Die Mitglieder des parlamentarischen Untersuchungsausschusses(PUA) zur Standortwahl Gorlebens nahmen am Donnerstag den Salzstock in „Augenschein“. Danach stellten sich die Obleute aller Parteien im Dannenberger Schützenhaus der Öffentlichkeit. Ergebnis: die altbekannten Differenzen zwischen CDU/FDP und den Oppositionsparteien wurden erneut überdeutlich - in der Sache gab es wenig Neues.
Während die CDU-Obleute, Ausschussvorsitzende Dr. Maria Flachsbarth und PUA-Mitglied Reinhard Grindel keinerlei Zweifel an der „Eignungshöffigkeit“ Gorlebens hegten und deshalb die Weitererkundung befürworteten, hatten die Obleute der Oppositionsparteien umso mehr Kritik anzumelden.
Schon die Auswahl der begleitenden Experten für den Gorleben-Besuch hatte im Vorfeld zu Auseinandersetzungen geführt: der Antrag der Grünen-Obfrau Sylvia Kotting-Uhl Vertreter des Bundesamtes für Strahlenschutz sowie den Geologen Ulrich Schneider zu der Schachtfahrt einzuladen, wurde mit der Mehrheit der CDU/FDP-Mitglieder im PUA abgelehnt. „Rechtlich hat der Untersuchungsausschuss keine Möglichkeit, Forderungen nach bestimmten Experten zu erheben“, rechtfertigte Ausschussvorsitzende Dr. Maria Flachsbarth die Ablehnung. „Es blieb der Bundesregierung überlassen, zu entscheiden, welche Experten uns begleiten sollten.“
Und die Bundesregierung entschied sich für Fachleute der Endlager-Betreiber GNS, DBE und Vertretern der Bundesanstalt für Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover.
(Die BGR ist als Fachbehörde des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) die zentrale wissenschaftlich-technische Institution zur Beratung der Bundesregierung in allen georelevanten Fragestellungen.) Auf diese Art und Weise wurden die Bundestagsabgeordneten von bekanntermaßen eher unkritischen Fachleuten informiert. Die Gorlebenkritischen Experten blieben außen vor.
Einschätzungen kontrovers wie gehabt
Die Einschätzungen der PUA-Obleute nach dem Besuch blieben so kontrovers wie bereits vor dem Besuch bekannt. Während die CDU-Vertreter weiterhin die „Eignungshöffigkeit“ Gorlebens beschworen, wiesen die Vertreter der Oppositionsparteien auf diverse Zweifel und Unstimmigkeiten hin: 1. Ölflüsse im Salzstock und ihre Auswirkungen auf die Undurchlässigkeit des einschließenden Gebirgsbereeiches sind nicht aufgeklärt. 2. viele geologische Unstimmigkeiten, über die sich die Wissenschaftler streiten 3. es gibt keine Aufklärung darüber, warum bestimmte Erkundungsstrecken – anders als im Rahmenbetriebsplan 1983 vorgesehen – verlegt worden sind. 4. das nicht vorgesehene Beteiligungsverfahren im Erkundungsprozess ist für die Oppositionsparteien nicht hinnehmbar.
Was den eigentlichen Auftrag des PUA anging, so hat CDU-Obmann Reinhard Grindel bisher keinerlei Belege für fehlerhaftes Regierungshandeln gefunden. SPD-Kollegin Ute Voigt dagegen sieht sich nach Durchsicht von 80 der rund 1500 Akten nicht in der Lage, schon ein Urteil abzugeben. Sylvia Kotting-Uhl meint sogar, genügend Belege für manipulatives Vorgehen der Bundesregierung in den 70er Jahren gefunden zu haben. So unterschiedlich wie die Einschätzungen zum eigentlichen PUA-Auftrag so unterschiedlich auch die Haltung zur Eignung Gorlebens und der Wiederaufnahme der Erkundung.
