In Deutschland naht der Frühling - doch in Norwegen herrscht noch lange tiefer Winter. Endlich erreichte uns ein neuer Bericht von Norwegen-Auswandererin Marina Trunczik ...
Lang ist`s her, seit ich den letzten Bericht geschrieben habe. Viele unvorhergesehene - aber nicht unangenehme - Dinge sind geschehen. Das Letzte , was ich berichtet habe, handelte grossenteils von Arbeit und sozialen Dienstleistungen in meiner neuen Wahlheimat. Diesesmal will ich über die noch angenehmeren Dinge des Lebens berichten. Zum Beispiel das norwegische Weihnachtsfest und die Zeit davor.
Die Adventszeit genießen die Norweger mit viel größerer Ruhe und mit viel mehr Feierlichkeit als die Deutschen. Es wird ausgiebig geschmueckt und gebacken. Die Hauptstraße jedes noch so kleinen Ortes wird mit Weihnachtsbäumen - die auch alle erleuchtet sind - gespickt. Das alles mag daran liegen, das man hier die dunkle Jahreszeit - die ich als gar nicht so dunkel empfinde - ein wenig erhellen und mit Freude und Wärme füllen moechte. Auch bei uns im Pflegeheim wurde ausgiebig Weihnachtsschmuck angelegt und verbreitete eine sehr angenehme und kuschelige Stimmung. Dazu kamen die zahlreichen Besuche von Schulen, Kindergärten und Gesangsgruppen, die fast in jeder Woche zweimal Bewohner und Angestellte ungezwungen und gemütlich unterhielten. Selten habe ich die Vorweihnachtszeit so sehr genossen wie in diesem Jahr. Alles lief vollkommen ohne Stress und die aus Deutschland gewohnte Hektik ab. Sogar der Einkauf der Weihnachtsgeschenke...
Anfang Dezember lud dann Tolga Omsorgstun zum «Julebord», dem norwegischen Gegenstück zur deutschen Weihnachtsfeier. Eine Hütte war angemietet worden für diesen Abend, alles brezelte sich fein auf und vergnügte sich mit Massen an gutem Essen. Es gab wahlweise «Pinnekjøtt med poteter og kålrabistappe» -Rippchen vom Schaf mit Pellkartoffeln und einem Mus aus Steckrüben und Karotten (superlecker !)- oder «Råkfisk» - kaltgeräucherten Lachs, Sild und ich weiß nicht was noch für Fischiges. Dazu reichlich Aquavit, Wein und Bier, so dass die Stimmung zu fortgeschrittener Stunde recht ausgelassen wurde und auch die Tanzbegeisterten zu ihrem Recht kamen. Oh Wunder, mein Norwegisch wurde mit steigendem Alkoholpegel zunehmend flüssiger - wenn auch wahrscheinlich nicht unbedingt verständlicher...
Das Einzige, was mir die Weihnachtsstimmung ein wenig vergällte, war die Tatsache, das ausgerechnet um diese Zeit die Trennung von meinem Lebensgefährten ins Haus stand. Unsere Ansichten vom Leben in Norwegen gingen leider in so konträre Richtungen, das wir es beide für besser betrachteten, unsere Wege zu trennen. Insofern kann ich die Dinge zukünftig nur noch aus meiner eigenen Sicht berichten.
Bereits Ende Oktober hatte es hier oben begonnen zu schneien. Kurz vor Weihnachten war alles in einen dicken Schneepelz gehuellt und es gab für mich nichts Schöneres, als nach der Arbeit - oder davor, je nach Dienst - meine Daunenjacke überzuziehen und zu Fuß, auf Skiern oder mit dem Spark - einem in unserer Gegend verbreiteten und gern genutzten Schiebeschlitten, ähnlich dem Gefährt der Hundegespannfahrer, nur kleiner - die Winterwunderwelt zu erkunden.
Norwegen im Winter – traumhaft schön !
Kurz vor dem Fest kam dann lang ersehnter Besuch... Meine Söhne flogen aus Deutschland ein, um das erste Mal die neue Heimat ihrer Mutter zu begutachten. Die lange Autotour nach Oslo zum Flughafen bei verschneiten und vereisten Strassen hätte mich noch im letzten Winter vor Angst erstarren lassen, mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt und kann es fast mit einem waschechten Norweger aufnehmen, was den Fahrstil betrifft. Der Weihnachtsbaum wurde in diesem Jahr natürlich nicht im Supermarkt gekauft - obwohl auch das hier moeglich ist - sondern an einem eisklaren Tag direkt im Wald geschlagen. Wir versanken im Schnee, hatten eiskalte Fueße und einen Höllenspaß ! Daheim in der Stube machte das unter Mühen aus dem Forst geschleppte Ungetüm von Fichte dann seinem Namen aber alle Ehre, auch wenn ich in diesem Jahr noch keine Kette aus kleinen, norwegischen Flaggen als Schmuck besaß, wie es hier für einen ordentlichen Weihnachtsbaum Pflicht ist.
