Die Elbe hat ihren Höhenflug beendet, und der Wasserstand sinkt kontinuierlich, angeblich schon um mehrere Dezimeter. Es ist vier Uhr nachts, und meine Flut-Box schlürft genüsslich den Keller leer.
Ich sitze auf der Kellertreppe und wundere mich, dass Wasserstände – und nur Wasserstände – in Dezimetern angegeben werden. Fast schon ein vom Aussterben bedrohtes Wort. Je besser der Flutschutz, umso seltener wird man „Dezimeter“ hören. Schade.
Die Tatsache, dass der Wasserstand so rapide fällt, ist dagegen leicht erklärlich, denn ebenso rapide steigt er in meinem Keller – irgendwo muss das Wasser ja schließlich hin, warum also nicht in meinen Maschinenraum? Ein mitleidender Mensch hat mir gestern „immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel“ gewünscht. Schönen Dank auch – nur: Momentan ist eher „immer eine Armlänge überm Kiel.“
Routine stellt sich ein im Sperrgebiet – bei Mensch und Tier und Federvieh. Feuerwehrleute, Nachbars Hund und Gänse, Schwäne, Enten haben sich in der neuen Situation eingerichtet. Erstere sprechen gelegentlich Hugo, meinem Deich, meinem persönlichen Freund und Helfer, Mut zu und ermahnen ihn zu Durchhaltevermögen.
Nachbars Hund hat einfach nur Spaß im Gebirge, und sämtliche Wasservögel des Biosphärenreservats halten das Neubaugebiet „Am Bach“ besetzt. Angeblich liegt dem Gemeinderat bereits ein Antrag auf Umbenennung in „Im Bach“ vor. Mittags rollt ein Bus der Bundespolizei vor mein Haus, begutachtet die widerrechtliche Inbesitznahme, sympathisiert offenbar mit den Besetzern und zieht ohne einzuschreiten wieder ab.
Vom Geräusch meiner Pumpe mal abgesehen, ist’s auffallend ruhig. Gegen Mittag allerdings kurz gellende Schreie vorm Haus, Hektik, Betriebsamkeit. Ich denke „Oha“ und stürze zum Küchenfenster. Ein Feuerwehrauto der Marke „alt, aber bezahlt“ rangiert zwei Bauwagen der Marke „Damen links, Herren rechts“. Offenbar ist man sich uneins, was mit den Wagen geschehen soll. Man zieht vor, kuppelt ab, wendet, kuppelt an, setzt zurück (nicht ohne Hugo anzurempeln) und fährt schließlich wieder. Zurück bleibt ein ratloser Mitbürger an seinem Küchenfenster...
Dann Action: Das Depot an Sandsäcken vor meinem Haus soll mit einer riesigen Plane zugedeckt werden. Wahrscheinlich erwartet die Feuerwehr Regen – gerne, warum nicht mal Wasser von oben?! Diesen aufregenden Akt humanitärer Hilfe möchte ein Kamerateam (öffentlich-rechtlich, denn man ist drei Mann hoch vor Ort ...) filmisch in Szene setzen. Klappe, die erste! Und die zweite! Und die dritte! Glückwunsch, Kollege. Das war ja mal ’n Bild! Und oben, am Küchenfenster, wieder der ratlose Mitbürger...
Doch nun, liebe Leute, genug der Worte. Ich muss wieder runter in die Bilge und die Hauptlenzpumpe in Gang setzen. Und dann in drei Stunden wieder. Und danach. Und so fort. Man sagt, Rituale seien wichtig, um dem Tag Struktur zu geben. Oh, unbedingt!
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Andreas Conradt berichtet täglich aus Neu Darchau - jedenfalls solange er nicht schippen oder pumpen muss. Alles über das Hochwasser hier!
Fotos: Andreas Conradt