Für Reinhard Grindel gibt es keinen Grund, weitere Standorte zu erkunden. „Es sind bisher Milliarden in die Erkundung Gorlebens geflossen. Ein anderer Standort müsste ebenso ober- wie untertägig erkundet werden. Das würde genauso viel kosten wie die Erkundung Gorlebens.“ Und da der CDU-Obmann keinen Grund sieht, an der „Eignungshöffigkeit“ Gorlebens zu zweifeln, gibt es für ihn auch keinen Anlass, weitere Standorte zu erkunden.
Seine Parteikollegin Dr. Maria Flachsbarth wurde noch deutlicher. „Tatsächlich soll kein weiterer Standort erkundet werden. Für die Erkundung eines weiteren Standorts müssten die betroffenen Bundesländer zustimmen und das sehe ich derzeit nicht.“
Für Ute Voigt (SPD) dagegen ist völlig klar, warum die Regierungsparteien so fixiert an Gorleben festhalten. „Sollte die Erkundung am Salzstock Gorleben aufgegeben werden, so gibt es für die Energiekonzerne keinen Entsorgungsnachweis mehr. Und damit wäre der Weiterbetrieb sämtlicher Atomkraftwerke in Deutschland nicht mehr zulässig.“
Forderung der Bürgermeister: Offenheit und Transparenz
Im Anschluss an die Schachtfahrt hatten sich die Ausschussmitglieder mit Kommunalvertretern aus der Region getroffen. Sowohl Landrat Jürgen Schulz, der stellvertretende Landrat Martin Donat, Gartows Samtgemeindebürgermeister Wilhelm Schröder sowie die Gemeindebürgermeister von Gorleben und Gartow nahmen an dem Gespräch teil. „Wir nehmen die deutliche Forderung der Kommunalvertreter nach Offenheit und Transparenz mit nach Berlin,“ beteuerte Flachsbarth in der Pressekonferenz am Nachmittag. „Die Einbeziehung der Öffentlichkeit, z.B. über die Wiedereinrichtung der Gorleben-Kommission ist auch uns ein wichtiges Anliegen.“(Anmerkung: 1978 war die sogenannte „Gorleben-Kommission“ als Vertretung aller Gemeinden zur Begleitung der gesamten Arbeiten eingerichtet worden. Nach einem Pressetext des CDU-Abgeordneten Kurt-Dieter Grill war diese Gruppe 1991 von der SPD/Grüne/FDP-Koalition im Kreistag wieder abgeschafft worden. )
Sylvia Kotting-Uhl reichte der Begriff „Einbeziehung der Öffentlichkeit“ nicht aus. „Die Öffentlichkeit muss aktiv beteiligt werden und nicht lediglich einbezogen“, präzisierte Kotting-Uhl ihre Forderung. Auch für ihre SPD-Kollegin Ute Voigt ist völlig klar, dass „ein derartiger Prozess nicht ohne Beteiligung der Öffentlichkeit durchgeführt werden kann“.
Was die CDU unter ergebnisoffen versteht
Nach den Vorstellungen von Maria Flachsbarth sollen die Ergebnisse des Erkundungsverfahrens einer internationalen Expertenrunde zur Begutachtung und Bewertung vorgelegt werden. Erst wenn diese Runde die Eignung des Gorlebener Salzstock feststellt, kann es weitergehen ins Planfeststellungsverfahren.
Auch für Reinhard Grindel geht es um eine „ergebnisoffene“ Erkundung. Nach seiner Argumentation sollen in Gorleben soviel Erkenntnisse gesammelt werden wie möglich, damit man im Falle einer festgestellten Nichteignung Gorlebens an einem dann (nur mühselig vermied Grindel hier das Wort „Notfall“) zu erkundenden neuen Standorts schneller zu Ergebnissen kommen kann.
SPD-Frau Voigt kritisierte die Entscheidung für die baldige Weitererkundung. „Mit Millionen Euro werden hier Fakten geschaffen. Dabei ist nicht einmal geklärt, ob dieser Standort nach wissenschaftlich-fachlichen Kriterien ausgewählt worden war,“ so Voigt. „Und wenn er tatsächlich in der Vergangenheit nicht ordnungsgemäß ausgewählt worden ist, kann er auch in Zukunft keinen Bestand haben.“
Auch Sylvia Kotting-Uhl übte scharfe Kritik an der alleinigen Erkundung des Gorlebener Salzstocks. „Statt weitere Standorte zu erkunden, hat man immer nur Hindernisse aus dem Weg geräumt. Als festgestellt wurde, dass das Deckgebirge fehlt, wurde das Mehrbarrierensystem aufgegeben. Gibt es Eigentümerprobleme, so wird ein Enteignungsgesetz vorbereitet usw. usw.“, so Sylvia Kotting-Uhl.
