Überraschende Erkenntnis über die Krisenfestigkeit des Landkreises: Eine erstmals durchgeführte bundesweite Untersuchung des Pestel-Instituts aus Hannover zeigt den Landkreis Lüchow-Dannenberg auf Rang 63 von 412 getesteten Regionen. Nach Ansicht der Forscher macht sich hier die mangelnde globale Vernetzung positiv bemerkbar.
Ob Banken kollabieren, Rohstoffe knapp werden oder der Klimawandel die Ernährungssicherheit bedroht, mag offen bleiben. Sicher ist: Die nächste Krise kommt bestimmt!
Eine bewusste Vorbereitung der Regionen darauf ist bisher eher die Ausnahme. In die Studie des Pestel-Instituts wurden 18 Indikatoren aus den Bereichen „Soziales“, „Wohnen“, „Verkehr“, „Flächennutzung“, „Energie“ und „Wirtschaft“ einbezogen. Die Indikatoren beschreiben die Verletzbarkeit einer Region. Sie zeigen weiterhin, wie gut auch im Krisenfall die Handlungsfähigkeit einer Region oder Stadt durch Flexibilität, Ressourcenausstattung und Sozialkapital erhalten bleibt.
Bei neun Indikatoren liegt dabei der Landkreis Lüchow-Dannenberg im Spitzenbereich, dreimal wurde ein Mittelplatz erreicht und bei sechs Indikatoren reichte es nur für einen Rang am Ende der Tabelle.
Wie schon länger bekannt, ist der Anteil der ökologisch bewirtschafteten Flächen im Landkreis vergleichsweise hoch. Aber auch mit der Leistung der installierten Windkraft- und Biogas-Anlagen hat sich Lüchow-Dannenberg Plätze im oberen Drittel der Rankingliste erobert. Ebenso sehen die Forscher den hohen Anteil an landwirtschaftlichen oder Waldflächen sowie den geringen Anteil an Industriebeschäftigungen als Vorteil für die Region. Positiv sei auch der hohe Anteil an in der Region Beschäftigten. Interessanterweise sieht das Pestel-Institut den Landkreis bei der Höhe der kommunalen Schulden/Einwohner ebenfalls im oberen Drittel. Eher schwach steht Lüchow-Dannenberg bei der Nutzung von Photovoltaik und Solarthermie dar, ebenso im Sozialbereich mit seinem hohen Anteil an Sozialhilfe-Abhängigen.
Überraschend mag die Bewertung einzelner Indikatoren erscheinen. So wurde im Hinblick auf die Krisenfestigkeit ein hoher Anteil an Industriebeschäftigten negativ beurteilt. Die Gründe liegen nach Ansicht des Instituts in der hohen und unmittelbaren Betroffenheit insbesondere der exportorientierten deutschen Industrie von globalen Wirtschaftskrisen. Diese wurde durch die Finanzkrise des Jahres 2008 gerade bestätigt.
"Ländliche Regionen allerdings, die mehr oder weniger regional produzieren und wirtschaften, bleiben stabil", so Matthias Günther, Pressesprecher des Instituts. "Die Reduzierung aufs Ökonomische reicht heute nicht mehr aus. Regionen, die sich um Relokalisierung bemüht haben, sind krisenfester als Industriestandorte."
Als Beispiel nannte Günther zum Beispiel den Landkreis Stendal, der nach der Wende und einem tiefgreifenden Strukturwandels (Auflösung des Atomkraft-Bereichs und Rückbesinnung auf regionale Produktionen) heute ebenfalls als krisensichere Region gilt. "Die Region kann zwar nicht mit einem hohen Bruttosozialprodukt aufwarten, aber sie kann sich selbst versorgen", so Günther.
Insgesamt zeigt die Studie dementsprechend, dass nicht unbedingt internationale Wettbewerbsfähigkeit Sicherheit für die Zukunft signalisiert. Gerade in der öffentlichen Diskussion eher vernachlässigte Bereiche bieten Schutz vor den Auswirkungen von Krisen. Dezentrale Energieerzeugung, soziale Stabilität, Verfügbarkeit von land- und forstwirtschaftlichen Flächen und Arbeitsplätze vor Ort helfen bei der regionalen Abfederung weit mehr.
In einer komplexen und global vernetzten Welt können entfernt entstehende Krisen unmittelbar die Versorgung von Bevölkerung und Unternehmen bedrohen. Selbst eine globale Krise wird tatsächlich erst durch die Konsequenzen vor Ort und in der Region spürbar.
"Den Kreisen und Städten kann nur empfohlen werden, sich mit möglichen Krisenszenarien wesentlich intensiver zu befassen als bisher. Starke Regionen sind wichtig als Rückfallpositionen und als präventiver Handlungsraum für mehr Krisenfestigkeit", so der Rat des Pestel-Instituts.
Pestel-Institut: im Geiste des Club of Rome
Gegründet wurde das Institut 1975 (damals: „Institut für angewandte Systemforschung und Prognose e. V.") durch Prof. Eduard Pestel und einer Gruppe von Wissenschaftlern im Rahmen grundlegender Arbeiten des Club of Rome. Das Pestel Institut versteht sich als Forschungsinstitut und Dienstleister für Kommunen, Unternehmen und Verbände.
Schon früher hatte sich das Institut mit den Grenzen der Globalisierung auseinander gesetzt. Mit der aktuellen Studie kehrt das Pestel-Institut nach eigenen Aussagen "zu seinen Wurzeln" zurück.
Seinen Namen hat das Institut von Eduard Christian Kurt Pestel, in den 50er/60er Jahren Professor für Mechanik an der heutigen Leibniz Universität in Hannover. 1968 gründete Pestel mit anderen Wissenschaftlern den Club of Rome. 1978 wurde die Deutsche Gesellschaft des Club of Rome gegründet, deren ersten Vorsitz Pestel bis zu seinem Tod innehatte.
1966 wurde Pestel Mitglied im NATO-Wissenschaftsausschuss, später Mitglied im Kuratorium der Stiftung Volkswagenwerk und Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
In Niedersachsen war Pestel als Parteimitglied der CDU 1977-1981 Minister für Wissenschaft und Kunst. In dieser Funktion begründete er die von Albert Einstein 1924 gegründete und in der NS-Zeit verbotene Deutsche Technion-Gesellschaft, welche die Zusammenarbeit von jüdischen und deutschen Wissenschaftlern fördert, 1982 wieder neu. In diesem Jahr wurde Pestel auch die Max Born-Medaille für Verantwortung in der Wissenschaft verliehen.
Grafik: Pestel-Institut / Informationen über Eduard Pestel: wikipedia.de