So kann es nicht weiter gehen. Nein, so kann es einfach nicht weiter gehen! Ich kann doch jetzt nicht wochenlang alle drei Stunden das Grundwasser außenbords pumpen. Das ist ja wie Gefängnis mit Arbeitseinsatz. Um vier Uhr nachts brülle ich von der Kellertreppe aus die verdammte Steckdose an, die mich zwingt, peinlich darauf zu achten, die Flut in meinem Keller nicht zu hoch steigen zu lassen. So kann es wirklich nicht weiter gehen!
Nach dem Abpfiff der zweiten Halbzeit dieser Nacht rufe ich meinen Leib- und Magen-Elektriker an und winsele um Gnade. Er erbarmt sich und steht tatsächlich um Mittag herum in Gummistiefeln auf der durchnässten Matte. Da pumpe ich natürlich gerade mal wieder – diesmal mit besonderer Hingabe.
Meine Frage, ob ich die Sicherung rausdrehen soll, wischt er beiseite: „Nicht nötig. Machen wir so. Geht fix.“ Elektriker sind völlig angstbefreit. Keine zehn Minuten später hängt die Tod bringende Schweinenase einen Meter höher und damit außerhalb des Tidenhubs meines Kellers. Warum, bitteschön, hatte ich diese Idee nicht schon früher?
Vielleicht hat es damit zu tun, dass eine Stimmung von Aufräumen und Aufbau in der Luft hängt. Nicht nur im feuchten Nebel meines Kellergewölbes, sondern überall im Ort. Vor meinem Haus sind heute Morgen die restlichen Paletten mit gefüllten Sandsäcken abgeholt worden, auf der Wiese nebenan wurde auch zusammengeräumt und abtransportiert.
Mein Deich, der gute, alte Hugo, hat kaum noch was zu tun. Vielleicht fühlt er sich auch ein bisschen einsam, denn heute wird er längst nicht mehr so gehätschelt, bestaunt und verehrt wie noch am Wochenende. Er ist gewissermaßen auf Kurzarbeit, wird bald arbeitslos sein. Nun ja, da ist er in Lüchow-Dannenberg ja in bester Gesellschaft.
Tja, und damit ist auch für uns, für Sie und mich, der traurige Moment gekommen: Hochverehrtes Publikum – bitte erheben Sie sich von Ihren Plätzen, nehmen Sie Haltung an und den Südwester ab! Die Kapelle intoniere den Großen Zapfenstreich! Nach zehn Tagen zieht sich die Elbe langsam aber stetig in ihr Einzelbett zurück. Nach zehn Tagen lässt der Wasserzufluss in meinen Maschinenraum deutlich nach. Nach zehn Tagen schreibe auch ich heute den letzten Eintrag in diesen Blog.
Ich habe in diesen zehn Tagen mehr gelernt als im ganzen letzten Jahr. Ich habe die Leistungsfähigkeit der Freiwillen Feuerwehr seemeilenweit unterschätzt – und auch die beruhigende Wirkung ihrer bloßen Anwesenheit. Ich habe nicht gewusst, dass auch das Technische Hilfswerk vollständig mit freiwilligen Helfern besetzt ist – und dass die zuhauf bereit sind, ihre Freizeit für mich zu opfern.
Ich habe nicht geglaubt, dass sieben Meter fünfzig für mein Haus kein Problem sind – und dass stattdessen mein Keller glaubt, ASSE II spielen zu müssen. Und ich hätte nicht gedacht, dass man allen Ernstes mit einem Deich Freundschaft schließen kann – schon gar nicht mit einem provisorischen.
Was immer das Jahr jetzt noch bringen mag, kann nur grausam sein. Politisches Theater nennt man das dann. Gegeben wird das Stück: „Braucht Neu Darchau einen Deich?“ Die ersten Darsteller proben schon. Aber das Stück ist eine Wiederholung, ’ne uralte Kamelle! Und – Gott sei Dank – für Theaterkritiken bin ich nicht zuständig!
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Alles über das Hochwasser hier!
Fotos: Andreas Conradt