Am Mittwoch wurde der Mitbegründerin und langjährigen Vorsitzenden der Bürgerinitiative Umweltschutz, Marianne Fritzen, der Petra-Kelly-Preis der Heinrich-Böll-Stiftung verliehen. Mit dieser Verleihung würdigte die Stiftung die über 33-jährige Widerstandstätigkeit der mittlerweile 86-jährigen aus Kolborn.
Nicht nur im Wendland gilt Marianne Fritzen als "Grand Dame" der Widerstandsbewegung. Ihr vehementer Einsatz gegen die Pläne, in Gorleben ein Endlager für atomaren Abfall einzurichten, hat ihr auch bundesweit Respekt verschafft.
Mit der Verleihung des mit 10 000 Euro dotierten Petra-Kelly-Preises würdigt die grüne Stiftung das langjährige Engagement von Marianne Fritzen. In der Begründung der Stiftung heißt es: "Die Entscheidung, Marianne Fritzen den Preis zu verleihen, ist vor allem eine Würdigung ihrer politischen Biographie als jahrzehntelange Vorkämpferin gegen die Atomenergie, als Symbol des gewaltfreien Widerstands und eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses in der Region. Gleichzeitig wollen wir mit dem Preis auch die neu erstarkte Anti-AKW-Bewegung auszeichnen. Der Kampf gegen das Gefahrenpotenzial der Atomenergie wie gegen die Atomrüstung war ein Kernanliegen von Petra Kelly, das nach wie vor hoch aktuell ist."
Von der angesehenen Bürgerin zum "Feind der Rechtsordnung"
Rebecca Harms, die mit Marianne Fritzen schon seit den ersten Tagen des Gorleben-Widerstands befreundet ist, hielt anläßlich der Verleihung die Laudatio. "Als gute und angesehene Bürgerin der Stadt Lüchow hast du in einer mit großen gesellschaftlichen Spannungen aufgeladenen Zeit die Führung unserer Bürgerinitiative übernommen. Und du warst wie gemacht dafür, einen Kurs zu prägen, der sich, trotz großen Streits gerade in den ersten Jahren, bis heute als richtig, erfolgreich und durchhaltbar erwiesen hat", so Harms in ihrer Laudatio.
Immerhin war es für die Hausfrau und Mutter von sieben Kindern nicht einfach, aus ihrer Honoratioren-Rolle (der Ehemann war Gymnasiallehrer in Lüchow) in die Rolle der kämpferischen BI-Vorsitzenden zu wechseln. Rebecca Harms erinnerte an die Zeiten, in denen sowohl von außen als auch von innen ein enormer Druck auf den damaligen Gorleben-Gegnern lastete. “Feinde der Rechtsordnung”, “Kommunistische Gesellschaftszerstörer” oder „Sympathisanten der Baader Meinhof Gruppe“ waren da noch die freundlicheren Zuschreibungen, die die Mitglieder Bürgerinitiative sich von Politikern und Öffentlichkeit gefallen lassen mussten.
Politische Ausgewogenheit oder kompromißlose Auseinandersetzung?
Gleichzeitig wuchs der Widerstand im Wendland. Atomkraft-Gegner aus der ganzen Republik zog es nach Gorleben - das brachte Konflikte mit sich. Rebecca Harms: "Die Initiative, an deren Spitze du dich gewagt hast, war was politische gesellschaftliche Herkunft der Mitglieder betrifft, ein echter melting pot. Nur begann damals nicht ein einfacher Verschmelzungsprozess. Fragen nach politischer Ausgewogenheit von Kundgebungen wurden genauso erbarmungslos diskutiert wie die Gewaltfrage."
Unter den Gorleben-Gegnern waren Großgrundbesitzer ebenso wie selbstbewussten Bauern, den bürgerliche Naturschützer, Berliner Künstler, wendländische Landkommunardin, linke Lehrer, konservative Lehrer, linke Rechtsanwälte, konservative Rechtsanwälte. ... Lüchow-Dannenbergs Bürger hatten eine ganz andere politische Prägung als Wochenendpendler aus Hamburg.
