Neue Expertise zu Gorleben: Alter Hut und neue Löcher

„Der Gorlebener Salzstock ist ein löchriger Zahn mit Karies“ - zu dieser Erkenntnis kommt der Kieler Diplom-Geologe Ulrich Schneider nach Überprüfung von Untersuchungsbefunden der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Am Mittwoch stellte Schneider seine Expertise in Dannenberg vor.

Im Auftrag der LINKE-Fraktion im niedersächsischen Landtag hatte sich Ulrich Schneider, der bereits in den 80er Jahren mit Prof. Dr. Klaus Duphorn den Gorlebener Salzstock begutachtete, die Untersuchungsbefunde der BGR aus den Jahren 2007 und 2008 zu geologischen und hydrogeologischen Fragestellungen vorgenommen. Insbesondere die Grundwasserversalzung, der Salzwasseraufstrom, die Thermodynamik sowie Gas- und Laugenvorkommen standen dabei im Fokus des Wissenschaftlers.

Was Schneider am Mittwoch im Hotel „Alte Post“ in Dannenberg zu berichten hatte, müsste eigentlich auch den vehementesten Verfechter des Salzstocks Gorleben als Endlagerstätte für radioaktiven Müll ins Grübeln bringen. Schon bei seiner Zusammenarbeit mit Prof. Duphorn hatte Schneider massive Zweifel an der Geeignetheit des Salzstocks Gorleben entwickelt. Die Überprüfung der Untersuchungsbefunde der BGR hat seine Ablehnung des Standortes nur noch bestärkt.

Nicht nur geologisch fand Schneider neue Belege für seine Annahme, dass der Salzstock Gorleben sich als „löchriger hohler Zahn“ darstellt. Auch methodisch hatte der Geologe massive Kritik an der Arbeit der BGR. An mehreren Stellen wies der Dipl.-Geologe der BGR als Verantwortliche für die Befunde Ungenauigkeiten, Widersprüchlichkeiten und Weglassungen wesentlicher Tatbestände nach. Dabei waren einst die Erkenntnisse seines ehemaligen Lehrers Prof. Duphorn von der PTB wegen angeblicher „Einzelbewertungen, die keine Aussagen über den Gesamtstandort zulassen“ abgelehnt worden

Hier nur ein Beispiel für die Arbeitsweise der BGR: Frostrisse im Salzgestein sind Kanäle für mögliche Wasserauf- und -abstiege, die die Undurchlässigkeit des des (Salz-)Deckgebirges – und damit den sicheren Einschluss – wesentlich beeinträchtigen können. Wasser ist in der Lage, festes Salzgestein in Lauge umzuwandeln.

Schneider stellte fest, dass die BGR zwar in den Grafiken an rund einem Dutzend Stellen steil verlaufende Frostrisse im Salzstock dargestellt hat, im Text werden allerdings nur einige wenige „flache“ - also zu vernachlässigende Frostrisse – erwähnt.

Derartige „Ungenauigkeiten“ finden sich lt. Schneider reihenweise in den Befunden der BGR. Trotzdem kommt die Bundesanstalt zu dem Schluss, dass „aus geowissenschaftlicher Sicht keine Erkenntnisse aus dem Studium des Salinars gegen die Langzeitsicherheit des Salzstocks Gorleben vorliegen.“

Nach intensiver Durchsicht der drei Teile der Standortbeschreibung kommt Schneider jedoch zu einer völlig anderen Bewertung: der geforderte sichere Einschluss der radioaktiven Abfälle für einen Zeitraum von einer Million Jahre ist „mehr als zweifelhaft“, so der Geologe in seinem Resümee.

Immer wieder stellte er Ansätze in der wissenschaftlichen Methodik der Bundesanstalt fest:

  • Niederschlagsdaten nach 1997 zur Ermittlung der Grundwasserneubildung wurden nicht berücksichtigt. Dies ist wichtig, um den Salzgehalt in oberen Wasserschichten feststellen und daraus Rückschlüsse auf vorhandene Klüfte, die Salzwasser nach oben tragen, ziehen zu können.
  • Ein Pumpversuch bei Dömitz-Lenzen wurde wegen Elbhochwasser abgebrochen und bis heute nicht durchgeführt; deswegen sind Aussagen über hydraulische Kontakte zum oberen Grundwasserleiter nicht vorhanden
  • Der Salzstock Rambow (unter Lenzen) wurde nicht berücksichtigt, obwohl dieser mit dem Salzstock Gorleben verbunden ist.
  • Es gibt eine unzureichende Anzahl von Messstellen im unteren Grundwasserleiter. Aufgrund der komplexen, sehr unterschiedlich aufgeworfenen Erdschichten reichen nach Ansicht Schneiders die eingerichteten Messstellen bei weitem nicht, um einen präzisen Überblick über das Fließverhalten im gesamten Salzstock zu erlangen.
  • Die Untersuchung im südwestlichen Salzstockbereich hinsichtlich der Alterseinstsufung der hier verbreiteten Grundwässer ist ungenügend bzw. mangelhaft. Auch dies ist wichtig, um das unterirdische Fließverhalten einschätzen zu können.
  • Die Grundwasserstände in den tieferen wasserführenden Horizonten sind gar nicht ausgewertet worden.


