Bis Sommer wollen Bund und Länder die Feinheiten für ein "Standortauswahlgesetz" verhandeln, das ein ergebnisoffenes Suchverfahren garantieren soll. Vergangene Woche informierten die Rechtshilfe Gorleben sowie die Landtagsparteien SPD, Grüne und Linke über die kritischen Punkte im Verfahren - z.B. sind die beauftragten Gutachter bekannte Gorleben-Befürworter oder Atom-Lobbyisten ...
"Unbemerkt von der Öffentlichkeit werden in Gorleben endgültige Fakten geschaffen. Eine Schlüsselfunktion hat dabei die 'Vorläufige Sicherheitsanalyse Gorleben' (VSG)," so die Rechtshilfe Gorleben. "In dieser Studie werden mit einem enormen finanziellen und personellen Aufwand die Genehmigungsunterlagen für den umstrittenen Salzstock erarbeitet. Die beauftragten Gutachter sind bekannte Gorleben-Befürworter, Atomlobbyisten oder werden über Stiftungslehrstühle direkt von der Energiewirtschaft bezahlt. Der Bund will die VSG zu einem 'qualifiziertem Abschluss' bringen. Doch wenn dieses Projekt nicht abgebrochen wird, ist der Standort Gorleben kaum mehr aufzuhalten – trotz Standortauswahlgesetz und trotz der Warnungen zahlreicher Endlagerexperten."
An der VSG beteiligte Wissenschaftsinstitutionen
- Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS): Die traditionell atomfreundliche GRS hat die Federführung für die VSG. Ihr Chef, Prof. Frank-Peter Weiß, saß vor Kurzem noch im Präsidium des Deutschen Atomforums, einer Lobbyverband der Atomwirtschaft.
- Institut für Sicherheitstechnologe (IStec) GmbH: ein Tochterunternehmen der GRS.
- Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR): Die Fachbehörde des industriefreundlichen BMWi hat sich seit Jahrzehnten auf das Endlagermedium Salz und den Standort Gorleben festgelegt. Führende BGR-Geologen waren Anfang der 80er Jahre auch mitverantwortlich dafür, dass – entgegen den Empfehlungen etlicher Experten – mit der Erkundung von Gorleben als einzigem Salzstock begonnen wurde. Die BGR soll im Rahmen der VSG quasi die von ihr selbst aufbereiteten Erkundungsergebnisse bewerten. Auf ihrer Homepage heißt es dazu: "Trotz der noch nicht abgeschlossenen Erkundung des Erkundungsbereiches 1 (EB 1) kann nach den bisherigen Untersuchungen festgestellt werden, dass aus geowissenschaftlicher Sicht keine Erkenntnisse aus dem Salinar gegen die langzeitsicherheitliche Eignung des Salzstocks Gorleben für die Endlagerung radioaktiver Abfälle vorliegen.“ (Quelle BGR)
- Karlsruher Institut für Technology (KIT): Das Institut finanziert sich zu großen Teilen über Drittmittel aus dem BMWi. Es ist über den „Kompetenzverbund Kernenergie“ eng mit den Atomkonzernen verbündet.
- DBE Technology (DBETec): Tochterunternehmen der DBE (Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe), die zu 75 Prozent den vier großen Energiekonzernen gehört und direkt an den Bauarbeiten in Gorleben verdient.
- Nuclear safety engineering GmbH (nse): Die Firma wurde 2010 gegründet, unmittelbar vor Vergabe der Aufträge für die VSG. Alleiniger Gesellschafter ist ausgerechnet der bekannte Atomlobbyist und ehemalige Vattenfall-Manager Prof. Bruno Thomauske, heute Inhaber eines von RWE Power subventionierten Lehrstuhls an der RWTH Aachen. Nach SZ-Informationen soll Thomauske im Rahmen der VSG für mehr als 800.000 Euro zentrale Fragen bei der Bewertung von Gorleben bearbeiten. Zitat Thomauske 2004 zu Gorleben: „Der Eignungsnachweis, ob der Standort für hochradioaktive, wärmeentwickelnde Abfälle geeignet ist, könnte schon heute erfolgen.“ (Quelle: BT-Drucksache 17/6639 der Fraktion Die Grünen).
