Es ist eine kleine Welt, die Welt der Papiertheater. Doch im Biedermeier wurden auf den Bühnen aus Papier und Pappe ganze Opern gespielt. Gisela Naumann-Namba hat die Leidenschaft für die kleinen Theater aus Asien mitgebracht - und in Lüchow das Papiertheater Tschaya eröffnet.
Es ist mucksmäuschenstill im kleinen Vorführraum des Papiertheaters „Tschaya“ in Lüchow. Noch ist der nachtblaue Samtvorhang geschlossen, doch gleich wird es losgehen. „Peter und der Wolf“ steht auf dem Programm. Endlich öffnet sich der Bühnenraum und das Spiel beginnt.
Es ist keine große Bühne, die die Zuschauer sehen, sondern ein 60 x 80 cm großer Raum – ganz aus Papier. Bühnenbild, Figuren und auch das prachtvolle Bühnenportal – alles ist aus feingezeichneten Papierschablonen geschnitten, die kaum handgroß sind. Immer wieder neue Figuren tauchen auf: aus dem Wald treten Peter, der Großvater, der Jäger und natürlich der Wolf.
Gespielt werden sie von Gisa Naumann-Namba, die seit über 15 Jahren der Leidenschaft für Papiertheater frönt – und schon seit Jahren in Lüchow das Papiertheater „Tschaya“ betreibt. So klein wie die Bühne ist auch der Zuschauerraum: Nicht mehr als 20 Personen fasst der Raum, in dem die Aufführungen stattfinden.
Die
Tradition des Papiertheaters ist alt. Überliefert ist, dass 1812 die
erste Aufführung eines Papiertheaters in London stattfand. 1818 bis
1820 kam das Spiel mit den kleinen Theatern auch in Deutschland und in ganz Europa in
Mode. Für das Bürgertum des Biedermeiers wurde es zur
Freizeitbeschäftigung, aber auch ein Mittel für kulturelle Bildung.
Beliebt waren Stücke, die auch auf den großen Bühnen gespielt
wurden. Denn einen Theaterbesuch konnte sich nicht jeder leisten oder
mensch wollte das faszinierende Theatererlebnis auf der großen Bühne zuhause noch einmal
erleben.
Im Biedermeier ein Bürgervergnügen
Nach der äußerst erfolgreichen Uraufführung des „Freischütz“ in Berlin (1821) lieferten nach Erkenntnissen von Gisa Naumann-Namba mindestens 16 Firmen 25 verschiedene Figurenbögen allein zu dieser Oper. In kurzer Zeit hatte sich eine ganze Industrie entwickelt, die Schnittbögen und ganze Theaterausstattungen lieferte.
Mit dabei war auch der – heute noch existierende – Schreiber-Verlag. Er lieferte in großen Kartons vollständige Ausstattungen für mehrere Theaterstücke bzw. Opern – Schnittbögen für die Figuren ebenso wie für Bühnenbild und Bühnenrahmen. Gisa Naumann-Namba hatte das große Glück, dass ihr ein solcher Original-Karton “Schreibers Papiertheater“ mit vollständiger Ausstattung geschenkt worden war. Er enthält Figuren, Kulissen und Textbücher für „Wilhelm Tell“, „Rotkäppchen“ und „Dornröschen“.
Wenn ein solcher Karton in den Bürgerfamilien des Biedermeier ankamen, begann das Vergnügen zunächst mit dem Aufkleben und Ausschneiden der einzelnen Bestandteile, bevor die Bühne zusammengebaut werden konnte. In den ersten Jahren waren nur Ausstattungen in schwarz-weiß erhältlich, d.h. auch das Ausmalen mussten die späteren Spieler und Zuschauer selbst übernehmen. „Manches Mal wurden auf die Köpfe die Gesichter aktueller Schauspielstars gezeichnet,“ weiß Gisa Naumann-Namba. „Das war wohl eine frühe Form des Starschnitts.“
Bühnenhintergründe, Figuren und auch ganze Theater sind übrigens heute noch im Fachhandel erhältlich - auch nach den Original Schreiber-Vorlagen.
Die große Welt der Volksmärchen
Bereits 2008 eröffnete Gisa Naumann-Namba ihr erstes Papiertheater in Oberursel. Die ausgebildete Märchenerzählerin und von der Europäischen Märchengesellschaft hat über 15 Jahre in Japan, Korea und China verbracht und sich dort für die vielfältige Welt der Volksmärchen begeistert.
Seit ihrer Rückkehr nach Deutschland will sie mit dem Papiertheater und ihrer Arbeit als Märchenerzählerin eine Brücke zwischen den Kulturen bauen, eine Botschafterin zwischen Ost und West sein. „Ich sehe es als meine Aufgabe an, diese Märchen durch Erzählen wieder lebendig werden zu lassen,“ so Gisa Naumann-Namba. “Dabei benutze ich eine Sprache, die Bilder entstehen lässt. Auch in der modernen Gesellschaft hat das Märchen seinen Platz beibehalten, um Lebensweisheit, Hoffnung und Kraft zu vermitteln.“
Ihre Leidenschaft für Papiertheater hat sie ebenfalls aus Asien mitgebracht,wo sie „Kamishibai“ kennenlernte, ein mobiles Bildertheater im Kleinformat. Die Faszination überträgt sich sofort, wenn Gisa Naumann-Namba die Schubladen in ihren Atelierräumen öffnet. In jeder Lade schlummern ganze Welten: zahlreiche Schnittbögen mit Figuren aus verschiedenen westlichen Opern, Figuren aus dem Orient, prächtige Proszenien (Bühnenvorbauten) und Kulissen für die unterschiedlichsten Stücke.
Im 20. Jahrhundert war die Tradition des Papiertheaters fast vollständig untergegangen. Dass das Papiertheater heute wieder einen Wert hat, ist Sammlern zu verdanken – und der guten Vernetzung zwischen den wenigen noch verbliebenen Bühnen. Den kulturellen Wert hat auch die UNESCO gewürdigt: Im vergangenen Jahr hat die Weltorganisation das Papiertheater als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung war, dass die Theaterbühnen den Austausch durch Workshops, Festivals und ein internationales Papiertheatertreffen fördern.
Im Spielplan des „Tschaya“-Theaters sind im Moment die Stücke „Peter und der Wolf“ (mit der Musik von Prokofjew) und „Kalif Storch“. Derzeit bereitet Gisa Naumann das Stück „Johann aus Krummlaase – wie’s der Alte macht, ist’s immer recht“, ein Stück, in dem es um Bauernleben im Wendland geht. Auch die Operette „Land des Lächelns“ wird demnächst in dem kleinen Kellertheater zu sehen sein.
Spieltermine werden auf der Website papiertheater-tschaya.de veröffentlicht. Möglich sind aber auch individuelle Buchungen für Gruppen. Kontakt: 0151-40526372 oder per E-Mail: papiertheatertschaya@gmail.com
Fotos | Angelika Blank