Thema: atompolitik

Gorleben: Die potentielle Mega-Asse - II -

Hier der zweite Teil der Zwischenbilanz von Sylvia Kotting-Uhl, Obfrau der Grünen im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu Gorleben. ...

... Aus den Unterlagen und aus den Zeugenaussagen wird deutlich, dass der öffentlich vermittelte Eindruck, dass die damaligen Bundesregierungen einheitlich und mit ganzem Herzen für den Atomklostandort Gorleben entschieden waren, nicht der Realität entspricht. Deutlich belegt wurde das durch den Zeugen August Hanning, der von 1981 bis 1986 im Bundeskanzleramt auch mit Gorleben befasst war.

Hanning, immerhin der spätere Chef des Bundesnachrichtendienstes BND, erklärte ganz offen, dass man im Kanzleramt sowohl unter Helmut Schmidt als auch unter Helmut Kohl eigentlich für einen Standortvergleich gewesen sei. Auch er selbst habe gewusst, dass Gorleben "kein optimaler Standort" sei und dass es besser gewesen wäre, verschiedene Standorte zu vergleichen.

Hanning offenbarte dem Untersuchungsausschuss auch den eigentlichen Grund für die Wahl Gorlebens: Die Regierung habe für den Bau von Kernkraftwerken einen Entsorgungsvorsorgenachweis erbringen müssen. Da weder aus Niedersachsen noch aus anderen Bundesländern weitere Vorschläge gemacht worden seien, habe man schließlich die alleinige Erkundung Gorlebens befürwortet.

Der für die Endlagersuche zuständige Referent im Bundeskanzleramt Wolf von Osten bestätigte das: ,"Durch die Kopplung der Kernkraft an die Entsorgungsvorsorge hatte sich die Bundesregierung Fesseln angelegt“, sagte er. Er selbst habe die massiven Zweifel der Wissenschaftler zusammen mit Hanning in einem Vermerk an den Bundeskanzler benannt. Obwohl die Skepsis gegenüber Gorleben wegen Problemen mit der Deckschicht und Wassereinbrüchen groß gewesen sei, habe man Gorleben ”durchzudrücken“ versucht. Trotz der Skepsis gegen den Standort im Wendland habe man auf Fortschritte mit Gorleben setzen müssen. Sowohl unter Schmidt als auch unter Kohl habe das Motto geherrscht: ”Augen zu und durch.“ Die Alternative sei gewesen, die Entsorgungsvorsorgegrundsätze aufzuweichen oder mit Gorleben "durchzumarschieren".

Dem Untersuchungsausschuss liegt ein gemeinsamer interner Vermerk der beiden damaligen Kanzleramts-Zuständigen an Bundeskanzler Schmidt vor, in dem dieses Problem ganz offen benannt wird. Hanning und von Osten schreiben am 17.8.1981: Da die "geologischen Eigenschaften des Salzstocks nicht optimale Erwartungen zu erfüllen scheinen", bleibe "das Risiko eines negativen Ausgangs der Standorterkundung" bestehen. Die "Fortführung des laufenden Planfeststellungsverfahrens sowie Fortschritte bei der Erkundung und Erschließung eines Endlagers" als "wichtiger Bestandteil der Entsorgungsvorsorge" werde dann "entfallen und die Erteilung von Betriebsgenehmigungen von Kernkraftwerken gefährden".

Im März 1982 gab es seitens der damaligen CDU-Opposition die Forderung, die strikte Entsorgungskoppelung für den Bau von AKWs aufzuweichen - mit der denkwürdigen Begründung, dass die längerfristige Lagerung von Brennelementen sicherheitstechnisch unbedenklich sei. In einem weiteren jetzt bekannt gewordenen Vermerk weisen Hanning und von Osten darauf hin, dass auf dem bevorstehenden SPD-Parteitag die Forderung erhoben werde, den Betrieb von AKWs nach 1990 einzustellen, wenn keine Entsorgung im Inland nachgewiesen werde. Die Antragskommission votierte wegen der ungelösten Entsorgung gar für ein zweijähriges Moratorium für den Bau von AKWs. Hanning und von Osten sprachen sich in ihrem Vermerk an den Kanzler gegen den Versuch aus , die "im Atomgesetz vorgesehene Entsorgungskoppelung für Bau und Betrieb von AKWs zu verändern", weil angesichts der Diskussionen "eine entsprechende Änderung des Atomgesetzes nicht durchsetzbar" sei.

Durch das Umfallen der FDP wurde am 1. Oktober 1982 Helmut Kohl zum Bundeskanzler gewählt. Noch vehementer als unter Helmut Schmidt wurde nun auch von der Bundesregierung auf Gorleben gesetzt. Der fehlende Fortschritt bei der Planung eines Atomendlagers gefährdete damals die Inbetriebnahme der Meiler in Brokdorf, Emsland und Neckarwestheim 2. Gegen alle im Bau befindlichen AKWs waren Gerichtsverfahren anhängig. Der Druck auf die Wissenschaftler und die beteiligten Behörden wurde nochmals erhöht.