- Prof. Klaus-Jürgen Röhlig: Der Experte für Sicherheitsanalysen soll als „unabhängiger“ Gutachter die Qualität der VSG-Ergebnisse überprüfen. Röhlig ist an der TU Clausthal (TUC) Inhaber eines Stiftungslehrstuhls, der von der Gesellschaft für Nuklearservice (GNS) – also zu 100 Prozent von den vier Atomkonzernen - finanziert wird. Dazu heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen im Niedersächsischen Landtag: „Das Anforderungsprofil und die vorgesehenen Arbeitsschwerpunkte der Stiftungsprofessur werden im Einvernehmen zwischen der GNS und der TUC abgestimmt.“ (Februar 2012)
Rechtshilfe Gorleben: Erhebliche Zweifel an der Ergebnisoffenheit
An der von BMU betonten Ergebnisoffenheit der weiteren Erkundung Gorlebens sowie der VSG hegt die Rechtshilfe Gorleben erhebliche Zweifel. "Diese sind nicht leicht von der Hand zu weisen, da ein methodenimmanenter Zwang zur Fortführung der VSG und Weitererkundung des Standortes Gorleben besteht," so die Rechtshilfe. "Sowohl bei einem 'guten' Ergebnis der VSG als auch bei einem 'schlechten' Ergebnis werden Bewertungen vorliegen, die eine Fortsetzung als sinnvoll erscheinen lassen (Hoffnung auf neue Erkundungsergebnisse, Abbau von Konservativitäten usw.)."
Letztendlich belastet die VSG nach Ansicht der Rechtshilfe damit auch das geplante und in der Art seiner Umsetzung derzeit umstrittene Standortauswahlverfahren und konterkariert die erforderliche Offenheit des Verfahrens, weil ihre Ergebnisse zur weiteren Rechtfertigung des Standortes Gorleben beitragen. "Es ist zu fragen, aus welchem anderen Grund als der weiteren Rechtfertigung Gorlebens an diesem seit dreißig Jahren umstrittenen und nachweislich nicht aus rein sicherheitsorientierten Gesichtspunkten festgelegten Standort eine hinsichtlich des methodischen Vorgehens und der einfließenden Informationen noch nicht 'gefestigte' vorläufige Sicherheitsanalyse durchgeführt wird," so Asta von Oppen (Rechtshilfe Gorleben).
"Generell ist eine vorläufige Sicherheitsanalyse ein methodisch sinnvolles Instrument zur Zwischenbewertung von Endlagerstandorten. Voraussetzung dazu ist jedoch, dass der Standort als Ergebnis eines sicherheitsorientierten Auswahlverfahrens festgelegt worden ist. Diese Voraussetzung ist bei Gorleben bekanntlich nicht gegeben."
Schließlich sind nach Ansicht der Rechtshilfe wesentliche Aspekte der heutigen Bewertungsansätze, wie sie in der VSG benutzt werden, noch nicht abschließend geklärt. Damit unterliegen sie der Gefahr, im Rahmen der VSG gorlebenspezifisch bzw. interessensgeleitet interpretiert zu werden.
Besondere Unruhe löst bei der Rechtshilfe Gorleben ihre Einschätzung aus, dass mit der Vorläufigen Sicherheitsanalyse fast 90 % der für eine Genehmigung als Endlager notwendigen Planungsunterlagen fertig gestellt sind. Angesichts eines bereits ausgegebenen Milliardenvolumens für die bisherige Erkundung des Salzstocks besteht bei den Gorlebengegnernin in diesen finanzschwachen Zeiten die Befürchtung, dass der Salzstock Gorleben schon allein aus Finanzgründen zum Endlager werden könnte.
Die GRS hat noch am Wochenende eine Stellungnahme zu den von der Rechtshilfe Gorleben benannten Kritikpunkten veröffentlicht - nachzulesen hier.
Foto: Andreas Conradt/publixviewing.de ... mit den Gorlebenbefürwortern fuhren Gorlebengegner im Winter 2011 Schlitten ...