Gisa Naumann-Namba hat in Tokio als Lektorin in einem Verlag für deutsche Sprache
gearbeitet, in Taipei eine Gastprofessor am Institut für
Chinesische Kultur in Sprache und Literatur inne gehabt oder als
Geschäftsführer-Assistentin bei einer japanischen Firma in Frankfurt
gearbeitet. Jetzt macht sie das Papiertheater "Tschaya" in Lüchow.
Ein blauer Vorhang, darin ein
Guckkasten mit klassischer Umrahmung. Oben prangt ein aufwändig
gestaltetes "Opera", umsäumt von prunkvollen goldenen Säulen. Doch wir sind nicht in einem klassischen Opernhaus, sondern im Papiertheater "Tschaya". Die ganze Bühne ist
kaum größer als ein DinA-1-Plakat (ca. 60 x 85 cm). Wie im großen Theater auch, verhüllt ein Vorhang, die Welten, die dahinter liegen. Dabei besteht die ganze Bühne aus Papier - die aufwändig gestalteten Kulissen ebenso wie die fein gezeichneten Figuren.
Im Wohnzimmer von Gisa Naumann-Nambar haben sich
rund ein Dutzend Menschen versammelt, die gespannt auf die erste
Aufführung des Papiertheaters "Tschaya" warten. Auf dem Programm steht
das musikalische Märchen von Sergej Prokofjeff "Peter und der Wolf" .
Als
sich dann der Vorhang öffnet und den Blick auf einen tiefen Wald mit
einem Bauernhaus freigibt, geht ein "Oh" durch das Publikum. Denn das
Bühnenbild präsentiert sich in einer Dreidimensionalität, wie es
angesichts einer kaum 80 cm breiten und knapp ein Meter tiefen Bühne
nicht zu erwarten gewesen wäre.
Auf mehreren Ebenen stehen
Bäume, ein Zaun, dahinter das Haus von Großvater und Peter. Und in der
Mitte ein kleiner Teich. Die zauberhaft gemalten Figuren stammen von
einer historischen dänischen Papiertheatervorlage, die Gisa
Naumann-Namba gefunden hatte. "Das Bühnenbild habe ich allerdings selbst
gestaltet, da die historischen Kulissenmuster nicht mehr aufzufinden
waren," so Naumann-Namba.
Eine halbe Stunde lang erfreuen sich die Zuschauer an der kleinen Geschichte von Peter und seinen Erlebnissen mit Wolf, Ente, den Jägern und Großvater. Ein Vögel flattert zwitschernd durch die Bäume, Jäger marschieren durch den Wald, der Wolf dreht sich hin und her, um den Vogel auf dem Baum zu erwischen und die Ente versucht quakend, dem Wolf zu entkommen.
Dann ist der Wolf auf Peters Betreiben in den Zoo gebracht - und das Stück ist aus. Begeisterter Beifall der kleinen Zuschauergruppe ist der Lohn für die Arbeit. Kaum hat Gisa Naumann-Nambe den Blick hinter die Bühne freigegeben, springt schon der erste Mann auf, um sich alles genau anzuschauen.
Wie funktioniert das Papiertheater?
Hinter dem Vorhang liegen auf dem Spielfläche mehrere Bretter, in regelmäßigen Abständen mit 2 - 4 mm breiten Nuten versehen, in die die Kulissenteile (Bäume, Haus, Teich ...) eingeschoben sind. Für die Figuren gibt es jeweils eigene Schlitze, über die sie geführt werden. Dank eines Stab/Faden-Konstruktes mit drehbarem Fingerhut am Ende lassen sie sich drehen.
Und woher die intensive Dreidimensionalität der kleine Bühne kommt, ist schnell erkennbar: jede Ebene ist von Vordergrund bis Hintergrund jeweils mit Lampen von oben ausgeleuchtet.
"Eigentlich ist das ein einfaches Prinzip, doch es dauert Wochen bis Monate, bis alle Kulissen und Figuren bemalt, ausgeschnitten und installiert sind," erzählt Gisa Naumann-Namba. Besonders das Aufkleben und Ausschneiden der fein ziselierten Bäume erfordert besondere Präzision und Aufmerksamkeit.