Aufgeheizte Stimmung bei der öffentlichen Veranstaltung
Bemerkenswert der Mut der CDU-Abgeordneten, sich nach dem Besuch im Erkundungsbergwerk sich auf Einladung der Bürgerinitiative Umweltschutz den kritischen Fragen der Öffentlichkeit zu stellen. Mehr als 250 Atomkraftgegner hatten sich im Dannenberger Schützenhaus eingefunden, um „ihren“ Abgeordneten auf den Zahn zu fühlen.
Wie gewohnt zeigten sich die wendländischen Gorlebengegner oft besser informiert als die Mitglieder des PUA. Differenzierte Fragen nach Anwendung des Berg- bzw. des Atomrechts, nach geologischen Schwierigkeiten im Salzstock, nach der geplanten Enteignung oder der Gasexplosion bei Lenzen forderten die Abgeordneten. Nicht alle Podiumsteilnehmer konnten so fachkompetent antworten wie die gestellten Fragen es erfordert hätten.
Kaum verwunderlich, dass die Vertreter von LINKE, Grünen oder SPD mit ihren klaren Positionen gegen die Eignung von Gorleben alle Sympathiepunkte auf ihrer Seite hatten. Die CDU-Vertreter dagegen hatten bei den aufgebrachten Widerständlern einen schweren Stand.
Lilo Wollny, ehemalige Bundestagsabgeordnete, verwies zum Beispiel darauf, dass es schon 1978 die ersten internationalen Hearings zum Thema Endlager gab. Dabei habe ein schwedischer Professor das Verfahren in Gorleben mit einem Schießwettbewerb verglichen, bei dem alle Schützen auf eine blanke Wand schießen und nach dem Schießen die Trefferringe um die Einschüsse gezogen werden.
Mathias Edler, Greenpeace-Atomexperte, nahm mit seiner Frage, wie denn die FDP zur Enteignung stehe, die vielbeschworene Freiheitsgläubigkeit der liberalen Partei aufs Korn. Antwort von Bunkhorst: „Wir schätzen Eigentumsrechte sehr hoch ein. Aber es gibt im BGB Regelungen, die eine Enteignung in Fällen von öffentlichem Interesse zulassen.“
Auf eine besondere Absurdität wies Ute Voigt hin: Der Arbeitskreis Endlager hatte bereits vor Jahren ein Szenario für transparentes Auswahlverfahren entwickelt. In Deutschland verschwanden diese Pläne in der Schublade. „Jetzt arbeitet die Schweiz nach den Plänen des AK End“, so Voigt. „Für jede Einlagerungsanforderung (schwach, mittel- und hochradioaktiver Abfall) werden jeweils drei Standorte ausgewählt, die von Anfang unter Beteiligung der Öffentlichkeit erkundet werden. Dort entscheidet nicht das Parlament über den endgültigen Standort, sondern die Öffentlichkeit.“ Für Voigt wäre das ein Modell, welches längst auch in Deutschland hätte umgesetzt werden sollen.“
Doch warum dies hier nicht stattfindet, warum ein alter Betriebsrahmenplan wieder aufgewärmt wird, obwohl andere als dort beschriebene Bereiche erkundet werden sollen, warum keine anderen Standorte erkundet werden ... all diese Fragen blieben weitestgehend unbeantwortet.
PS: Am Rande der Veranstaltung war zu erfahren, dass Greenpeace und die Rechtshilfe Gorleben sich entschieden haben, gegen die zu erwartende Genehmigung des Rahmenbetriebsplans zu klagen – eben deshalb, weil andere Erkundungsbereiche „abgearbeitet“ werden als im Betriebsplan vorgesehen.
Foto: Angelika Blank
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