiert zu haben ("Ich hoffe, wir bekommen keine Lieferengpässe"), wehrte sich Hilse mit dem Argument, dass er den Milchstreik zwar grundsätzlich gehalten habe, aber in Teilen sei es zu Aktionsformen gekommen, die er nicht vertreten könne. Auf dem Landvolktag machte Hilse seine Haltung zum Milchstreik noch einmal deutlich: "Grundsätzlich ist Streik zwar ein Mittel, aber nicht der, der das Produkt hat, hat die Macht, sondern derjenige, der den Markt hat, der hat die Macht".
Abhilfe schaffen soll ein Marketinginstrument, das was die CMA hätte sein sollen. Doch nach der Ablehnung der Zwangsabgabe durch das oberste Gericht ist die Auflösung der CMA wohl nur noch eine Frage der Zeit ist. "Seit Tagen telefoniere ich von morgens bis abends, um eine Lösung für die Neugründung zu finden. Ich wünsche mir eine Marketinggesellschaft, die unabhängig finanziert wird", so Hilse. Denn eines der Hauptprobleme der CMA sei gewesen, dass sie sämtliche Maßnahmen, die sie durchführen wollte, mit der EU abstimmen musste, damit "die CMA nicht anderen EU-Ländern weh tut". Nun werde es wohl die Ernährungswirtschaft sein, die eine neue Marktinggesellschaft mitfinanzieren werde.
Wo bleiben bei einer derartigen Lösung dann die Interessen der Landwirte? "Ich bin damit auch nicht glücklich, aber die Landwirte fallen voraussichtlich als finanziell Beteiligte in einem neuen Konstrukt aus. Es wird dann wohl tatsächlich so sein, dass die neue Marketinggesellschaft sich nach den Interessen der Anteilseigner richtet.", so Hilse auf Nachfrage. Ansonsten blieb Hilse in Sachen Vermarktung nebulös: "Wir müssen zusammen halten, müssen Wertschöpfungsketten bilden. Wir müssen nachhaltige Erlöse für unsere Produkte organisieren..." Überhaupt sei die Nachhaltigkeit ein "Megatrend" in der Welt. Aber auch hier führte Hilse nicht weiter aus, was er damit meinte.
In Sachen Naturschutz wurde er schon etwas deutlicher: "Wir können nicht bestes Ackerland für Ausgleichsmaßnahmen weggeben. Doch wir sind nicht grundsätzlich dagegen. Die Zustimmung wollen wir uns aber erkaufen." Hilses Forderung: Agrardiesel müsse steuerfrei gestellt werden, dann "lassen wir mit uns auch über Ausgleichsflächen reden."
Bezugnehmend auf die Konflikte um neue Schweineställe in der Region wies er darauf hin, dass in der Region ein Manko in der Ferkelerzeugung bestehe. "Derzeit müssen Ferkel aus anderen Regionen gekauft werden. Ich würde gerne Ferkel aus Lüchow-Dannenberg kaufen, aber es werden nicht genügend angeboten", stützte Hilse als Inhaber eines Schweinezuchtbetriebes die Planungen neue Schweinemastanlagen aufzubauen.
Zum Einsatz von gentechnisch veränderten Pflanzen vertrat eine Hilse eine auf den ersten Blick klare Haltung: "Unter der jetzigen Situation würde ich keinem Bauern raten, gentechnisch veränderte Pflanzen anzubauen", so sein Statement. Hierbei spielen für ihn allerdings hauptsächlich ungeklärte haftungsrechtliche Fragen eine Rolle als ethische Überlegungen. Denn: "Es wird trotzdem geprüft werden müssen, ob und welche gentechnisch veränderten Produkte bei gesellschaftlichen und landwirtschaftlichen Problemen helfen können", relativierte Hilse seine Ablehnung der Gentechnik.