Mit Respekt und Toleranz
Doch Marianne Fritzen war durch die berufliche Tätigkeit ihres Mannes viel herum gekommen: von Berlin nach Lüchow nach Taiwan und wieder zurück nach Lüchow. So hatte sie "zum Glück für uns alle" (Rebecca Harms) nicht nur reichlich Erfahrungen mit sehr verschiedenen Menschen mit sehr expliziten Meinungen. "Zum Glück für uns hattest du zudem reichlich wenn auch nicht unendliche Geduld. Allerdings endeten dein Respekt und deine Toleranz vor Anderen sofort, wenn Autoritäten hohl oder Hierarchien unbegründet waren. Zum Glück für uns führtest du dein (Ehren!)Amt mit Verantwortung, mit Augenmaß und mit einer Leidenschaft, die die andere Seite oft unterschätzte", so Harms.
Desweiteren erinnerte die derzeitige Fraktionsvorsitzende der Europäischen Grünen daran, dass die BI zunächst viel lernen musste. Alles musste intensiv vorbereitet werden, wissenschaftliche Berater gesucht werden. Denn die Themenkomplexe rund um das Thema "Endlagerung in Gorleben" waren und sind komplex. Da waren Physiker, Chemiker, Ingenieure ebenso gefragt wie Geologen, Geomorphologen oder Verwaltungs- und Verfassungsrechtler.
Wie auch Lilo Wollny, die jahrelang für die Grünen im Bundestag saß, musste sich die bisherige Mutter von sieben Kindern damit abfinden, dass sie plötzlich im Rampenlicht der Öffentlichkeit stand. Sie musste hochrangige Staatsgäste - mehr oder weniger herzlich - begrüßen, kämpferisch die Position vertreten und doch immer wieder ausgleichen zwischen den unterschiedlichen Interessen der aktiven Widerstandsgruppen.
Konsequent Gewaltfrei
Auch nach der gewaltsamen Räumung des Hüttendorfs auf der Bohrstelle 1004 gehörte Marianne Fritzen zu den konsequent Gewaltfreien - auch wenn es sie Kraft kostete, die Wut über die "Maßlosigkeit des Staates und der Instrumentalisierung der Polizei gegen die Bürger" nicht in gewalttätigen Gegenaktionen münden zu lassen.
Eine Konsequenz aus diesen Erfahrungen war der Weg in die Parlamente. Marianne Fritzen ging in die Politik, gründete die Grünen mit und zog als erste Frau in den Lüchow-Dannenberger Kreistag ein.
Doch der Krieg in Jugoslawien und der von Rot-Grün beschlossene Atomkonsens brachte sie dazu, bei den Grünen wieder auszutreten. Eine Entscheidung, die für Rebecca Harms als langjährige Weggefährtin nicht einfach zu verkraften war. "Du hast mir im Gespräch in diesem Sommer gesagt, dass es eben Grenzen gibt, die das Gewissen setzt. Im Jahr 2000 gehörte ich zu denen, die Tränen vergossen haben über die Entscheidung."
Während Rebecca Harms sich entschied, die wendländischen Interessen weiterhin konsequent und vehement innerhalb der grünen Partei weiter zu verfolgen, zog sich Marianne Fritzen aus der Politik zurück, setzte auf die Kraft der außerparlamentarischen Opposition, wobei es ihr immer wichtig war, alle gesellschaftlichen Gruppen in den Dialog mit einzubeziehen wie z.B. die evangelische Kirche.
Die persönliche, aber auch die politische Freundschaft zwischen Rebecca Harms und Marianne Fritzen ist geblieben. So konnte Rebecca Harms ihr auch vollen Herzens für ihr langjähriges Engagement danken: "Du hast als Person Orientierung in die Bewegung, die Politik und die Gesellschaft gebracht. Danke Marianne."
Von den 10 000 Euro Preisgeld wird Marianne Fritzen übrigens 3000 Euro an den Bundesverband der Bürgerinitiativen spenden. Der Rest geht an das Gorleben-Archiv zum weiteren Aufbau.
Foto: Andreas Conradt / publixviewing.de / Marianne Fritzen mischt sich auch in hohem Alter weiter ein: beim Besuch des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Gorleben ließ sie es sich nicht nehmen, den Abgeordneten unbequeme Fragen zu stellen.
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