Tokio, Seoul, Frankfurt - Lüchow
Wieso kommt so ein weit gereister Mensch, der zudem noch vier Fremdsprachen fließend spricht und sich in weiteren fünf Sprachen verständigen kann, ausgerechnet nach Lüchow? Das Geheimnis ist schnell gelüftet: Gisa Naumann-Namba wurde in Lüchow geboren und ist nach ihren vielen Reisen in die Heimat zurückgekehrt. "Ich war einfach großstadtmüde," begründet sie ihren Schritt zurück in die Heimat, wo sie ins elterliche Haus eingezogen ist. "Ob es aber bei Lüchow-Dannenberg bleibt? Die Ostsee ist auch schön!" lacht Naumann-Namba. Ganz nach dem Motto "immer unterwegs" schließt sie nicht aus, dass es sie auch noch woandershin ziehen könnte.
Zunächst ist sie jetzt aber in Lüchow gelandet und baut hier mit Leidenschaft ihr Papiertheater auf. "Nach all den Tätigkeiten, die mir das Einkommen gesichert haben, möchte ich jetzt etwas tun, was die Seele erfreut," so Naumann-Namba. "Im Papiertheater habe ich etwas gefunden, wo ich alles alleine gestalten kann." Sie ist Regisseurin, Bühnen- und Figurenbildnerin, Sprecherin und Führerin der Figuren. Eine Tätigkeit, für die sie vor Jahren schon Leidenschaft entwickelt hat.
Gisa Naumann-Namba ist auch Märchenerzählerin. "Ich empfinde es als meine Aufgabe, diese Märchen durch Erzählen wieder lebendig werden zu lassen, in einer Sprache, die Bilder entstehen lässt." Das Märchen erzählen hat sie bereits vor Jahren bei der vor beinahe fünf Jahren verstorbenen Gertrud Hempel gelernt.
Inzwischen hat sie selbst zahlreiche Märchen aus aller Herren Länder im Programm. Ob japanische, chinesische, russische Märchen oder phantastische Geschichten aus dem Orient - mit ihren Märchen entführt Gisa Naumann-Namba in fremde Welten. Sie erzählt von der geheimnisvollen Welt der Frauen im Orient ebenso wie vom Trank der Unsterblichkeit oder von Meereskönigen und ihren Töchtern.
Und nicht nur beim Papiertheater setzt sie ihre malerischen und zeichnerischen Fähigkeiten ein. Woher ihre vielseitige Kreativität stammt? "In meiner Familie finden sich über Generationen hinweg zahlreiche Künstler - Dichter und Maler ebenso wie Fotografen," vermutet Naumann-Namba. Ihr Urgroßvater war zum Beispiel ein Maler, der eng mit Hermann Hesse befreundet war. Zahlreiche Reisen haben die beiden zusammen gemacht - immer wieder begleitet von der Urgroßmutter, die viele Fotografien von Hermann Hesse machte.
Das künstlerische Gestalten ist Gisa Naumann-Namba also in die Wiege gelegt. Ihre Künste bietet sie nicht nur in ihrem Wohnzimmer in Lüchow an - sie ist auch als Erzählerin und Papiertheater-Spielerin zu buchen.
ZuschauerInnen sind aber auch in der Hermann-Löns-Straße gern gesehen. Nicht ohne Grund heißt das kleine Papiertheater "Tschaya". "Tschaya" ist japanisch und bedeutet "Teehaus". Und in dieser Tradition gestaltet Gisa Naumann-Namba auch ihre Aufführungen: Nach dem Ende der Vorstellung gibt es Gelegenheit, den Theateraufbau genau zu inspizieren und bei Tee und Gebäck ins Gespräch zu kommen, sich gegenseitig Geschichten zu erzählen oder "zu erfahren, was in der Welt so alles möglich ist." So auch am Sonntag, wo die kleine Zuschauerschar noch lange über die Dinge des Lebens plauderte.
Übrigens: auf der Internetseite zaubermaerchen.com ist nicht nur Interessantes über Gisa Naumann-Namba nachzulesen. Dort sind auch ihre Programme für das Märchenerzählen sowie ihr Papiertheater zu finden.
Fotos | Angelika Blank: Das Papiertheater "Tschaya" lässt auf kleiner Bühne ganze Welten lebendig werden - hier die Aufführung "Peter und der Wolf".