Überhaupt ist nach Schneider die Zusammenfassung der verschiedenen wasserführenden Horizonte im unteren und oberen Grundwasser zu pauschal. „Die Lagerungsverhältnisse im Bereich des Untersuchungsgebietes sind zu heterogen, … als dass sie mit einem auf zwei Wasserleiter zurecht gestutzten Modell realitätsnah wieder gegeben werden könnten.“.

Die BGR nutzte und interpretierte Daten aus noch nicht validierten (….) Grundwassermodellen.

Eine Untersuchung von eventuellen Wasserwegsamkeiten im Bereich des nachgewiesenen Scheitelgrabens wurde nicht durchgeführt bzw. ist nicht dargestellt.

Außerdem stellte Schneider fest, dass teilweise Grafiken zum gleichen Thema nicht überein stimmten. Ob dies auf mangelnde Sorgfalt bei der Auswertung oder auf Vorsatz zurückzuführen ist, mochte Schneider allerdings nicht beurteilen.

Geologisch bereiten Schneider vor allem starke Störungen im Sedimentgestein im Bereich der sogenannten „Gorlebener Rinne“ Sorgen: hier hat nach Schneider der Salzspiegel zum Teil unmittelbaren Kontakt mit Schmelzwassersanden aus der Elsterkalkzeit. Auf einer Fläche von ca. 7,5 km² ist zwischen den Ablagerungen aus der Eiszeit und dem Salzspiegel nur noch das lösungsresistente Hutgestein erhalten. Die BGR dagegen von einem durchgehenden Salzspiegel von von zwischen 160 und 340 m unter NN aus. 

Doch aus einem schematischen Profilschnitt wird ersichtlich, dass das für die Endlagerung vorgesehene Staßfurt-Steinsalz bis zum Salzspiegel aufsteigt, flankiert von dem leicht löslichen Kaliflöz Staßfurt und daran anschließend von dem grauen Salzton und dem Hauptanhydrit.

Insbesondere der Kaliflöz und das angrenzende Anhydrit sind für Schneider Grund, ihn vom „Karies des hohlen Zahns“ sprechen zu lassen. Steil bohrt sich der Kaliflöz bis in tiefe Schichten des Salzgesteins – eine ideale Wegsamkeit  für unterirdische Wasserflüsse. In der Expertise heisst es hierzu: „Zwei eng miteinander verbundene, jedoch völlig unterschiedliche Potenzielle Schwachstellen im Writsgestein stellen das leicht lösliche Kaliflöz Staßfurt sowie der eng angrenzende, spröde, durch Brüche zerrüttete Hauptanhydrit im Grenzbereich zu den jüngeren Gesteinen der Leine-Folge dar. Diese Schichten sind intensiv verfaltet, stehen steil und reichen letztendlich vom Salzspiegel bis hinab zum Fuß des Salzstocks in über 3000 m Tiefe. Am Salzspiegel reißen sie infolge der sukzessiven Subrosion (unterirdische Auslaugung bzw. Verfrachtung von leicht löslichem Gestein) linienartig und in der Längsachse des Salzstocks erstreckt aus. … Es kann grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden, dass es im Salzstockbereich weitere und ggfs. noch tiefer reichende vorauseilende Auflösungserscheinungen im Kaliflöz gibt. Wegsamkeiten für lösungspotente Grundwässer sind über den Hauptanhydrit sicherlich zur Genüge gegeben. Eine gezielte Erkundung dieser Bereiche ist jedoch nicht erfolgt.“

Desweiteren stehen nach Erkenntnis Schneiders die wasserführenden Hohlräume im Hutgestein (Salz) in direktem hydraulischen Kontakt zum unteren Grundwasserleiter. Ausserdem ist in den Grafiken der BGR zwar dargestellt, dass sich die ausgeprägten Scheitelstörungen der „Gorlebener Rinne“ bis in die Südspitze des Salzstocks Gorleben erstrecken – sie werden im Text jedoch nicht weiter erwähnt. Und: im Top des Salzstocks Gorleben ist der Zustrom von lösungspotenten Süßwassern bis zur Basis der Deckgebirgsschichten über dem Salzstock nachgewiesen. Diese erfolgen anscheinend nicht nur über die „Gorlebener Rinne“, sondern auch über teilweise abgetragene Gesteinsschichten und über eistektonische Störungsflächen und Scheitelstörungen.

In seiner Analyse kommt Schneider zu dem Schluss, dass sich für den Standort Gorleben letztendlich nicht die Fragestellung „wie lange brauchen Radionuklide von der Endlagersohle über den Wasserpfad bis in die Biosphäre“ von prioritärer Bedeutung, sondern vielmehr die Frage „Wie schnell säuft das Endlagerbergwerk ab?“.

Für Schneider steht eine Antwort auf diese Frage bislang aus. Bei der Asse wurde sie nach seiner Ansicht in wenigen Jahrzehnten durch die Natur beantwortet. Er kommt deswegen zu dem Schluß, dass aufgrund der mehr als zweifelhaften Eignung des Salzstocks Gorleben die Untersuchung alternativer Standorte dringend geboten ist. Ausserdem sei die Laufzeit des Gorleben-Moratoriums bis auf weiteres zu verlängern.

Die komplette Expertise kann über die Webseite der LINKE-Fraktion als pdf-Datei heruntergeladen werden.

Grafik: Die Grafik zeigt, wie dicht der Kalkflöz (rot/rosa) an das Salz-Deckgebirge (gelb) heranreicht.

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2009-09-17 ; von Angelika Blank (autor),

endlager_gorleben  

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