Weihnachten selbst unterscheidet sich hier eigentlich kaum von dem in Deutschland, nur dass es wesentlich familienorientierter vonstatten geht und bedeutend stressfreier ist. Hier dreht keiner am Zeiger, weil der Braten nicht pünktlich auf die Minute fertig wird oder in letzter Sekunde doch noch irgend etwas fehlt. Der Norweger nimmt sowas mit der ihm eigenen Gelassenheit hin und macht keine Katastrophe daraus.
Traditionell speist man am Abend vor Heiligabend - dem sogenannten «Lille julaften» - gemeinsam mit Familie und Freunden Risenrinsgrøt, einen mit viel Sahne bereiteten und mit Zimt, Zucker und gesalzener Butter genossenem Milchreis. Hierin ist eine einzige Mandel versteckt, und wer diese auf seinem Teller findet, bekommt ein Geschenk vom Gastgeber. In diesem Jahr waren wir bei meinen Vermietern eingeladen und ich war tatsächlich die Glückliche, die eine große Tüte Leckereien entgegennehmen durfte. Die Jungs waren total überwältigt von den Massen an Schnee, die sie hier zu sehen bekamen. Natürlich mussten sie raus. Ski- und Sparktouren waren angesagt. Wir fuhren nach Savalen, einem europaweit bekannten Wintersportort nicht weit von Tolga, und mein Jüngster erwies sich als wahres Talent auf Brettern. Nach dreimaligem Versuch am Idiotenhügel wagte er sich bereits auf die große Piste und meisterte diese mit Bravour. Er konnte gar nicht genug davon kriegen. Ich konnte da nur neidisch zusehen.... alpine Abfahrt ist nicht mein Ding, die Bretter werden mir immer zu schnell. Umso mehr genossen wir im Anschluss den Besuch im Wellnessbad. Leider ging die Zeit viel zu schnell vorbei und ich musste die Jungs wieder zum Flughafen nach Gardermoen fahren.
Den anstehenden Jahreswechsel – meinen ersten in meiner neuen Wahlheimat - konnte ich durch eigene Dummheit nicht so geniessen, wie ich es gern gehabt hätte. Frustriert über die Trennung von meinem Partner hatte ich mich vorlaut für den Silvester- und Neujahrsdienst gemeldet und dabei die Tatsache außer Acht gelassen, das auch norwegische Mütter schöne Söhne haben. Einer von diesen hatte - kaum das bekannt war, ich sei wieder «auf dem Markt» - sofort seine Chancen wahrgenommen und dabei nicht wenig Erfolg gehabt. Glücklicherweise ist er ein Arbeitskollege und mit ein wenig Hin- und Hertauschen konnten wir wenigstens gemeinsamen Dienst schieben. Einen recht gemütlichen Dienst an den Feiertagen mit viel gutem Essen. Und das Feuerwerk - lange nicht so uebermässig ausschweifend wie aus Deutschland gewohnt, und auch in der Dauer gesetzlich beschränkt - konnten wir dann gemeinsam zuhause betrachten.
Skilanglauf mit "Backenbremse"
Zum Jahresbeginn setzte dann eine recht ordentliche Kältewelle ein mit Temperaturen bis hin zu -30 Grad. Das hört sich aber viel schlimmer an, als es eigentlich ist. Wir haben hier ein sehr trockenes Inlandklima, so dass diese Temperaturen wesentlich leichter zu ertragen sind als in Deutschland feuchte -10 Grad. Da es vorher noch einmal ordentlich geschneit hatte - drei Tage am Stück ohne Unterbrechung - war es nun natürlich ideal, um sich draussen zu tummeln, sei es mit den Pferden, auf dem Rodelschlitten oder auf Skiern. Und nun wurde ich auf Langlaufskier gestellt, bekam den berühmten Klaps auf den Po und musste auf die Loipe... sehr zum Vergnügen aller Zuschauer. Die blauen Flecken an meinem Hinterteil nach den ersten Versuchen waren nicht von schlechten Eltern.... Nach einigen Anlaufschwierigkeiten - und nicht wenigen «Backenbremsaktionen» - stehe ich aber mittlerweile recht sicher auf den Brettern und kann bei den ausgedehnten Touren auf den sogar bis spätabends beleuchteten Loipen die wunderbare Landschaft geniessen.
