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Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran

Moses Schmitt steckt mitten in der Pubertät. Seine Mutter ist abgehauen, und wenn man sich Moses’ Vater anschaut, bei dem er lebt, erscheint das nachvollziehbar. Denn der ist nicht nur streng, mißmutig, kleinlich und leidet in jeder Beziehung an Verstopfung – er läßt seinen Frust darüber, daß es mit dem Job nicht klappt, daß er verlassen wurde und überhaupt, auch noch mit Vorliebe an Moses aus, besonders gern, indem er ihm dauernd ein Idealbild vor die Nase hängt, wie ein anständiger Sohn eigentlich sein müßte.

Das alles findet in einem Rotlicht- und Nachtjackenviertel statt und wäre in Deutschland oder Schweden eine wunderbare Grundlage für einen herrlich sozial-depressiven Film, der in eine attraktive Katasptrophe mündet: Mord, Selbstmord, Amoklauf – oder alles nacheinander. Aber „Monsieur Ibrahim“ ist ein französischer Film nach dem autobiographischen Roman von Eric-Emmanuel Schmitt und spielt im Paris der frühen 60er Jahre. Und deshalb kommt alles vollkommen anders – nicht deutsch, nicht schwedisch, sondern französisch.

Moses (wunderbar gespielt von Pierre Boulanger) pfeift mehr und mehr auf den depressiven Vater und die widrigen Bedingungen und macht sich auf den Weg, in dem scheinbar verdorbenen Kuchen vielleicht doch auf Rosinen zu stoßen. Heimlich und väterliche Grundgesetze („Geld gibt man nicht aus; man spart es und freut sich daran, daß man es hat!“) brechend, macht er seine ersten Erfahrungen mit den Huren vom Bordstein gleich gegenüber seiner Wohnung. Die täglichen Einkäufe (er muß für seinen Vater sorgen, macht den Haushalt und kocht) erledigt Moses beim „Araber um die Ecke“ (Omar Sharif in der Rolle seines Lebens) – teilweise, weil das Geld vom Vater nicht reicht, indem er klaut.

Die Beziehung zwischen dem Juden Moses und dem Moslem „Araber“, der eigentlich ein Kurde ist und Moses bald Momo nennt (weil „Moses, das klingt so streng, so groß“), keimt behutsam, ebenso zart wie stetig, so, wie sich ein Champignon mit sanfter Entschlossenheit nach und nach durch den Asphalt drückt. Der Durchbruch zur Wahlverwandtschaft geschieht spätestens, als Moses-Momo merkt, daß Monsieur Ibrahim längst weiß, daß er ihn beklaut, aber versteht, warum er dies tut.

Anstatt zu verzweifeln, wozu er jede Menge Grund hätte, lebt Moses – und das macht so Spaß beim Zuschauen – nach der Altberliner Weisheit „Haste keenen, hol dir eenen“ und lernt von seinem Wahlvater, dem Sufi Ibrahim, wie man mit Frauen umgeht, wie man Brigitte Bardot so übers Ohr haut, daß sie einen danach erst wirklich anlächelt, daß man mißmutig Mißmut erntet und mit Lächeln ein Lächeln und daß man am Ende nur das behält, was man verschenkt.

Vor diesem Film hätte ich übrigens nie für möglich gehalten, mir jemals französische Musik aus der Nouvelle-vague-Zeit freiwillig, ohne körperlich dazu gezwungen zu werden, anzuhören; hier paßt sie, ist sie großartig und ebenso unsentimental wie gänsehauterzeugend. Fast noch eindrucksvoller aber sind die Passagen ohne jede Musik, ohne untergelegten Geräuschteppich; die Stellen, wo der Film einfach auf seine Bilder und sich selbst vertraut. Und das kann er, denn „Monsieur Ibrahim“ ist ein Film, der (eine große Ausnahme!) das schon gute Buch noch übertrifft.
Die hier in zero besprochenen DVD werden jeweils im selben Monat im Clubkino des Clen-zer „Culturladens“ gezeigt. „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ läuft am 14. Mai um 20 Uhr.




2008-04-29 ; von René Schüttler (autor),

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