Auf den Knien vor der Atomwirtschaft wurden die Bedenken der Wissenschaft weggeschrubbt

Die Anzahl der Wissenschaftler, die Gorleben die Eignung als Atomendlager abgesprochen haben, ist Legion. Im Untersuchungsausschuss wurde deutlich, dass es sich bei den Kritikern keineswegs um Randpersonen handelte, sondern teilweise um die anerkannten Spitzenleute ihrer Profession.

Der Zeuge Prof. Klaus Duphorn, einer der renommiertesten Fachleute auf dem Gebiet der Quartärgeologie, sagte aus, dass die Untersuchungen Gorlebens Anfang der achtziger Jahre immer mehr gegen die Eignung des Salstocks als Endlager sprachen. Je mehr und je tiefer sein Team damals gebohrt habe, desto schlechter seien die Ergebnisse geworden. Das Bundesforschungsministerium als sein Auftraggeber habe diese Erkenntnisse konsequent ignoriert. Da seine Erkenntnisse "politisch unliebsam" gewesen seien, habe er nach seiner Untersuchung vom Forschungsministerium keine weiteren Aufträge bekommen. Akten mit Erkenntnissen zur Nichteignung von Gorleben seien 20 Jahre unter Verschluss gehalten worden. Duphorn verwies im Übrigen auch darauf, dass Salzstöcke heute international nicht mehr als Endlager erkundet würden.

Nach dem Auftritt des Zeitzeugen Dr. Helmut Röthemeyer im Untersuchungsausschuss ist die Fassade einer seriösen Endlagersuche vor Rissen kaum noch zu erkennen. Röthemeyer war 1983 als Abteilungsleiter der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) maßgeblich an der Erstellung eines entscheidenden wissenschaftlichen Gutachtens über die untertägige Erkundung Gorlebens befasst. Seine wohlbegründete Empfehlung, mehrere Standorte zu vergleichen, wurde von höchster politischer Stelle unterdrückt.

Das Schlüsselereignis fand am 11. Mai 1983 statt. An diesem Tag trafen sich Wissenschaftler aus PTB, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) und der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe (DBE) zu einer fachlichen Besprechung in den Räumen der BGR. Zur Überraschung und zum Ärger der Wissenschaftler erschienen dazu unangemeldet Vertreter des Bundesinnen- und Bundesforschungsministeriums und des Kanzleramts. Die schwarz-gelbe Bundesregierung verpasste den Wissenschaftlern einen Maulkorb und zwang die PTB, sich öffentlich auf Gorleben als einzigen Erkundungsstandort festzulegen.

Diesen Eklat haben vor dem Untersuchungsausschuss nicht nur Prof. Röthemeyer und sein PTB-Kollege Dr. Herbert Illi bestätigt. Dem Untersuchungsausschuss liegt auch der schriftliche Vermerk der PTB über die entscheidende Sitzung vor. Darin ist nachzulesen, dass das Bundesinnenministerium der PTB die Weisung erteilte, ihre Empfehlung zur Untersuchung weiterer Standorte aus dem Bericht zu streichen. Wissenschaftliche Seriosität buchstabiert sich anders. Bei der Befragung im Ausschuss erinnerte sich Röthemeyer, dass sich die Vertreter der Ministerien bei der entscheidenden Diskussion jeder fachlichen Auseinandersetzung verweigerten und allein die entsorgungspolitischen Gründe der Bundesregierung für die alleinige Erkundung Gorlebens besprechen wollten.

Gorleben ist die Saat des "Atomstaats"

Robert Jungk prägte 1977 den Begriff "Atomstaat" und warnte vor der mit der Atomtechnik einhergehenden Aushöhlung von Bürgerrechten und Demokratie. Was wir heute über die Genesis Gorlebens erfahren, gibt dem Visionär in erschreckend vielen Bereichen recht. Von einer wissenschaftlich begründeten oder begründbaren Entscheidung kann bei der Auswahl Gorlebens keine Rede sein. Im Gegenteil: Die Regierung wusste, dass Gorleben kein wirklich sicherer Standort war. Um aber wenigstens überhaupt einen Lagerstandort vorweisen zu können, wurden mit einer erstaunlichen Flexibilität nicht nur Sicherheitsbedenken sondern auch rechtsstaatliche Positionen aufgegeben, um Niedersachsen wenigstens beim Standort Gorleben zu halten.

Nicht rechtstaatliche Prinzipien, sondern das unbedingte Bestreben , wenigstens ein "Endlager in Aussicht" als Entsorgungsvorsorgenachweis vorweisen zu können, bestimmten offenbar die Rechtsauffassung der beteiligten Ministerien. Und auch die Art und Weise, in der der Salzstock nun weiter "erkundet" werden soll, folgt nicht wissenschaftlichen und geologischen Kriterien, sondern rechtlichen Vorgaben. Dass die damalige Umweltministerin Angela Merkel 1996 den Erkundungsbereich nicht nach den geologischen Erfordernissen, sondern nach politischer Opportunität und den Salzrechten ausrichtete, wäre eigentlich eine eigener Skandal, bei Gorleben scheint sich die Öffentlichkeit aber schon daran gewöhnt zu haben, dass dort nichts mit rechten Dingen zugeht.