Und inzwischen habe ich auch die ersten Elche in freier Wildbahn getroffen und bin begeistert über diese großen, stolzen Tiere. Eine Begegnung mit den hier ebenfalls ansässigen Wölfen habe ich leider noch nicht gehabt. Diese Zeitgenossen sind sehr menschenscheu und zeigen sich äusserst selten... man muss großes Glück haben, um sie in freier Wildbahn zu beobachten. Es gibt zwei große Rudel im Nord Østerdal, und im Sommer wurden bei dem einen Rudel sechs Welpen gezählt, so dass der Bestand in unserer Gegend gesichert ist. Auch wenn die Wölfe bei den Schafbauern nicht gern gesehen sind, weil sie doch ab und an mal ein Schaf verfrühstücken. Aber sie stehen ganzjährig unter Schutz und dürfen nur geschossen werden, wenn sie wirklich anfangen, groeßeren Schaden anzurichten. Die Bauern bekommen fuer Nutztiere, die von Raubtieren gerissen werden, eine staatliche Entschädigung, so das der Ärger über solche Vorfälle sich in Grenzen hält. Eine solche Hysterie, wie sie letztlich in der Lausitz ausgebrochen ist, weil man dort einen einzelnen Wolf gesichtet hatte, gibt es hier nicht. Obwohl hier ganze Rudel unterwegs sind.
Wahrscheinlicher ist die Begegnung mit einem Luchs - davon gibt es hier nicht wenige - oder sogar einem Vielfraß. Diese kniehohen, dachsähnlichen Kleinraubtiere sind so ungefähr das Aggressivste und Schlechtgelaunteste, was man sich vorstellen kann. Bei einer Begegnung mit einem Spezies dieser Art sollte man möglichst unverzüglich und unauffällig den sofortigen Rückzug antreten. Diese ständig missgestimmten Gesellen können einem im Falle einer unerwarteten Begegnung empfindliche Bisswunden zufügen. Es hat schon so manchen vorwitzigen Jagdhund das Leben gekostet, wenn er sich im Überschwang des Jagdeifers mit einem Vielfrass angelegt hat. Vingelen – Norwegens aelteste Inlandsiedlung - ist ein wahres Wintermärchen! Die Weite der Landschaft, die Klarheit der Luft und die Schönheiten der Natur sind kaum zu beschreiben. Ich bin jedes Mal wieder aufs Neue überwältigt. Als ich letztens im Überschwang der Gefühle äusserte, das es eigentlich das ganze Jahr lang Winter sein könne, bekam ich die entsetzte Antwort seitens meines Norwegers «Bist du krank im Kopf ?». Hier kann kaum jemand verstehen, das ich so auf Schnee und Kälte abfahre.
Wintermarkt in Røros
Im Februar erwartet einen hier eine ganz besondere Attraktion. In der Nachbarfylke Sør-Trondelag, in der Weltkulturerbestadt Røros, findet alljährlich Ende Februar der Rørosmart`n statt. Dieser Markt hat seine Wurzeln in der Zeit, als in Røros in großem Umfang Kupfer abgebaut wurde. Das Kupfer aus Røros wurde nach ganz Europa verkauft und deckt die Dächer vieler Kirchen, Schlösser und öffentlicher Gebäude. Leider bekam die hiesige Bevölkerung von dem Erlös nur wenig zu sehen, da diese Geschäfte zu Zeiten der Fremdherrschaft abgewickelt wurden und die Könige von Dänemark und Schweden den Großteil der Gewinne abschöpften. Übrigens hat die erste Gewerkschaft Europas ihre Ursprünge in der Kupferhütte von Røros. Sie wurde während der großen Hungersnot im Jahre 1886 gegründet, als es den Bergwerksarbeitern besonders schlecht ging und es zu langwierigen Streiks kam.
Aus dieser Zeit also stammt die Tradition, alljährlich im Februar einen großen Markt abzuhalten, auf dem sich die ansässige Bevölkerung mit allem Lebensnotwendigen eindecken konnte. Die Händler reisten über große Strecken an, um hier ihre Waren feilzubieten. Auch heute noch kann man auf dem Rørosmart`n von der Fleischwurst bis zum Wolfspelz so ziemlich alles kaufen, was das Herz begehrt.