Es rumort mehr, als man sehen kann
Die Mehrheit der Versammlung nahm die Rede Hilses äußerlich ruhig auf. Doch schon zwischendurch munkelte es "Es rumort unter den Bauern mehr, als man sehen kann". Sicht- und hörbar wurde die Skepsis gegenüber dem Verband allerdings nur durch drei kritische Anmerkungen von Vertretern der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (ABL) und einem Mitglied der Bäuerlichen Notgemeinschaft. Im Mittelpunkt der Kritik standen hier die undeutliche Haltung Hilses während des Milchstreiks im letzten Jahr und das Anmahnen klarer Worte zur Gentechnik. Ausserdem fühlten sich die Landwirte vom Verband schlecht über ihre Einspruchsmöglichkeiten in Sachen CMA informiert. "Von externen Beratern wurde schon vor einiger Zeit geraten, Einspruch gegen die CMA-Abgaben einzulegen. Vom Verband kam hierzu kein Wort. Jetzt haben wir die Situation, dass nur die ihr Geld zurück bekommen, die rechtzeitig Einspruch eingelegt haben", so Martin Schulz von der ABL.
Hilse verwies darauf, dass der Verband ja regelmässig Newsletter verschicke. Ansonsten wiederholte er sein Plädoyer, sich solidarisch zusammen zu tun und auch mit der Lebensmittelindustrie zusammen zu arbeiten. "Als Landwirte haben wir einen Anteil von 2- 3 % am Bruttosozialprodukt. Tun wir uns mit dem Lebensmittelhandel zusammen, so könnte die Marktmacht grösser sein als die der Autokonzerne", glaubt der Landvolk-Präsident.
Zu einer grossen Austrittsankündigung kam es am Landvolktag jedoch nicht. Doch obwohl der neue Vorsitzende Adolf Tebel zum Schluss der Versammlung hoffte, "dass der Landvolktag dazu geführt hat, dass der Verband gestärkt weiter arbeiten kann", murrte und munkelte es unter den Landwirten, dass man nun endgültig austreten wolle. Immer wieder war zu hören: "Ich fühle mich vom Bauernverband nicht mehr vertreten."
Auch woanders wurden Konzepte vorgestellt
Das Schicksal der Milchbauern war dieser Tage auch für andere sogenannte "Marktbeteiligte" von Interesse: auf dem Deutschen Molkereikongress, der am Freitag zu Ende ging, wurde intensiv über die Zukunft des Milchmarktes diskutiert. Unter anderem fiel Barbara Scheitz von der Andechser Molkerei mit einem vehementen Statement für die Einführung eines 'öko-sozialen Realitätsmilchpreises' auf Basis der Wirtschaftsleitlinien der UN-Agenda 21 auf. Die Geschäftsführerin der Biomarke forderte vom Lebensmitteleinzelhandel, der Milchwirtschaft und der Politik die Mitarbeit und Akzeptanz für ein neues Milchpreissystem auf Basis der Leitlinien der UN-'Agenda 21' der UN-Konferenz von Rio de Janeiro, die eine Verbindung von Ökologie, Ökonomie und Sozialem für jegliches Wirtschaften empfehlen. Barbara Scheitz: "Würden alle Beteiligten diese bereits vorgegebenen Kriterien befolgen, dann hätten wir alle eine realistische Chance, unsere ökonomische Zukunft zu gestalten bei sinnvoller Nutzung und Sicherung unserer ökologischen Lebensgrundlagen." Sie appellierte an alle Beteiligten der "Wertschöpfungskette Milchprodukte", zusammen mit Aganda-21-Wissenschaftlern und zuständigen Fachpolitikern sich umgehend mit dieser Idee zu befassen: denn die Einbindung und Abstimmung der Interessen der Milchwirtschaft der in die der Gesamtgesellschaft - Stichworte gaben dabei Klimaschutz und gesellschaftlich-soziale Notwendigkeiten - sei eine moralische Verpflichtung!
Massiv setzte sich Barbara Scheitz für die Milchbauern ein, die 2008 nur kurzfristig einen realen Milchpreis zuerkannt bekommen hatten: "Der aktuelle Milchpreisverfall ist für die Bauern eine Katastrophe!" Ein neues Milchpreis-Bewertungssystem, das sich mit einem objektiven Bewertungspunkt-System nach Agenda-21-Kriterien ausrichtet und dadurch entsprechend gesellschaftsdienliches, nachhaltiges, ökologisches Wirtschaften über den erzielte Preise und Ausgleichszahlungen fair belohnt, ist nach Barbara Scheitz der zukunftsweisende, richtige Weg für Unternehmen und Gesellschaft.
Foto: Angelika Blank