Keine Laufzeitverlängerung ohne "Entsorgungsvorsorgenachweis"

Durch die von Schwarz-Gelb geplante Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke würde sich der hochradioaktive Atommüll in Deutschland um etwa 4400 Tonnen vermehren. Das ist eine Steigerung um ein Viertel.

Schon allein wegen der ungelösten Entsorgung ist die Laufzeitverlängerung rechts- und verfassungswidrig. Als Entsorgungsvorsorge können CDU/CSU und FDP nur auf den Uralt- Beschluss zu Gorleben verweisen. Im Juli 1977 beantragte die unter der Aufsicht der Bundesregierung stehende Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) die Einleitung eines atomrechtlichen Planfeststellungsverfahrens. Noch heute, 33 Jahre später, ist dieser Antrag anhängig - und muss als Beweis für die vermeintliche Erfüllung der Entsorgungspflicht herhalten.

Im Zug der gerichtlichen Auseinandersetzung um die Laufzeitverlängerung werden sich die Gerichte auch dazu äußern, ob die Auswahl Gorlebens den Anforderungen an eine geologische Eignungsuntersuchung und der gebotenen Prüfung von Standortalternativen gerecht wird. Beides sind nach dem Atomgesetz Voraussetzungen für einen Planfeststellungsbeschluss zur Errichtung und zum Betrieb eines atomaren Endlagers.

Wie vor drei Jahrzehnten wollen sie die Erkundung von Gorleben nicht nach Atomrecht sondern nach Bergrecht durchziehen. Wie damals soll damit die Öffentlichkeit möglichst wenig in die Untersuchung einbezogen werden. Das Demokratieverständnis der Atomgemeinde wird bereits dadurch offenbar. Mit einem Extra-Trick will die Regierung aber noch eins draufsetzen: Weil auch im Bergrecht seit 1990 eine gewisse Bürgerbeteiligung und eine obligatorische Umweltverträglichkeitsprüfung Einzug gehalten haben, soll Gorleben nicht nach dem aktuellen sondern nach dem bis 1990 gültigen Bergrecht genehmigt werden.

Und wer an dieser Stelle noch nicht an der rechtsstaatlichen Redlichkeit der Akteure zweifelt, für den hat die Regierung noch ein weiteres Schmankerl. In einer Beziehung will sie nämlich doch das Atomrecht anwenden: Enteignungen widerständiger Grundstückseigner in Gorleben sollen nämlich nach dem neuen Atomrecht möglich werden. Dazu muss Schwarz-Gelb allerdings noch das Atomgesetz ändern.

Sie werden nicht durchkommen

Der Weg der Atomgemeinde muss noch hohe Hürden überwinden: im Bundestag mag sie derzeit eine Mehrheit haben. Im Bundesrat hat sie diese Mehrheit nicht und nach den nächsten Landtagswahlen könnte die Opposition dort noch stärker dastehen. Selbstverständlich werden die Atomgegner die Tricksereien auch von den Gerichten prüfen lasen. Dass die Justiz diese Machenschaften mit einem okay adelt, ist nicht sehr wahrscheinlich. Die höchste Hürde aber ist der Souverän. Die Regierung wird es nicht schaffen, ihr Atomprogramm gegen eine deutliche Bevölkerungsmehrheit durchzuziehen, die ihre Ablehnung nicht nur in demoskopischen Umfragen dokumentiert sondern ihre Empörung zunehmend auch auf Versammlungen und auf der Strasse demonstriert.

Der Standort Gorleben ist politisch tot und juristisch verbrannt. Nach der Asse und nach Morsleben will die Regierung ein drittes Endlager ohne atomrechtliches Genehmigungsverfahren errichten. Die Schwarzen und die Gelben sind offensichtlich gnadenlose Lobbyisten. Aber selbst das machen sie schlecht, weil sie erfahrungsresistent sind. Aus dem Desaster in der Asse haben sie nichts gelernt. In Gorleben bereiten sie das nächste Debakel vor.

Das Gebäude Gorleben strotzt vor Lügen, schon deshalb ist dieser Standort nicht durchsetzbar. Rechtstaatlichkeit und Ehrlichkeit werden den Interessen der Lobby geopfert.

Juristisch haben ihre Winkelzüge wenig Erfolgschancen. Und politisch haben sie sich in der gesamten Atomfrage bereits katastrophal verhoben. Die Salzbrocken aus Gorleben werden ihnen schon bald auf die Füße fallen.




2010-10-28 ; von Sylvia Kotting-Uhl (autor),

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