Sonntag. Ausschlafen. Den Tag gemütlich beginnen lassen. Denkste! Um vier Uhr klingelt der Wecker! Fünf Stunden sind rum – Zeit, sich um die Inkontinenz meines Kellers zu kümmern. Ich muss pumpen!
Die Flut hat wahrlich skurrile Seiten: Ich sitze bei null Grad im T-Shirt auf der Terrasse, höre das Plätschern des Wassers aus dem Keller und stiere in die pechschwarze Nacht. Nach 15 Minuten ist mein Patient fertig mit der Morgentoilette, und ich krieche wieder in die Federn.
Gegen neun Uhr wiederholt sich das Schauspiel, aber da ist es wenigstens schon hell und ich bin halbwegs wach. Vor dem Haus spielt Hugo, mein Deich, mit der Elbe. Es ist so ruhig wie sonst an kaum einem Sonntag: keine Feuerwehr, kein THW, keine Touristen – Autos, Trecker, Fähre ja sowieso nicht. Genau der richtige Zeitpunkt, ein Hohelied anzustimmen. Was? Auf Hugo? Ja, das sowieso! Aber auch auf unseren örtlichen Bauunternehmer P.
Herr P. hat gestern den ganzen Tag auf dem Radlader gesessen und Palette um Palette voll mit Sandsäcken an die Brennpunkte gefahren, leere Paletten ohne Säcke zurücktransportiert, Reservepaletten voller Säcke zu einen Depot zusammengestellt und auch sonst geholfen, wo er konnte. Tusch - und jetzt alle: „Hoch soll er leben!“
Gegen Mittag tauchen dann doch noch Fluttouristen auf. Zu gerne würden sie mit ihren Autos an meinen Deich heranfahren, aber da ist der frierende Herr vom Ordnungsamt davor. Wer Hugo sehen möchte, der möge sich ihm – Hugo, nicht dem Herrn… - respektvoll nähern, und das heißt auch in Deutschland immer noch: zu Fuß! Wir sind doch hier schließlich kein Flut-Drive-In!
Überhaupt sieht mein Deich schon ein bisschen derangiert aus. Alle Nas‘ lang geht, läuft, rennt, schlurft, schlendert ein Feuerwehrmann die Krone entlang, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist. Auch Nachbars Hund findet das Sandgebirge höchst spannend. Immer mal wieder wird immer mal woanders ein bisschen verbessert, repariert, umgebaut. Die Jungs und Deerns sind wirklich unermüdlich!
Die Flut hat jetzt den Höchststand erreicht, angeblich 7 Meter fuffzig. Als Nichtdeichbetretungsberechtigter könnte ich das allenfalls noch mit dem Fernglas überprüfen, denn der Pegel Neu Darchau liegt butendieks. Was mich beunruhigt: Weiter flussaufwärts, in Hitzacker, soll der Höchststand bei 7 Meter 70 liegen… Wo bleiben die zwanzig Zentimeter unterwegs? So weit ist es ja nun auch nicht. Die Erklärung ist einfach und entlarvt, dass man die Pegelstände zweier Orte schlicht nicht miteinander vergleichen kann. Das könnte man mit der Angabe üNN (über Normalnull) – bloß spricht davon keiner. Ich könnte hier – nach Studium in Wikipedia – noch lange weiter referieren, aber das hilft Ihnen und mir jetzt auch nicht weiter.
Sieben Meter fuffzig also, mehr soll’s nicht werden. Reicht an sich auch, denn selbst alte Leute im Ort sagen mir, dass es so hoch noch nie war – „nicht mal im Krieg!“ Warum sie meinen, dass es im Krieg hätte noch höher steigen müssen, kann ich nicht ergründen.
Lange anhalten soll die Flut aber angeblich und dann nur langsam sinken. Sieht also so aus, Leute, als würden meine Nächte auch weiterhin eingeteilt sein in „vor“ und „nach“ dem Pumpen. Wer also des Nächtens Langeweile hat: Zwischen vier und halb fünf treffen Sie mich auf der Terrasse
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Andreas Conradt berichtet täglich aus Neu Darchau - jedenfalls solange er nicht schippen oder pumpen muss. Alles über das Hochwasser hier!
Fotos: Andreas Conradt