Mittlerweile hat sich der Rørosmart`n vom einfachen Verbrauchermarkt zu einer richtigen Handelsmesse ausgeweitet, was ihm aber durchaus nichts von seinem beaubernden Charme nimmt, der jedes Jahr aufs neue Touristen aus aller Herren Länder hierher lockt und das ansonsten geruhsame kleine Städtchen in einen wahren Hexenkessel verwandelt. Die allabendlichen Konzerte und Tanzveranstaltungen sind hoffnungslos ausgebucht, und wer nicht bereits Wochen vorher einen Tisch in einem der wenigen Lokale vorbestellt hat, muss mit einer Bratwurst oder eine Waffel an einem der zahlreichen Staende unter freiem Himmel Vorlieb nehmen – im übrigen nicht die schlechteste und zudem die preisgünstigste Variante. Ein wenig vermisste ich die Glühweinstände. Öffentlicher Alkoholausschank bedarf hier besonderer behördlicher Genehmigung.
Schlittenkorso - d a s Wintervergnügen
Vor 14 Jahren schlossen sich einige traditionsbewusste Menschen zusammen und ließen den alten Brauch wieder erstehen, mit dem Schlitten nach Røros zu fahren. Schnell fanden sich viel Landwirte und Privatleute zusammen und so wird der Markt heute traditionell mit einem großen Schlittenkorso eröffnet. Hierzu reisen Gespanne aus ganz Norwegen an, und das nicht mit den Pferden im bequemen Transportanhänger. Die Sternfahrten beginnen bereits drei Wochen vor Eröffnung des Marktes. Schlittengespanne aus der ganzen Umgegend treffen sich in Tynset, in Alvdal und Folldal, in Rendalen und dem Sør-Trondelag und reisen dann im Konvoi nach Røros. Es ist ein einmaliges Erlebnis, an einem dieser Treffpunkte zu sein und die historischen Gespanne, die Pferde und die in dicke Pelze gehüllten Kutscher zu erleben. Ich hatte das Glück, dass der Treffpunkt in Tynset in diesem Jahr genau an meinem Geburtstag stattfand. Es war ein ganz besonderes Geschenk, das zu erleben. 22 Gespanne aus allen Himmelsrichtungen trafen sich und machten auf der Anlage des kulturhistorischen Museums Rast. Die alten Schlitten - zum Teil 100 Jahre und älter - sind schon eine Sensation fuer sich. Die Pferde - meist Fjordpferde und die alte im Nord Østerdal ansässige Rasse des Dølepferdes - sind zum großen Teil mit alten, aber wohlgepflegten Kummetgeschirren bestückt und tragen viele kleine, hell klingelnde Glöckchen an Hals und Bauchgurt, so dass man das Gespann schon weithin hören kann. Die Kutscher und Passagiere sind zum Schutz gegen die Kälte in dicke Wolfs- und Bärenpelze gehüllt und tragen zum Teil alte Trachten – die traditionelle «Bunad» aus der jeweiligen Herkunftsgegend. Diese besteht aus dicker Wolle und selbstgefertigtem Wollfilz und wird in der Familie weitervererbt, genau wie die Pelze, die teilweise auch 100 Jahre und mehr auf dem Buckel haben. Das notwendige Gepäck ist in großen Holzkisten im Heck des Schlittens verstaut. Diese Kisten dienen gleichzeitig als Sitzgelegenheit für die Passagiere. Natürlich bekam ich sofort Lust, den Korso im nächsten Jahr mit meinem eigenen Pferd mitzumachen.
Nachdem die Pferde sich - warm zugedeckt, denn an dem Tag herrschte eisige Kälte - erholt und ihr wohlverdientes Futter erhalten und auch die Kutscher und Passagiere sich gestärkt hatten, machte der Trekk sich unter den Augen vieler begeisterter Zuschauer auf die letzte Etappe des Weges. Über verschneite Bergwege ging es quer über die Fjells nach Røros. Wir haben beschlossen, den Weg im Sommer einmal zu erwandern. Es war ein überwältigendes Bild, als all die alten Holzschlitten sich in Bewegung setzten und in langer Kette davonzogen, um zwei Tage später zusammen mit mehr als 60 anderen Gespannen den Schlittenkorso zur Markteröffnung zu bilden.
Ja, liebe Freunde in Deutschland, das soll es fürs erste einmal wieder gewesen sein von der ausgewanderten Wendländerin. Hier wird es noch eine ganze Weile kalt und schneereich bleiben. Ostereiersuchen im Grünen kann man in Norwegen nur im äussersten Süden, wo zeitweilig das gleiche Winterschmuddelwetter wie in Norddeutschland herrscht. Bei uns in der nördlichen Hedmark bleibt der Winter bis in den Mai hinein Gast, und es ist schon vorgekommen, das der traditionelle Festumzug zum Staatsfeiertag der Verfassungsgabe am 17. Mai im Schneegestöber stattfand. Ich lasse mich ueberraschen. Norwegische «Winterwonderworld»- durch nichts zu uebertreffen!
Titelfoto: Schlittenkorso nach Røros
Alle Fotos von Stig Ove Moen, Tynset