Dienstagmorgen an der Wasserfront. Kollektives Wecken des ganzen Ortes durch Sirenengeheul. Ich habe schlimmste Befürchtungen, aber ein Blick durchs Küchenfenster macht klar: Noch bin ich an Land. Und nicht nur das – der Platz vor meinem Haus ist schon von zig Feuerwehrleuten bevölkert. Da hat die Sirene wohl ein bisschen verschlafen.
Wie fleißige Bienen – aber in rot! – schwirren sie über den Platz. Die Straße vor meinem Haus ist seit gestern Abend gesperrt, Erwin, der Feuerwehrmann, lässt mich nur nach strengem Blick passieren. Ich wohne in einem Sperrgebiet.
Irgendetwas liegt in der Luft. Irgendetwas bereiten Erwin und seine Kameraden da draußen vor. Irgendetwas brummt und summt und wird stetig lauter. Fast wie ein richtiger Bienenschwarm. Und dann geht’s los:
Laster um Laster rollt heran und bringt das, was Sie und ich einfach Sand nennen würden. Aber so einfach ist das natürlich nicht. Ein Einsatzleiter erklärt mir später, es handele sich um Lehmkies. „Sand ist nicht dicht genug und müsste später mit Folie abgedeckt werden. Wenn die Flut dann irgendwann wieder geht,“ – aha, damit rechnen sie also, schön – „dann müsste der Sand als Sondermüll entsorgt werden, weil er ja mit Folienstücken durchsetzt wäre.“
Den Lehmkies dagegen kann man nach Ablaufen des Wassers einfach auf der Wiese verteilen – dem Neubaugebiet, unserem Flohmarkt- und Festplatz. Feine Aussichten also: einen Sommer lang Ausblick auf eine Sandwüste. Na, im Moment nicht mein Hauptproblem.
Schnell unter die Dusche (komisch: Wasser von oben...), Blick in die Kellerräume (noch kein Wasser von unten!) und dann raus. Dieselgedröhne, Dieselgeruch, Dieselruß, denn immer noch rollen Sie an: MAN, Mercedes, Iveco, Scania. Darunter Muldenkipper, Seitenkipper, Auflieger, Gliederzüge von Firmen aus DAN, LG, UE und LWL. Es ist eine Leistungsschau der Baubranche.
Was die Herren Bauarbeiter da machen, wird sehr schnell klar: Sie errichten einen Deich diagonal über den Buswendeplatz vor meinem Haus bis zum letzten Haus am Kateminer Mühlenbach. Ladung für Ladung setzen sie hintereinander und bescheren mir den größten Sandkasten Nordost-Niedersachsens. Später kommt tatsächlich ein großer Junge mit einem Bagger, nur halt nicht zum Spielen. Stattdessen verteilt er den Sand – Verzeihung: Lehmkies – gleichmäßig und verdichtet den Sandkasten zu meinem persönlichen Deich.
Neben meinem Garten, da wo sonst kein Mensch ist, weswegen der Garten als leidlich uneinsehbar gilt, wimmelt es nur so vor grellroten Jacken. Feuerwehrleute aus dem ganzen Landkreis sind wieder damit beschäftigt, jeweils rund fünf Kilo schwere Sandsäcke mit – äh – Kies zu füllen. Gestern waren es rund dreitausend Stück – unglaublich! –, heute werden es weit über zehntausend werden – unfassbar!
Bei Einbrechen der Dunkelheit werden wieder die mobilen Flutlichtlampen aufgebaut. Gespenstisch seht das aus – all die schreiend roten Jacken vor dem Hintergrund der schwarzen Nacht. Um acht Uhr abends, eine Stunde früher als die Fähre normalerweise Feierabend macht, ist die Aufgabe erledigt, alles, was Räder hat, zieht ab, und die Front fällt in einsame Stille. Und – im Ernst – ich fühle mich schon viel sicherer. Jungs, danke! Ihr habt ganze Arbeit geleistet. Mein Eintritt in die FFw ist beschlossene Sache!
Andreas Conradt berichtet täglich aus Neu Darchau - jedenfalls solange er nicht schippen oder pumpen muss. Alles über das Hochwasser hier!
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Fotos: Andreas Conradt