68 – das ist Legende. Und zero wollte wissen: was ist dran an der Legende? Und zwar nicht zum x-ten Mal die vermeintlich große Geschichte, sondern wir fragten in zero 144 nach den kleinen Geschichten, nach den ganz privaten Erinnerungen, Erlebnissen und Einschätzungen.
Antworten auf unsere Frage nach dem persönlichen „68“
Was dazu gekommen ist, reicht für kein Buch (zum Glück?) und ist alles andere als homogen, sagt aber gerade deshalb, obwohl nicht repräsentativ, schon einiges über „68“. Denn „die 68er“ – das war ein unglaublich widersprüchlicher, bunter Haufen; das waren die Politischen, das waren die Blumenkinder, das waren die Gammler, die Kiffer und Die-was-weiß-ich-noch-alles. Es gibt meterweise Bücher, die „68“ unter einen Hut zwingen wollen, eines davon ist von Götz Aly, der alles schön plakativ auf „den Nazi-Punkt“ bringt, um die Auflage seiner Bücher zu steigern; was wiederum typisch für manche „68er“ ist, weshalb auch Aly in unserer Sammlung stattfindet.
Doch ist eigentlich alles, was „die 68er“ wirklich verband, die damalige Aufbruchstimmung, die Entschlossenheit: Das Alte muß weg! Wie das Neue und vor allem der Weg dahin auszusehen hat – darüber gab es ungefähr soviele Meinungen wie „68er“.
In diesem Sinne drucken wir das uns Zugesandte teilweise gekürzt aber (bis auf Götz Aly) unkommentiert ab – egal, was wir davon halten. Und hoffen, daß es beim Leser Erinnerungen weckt, vielleicht etwas klarer macht – und daß ein bißchen das Gefühl für die Zeit vor 40 Jahren zu spüren ist.
Borvin Wulf, Jahrgang 1938
(Originalzitate aus einer sehr viel längeren Zuschrift von Borvin Wulf, deren Abdruck die Intention dieser Zusammenstellung gesprengt hätte.)
Am 16. März 1968 begingen US-amerikanische Soldaten das Massaker von My Lai.
Für eine kleine Gruppe Menschen in Südhessen brachte das (sagen wir mal so) „das Faß zum Überlaufen“. WIR („WIR“ war, abgeleitet von WRI = War Resisters International, also Int. Kriegsgegner, als Gruppe bzw. Zelle, bestehend aus ein paar „Männlein“ und zwei „Weiblein“, hatten die frustrierenden Faxen endlich dicke, seit Jahren immer nur entlang dem Slogan „Mitmarschieren - Solidarisieren“ auf Demos mitzumischen, sich die Kehlen vor Amerikahäusern und US-Konsulaten heiser zu schreien, sich die Finger ... wund zu schreiben, und unterm Strich dennoch nichts zu erreichen.
Dieses Engagement wurde zwar nicht „an den Nagel gehängt“ von WIR, aber quasi aus der Taufe gehoben wurde eine Art (sagen wir mal) Doppelstrategie. Soll heißen: Der Demo-Slogan „Aufruhr, Widerstand, es gibt kein ruhiges Hinterland“, wurde im Sinne von „Tut mehr!...“ in die Tat umgesetzt.
Das Gebiet in und um Frankfurt war damals auf vielen Quadratkilometern de facto militärisch besetztes Gebiet der US-Amerikaner, wo sie in riesigen abgeschotteten Quartieren zum Teil mit ihren Familien lebten mit PX-Läden, eigenen Schulen, Sportanlagen u. a. m. Zu Tausenden wartete innerhalb dieser Militäreinrichtungen auch jedwedes militärisches Gerät, Panzer, Panzerhaubitzen, mobile Raketenabschußrampen, Jeeps, LKW u.v.m.
Von zwei GIs, an die sich unsere zwei „Weiblein“ „rangemacht“ hatten, erfuhr die WIR-Gruppe, daß ab einem bestimmten Stichtag seitens des US-Headquarters in Frankfurt, die ihr Domizil im ehemaligen IG-Farben-Hochhaus hatten, beabsichtigt war, zahlreiche LKW und Panzerspähwagen von Hanau-Wolfgang aus über den militärischen Teil des Frankfurter Airport nach Vietnam zu transportieren. Die beiden o. a. GIs gehörten übrigens zur MP, die – vom Dienstplan her – ab und an damit betraut war, nachts an einem der Checkpoints Wache zu schieben, ein- und ausfahrende Fahrzeuge zu kontrollieren u. a. m. Voilà...
In einer Nacht- und Nebelaktion vom 24. auf den 25. 3. 1968 durchtrennten vier „Sandmännchen“ den Sicherheitszaun; sehr zupaß kam ihnen dabei, daß das Terrain – bis zu dem Zeitpunkt jedenfalls – noch keine Flutlichtmasten hatte, welche das gesamte Gelände in Tageshelle getaucht hätten. Nur vereinzelte mobile Flutlichtmasten gab’s, deren Lichtkegel konnte man jedoch gefahrlos umgehen. Mit dabei hatten die 4 „Sandmännchen“ Rucksäcke. Diese füllten sie auf dem Pioneer-Kasernengelände mit Sand. Deponiert war er dort für Kunststoffbehälter als Durchpreschsperre sowie für Sand-sackmauern als Kugelschutz.
Sodann ging’s ran an die eigentlichen Objekte: An 20 Militär-LKW schraubten die Jungs die Tankdeckel ab, nahmen die von ihnen mitgebrachten handlichen Plastikmessbecher zur Hand und tränkten die Tanks Sand. Und quasi als Krönung wurden anschließend noch 8 Jeeps abgefackelt – mehr war aus Sicherheitsgründen leider nicht drin – bevor die 4 „Sandmännchen“ „auf Nimmerwiederseh’n“ verschwanden.
Während der Aktion hatten die beiden Damen wiederum gut gespielt. Trugen vorsorglich auch wieder ihre Perücken. Nen Touch leichter gekleidet waren sie auch gewesen, was die „Witterung aufnehmen“ der beiden GIs auf sie auch nicht verfehlte. „Den Feind gebunden“ hatten sie allerdings mehr mit Charme & Chic. Chapeau!
Nachdem wir, ohne eigene Verluste, wieder vereint waren und zwei Tage später sowohl in deren newspaper „Stars and Stripes“, als auch in deutschen Blättern lesen konnten und auch übers Radio erfuhren, daß der angerichtete Schaden einige Hunderttausend Dollar betrug, war unsere – und sicher nicht nur unsere Freude zwar klammheimlich, aber innerlich riesengroß. Gell, ist die Freude der Zwerge nicht verständlich, wenn auch der Riese mal stolpert?! Zugegebenermaßen muß allerdings eingeräumt werden, daß diese Aktion nur ein ganz bescheidener und kleiner Beitrag zum antiimperia-listischen Kampf im Rahmen der 68er-Bewegung gegen den mörderischen US-Vietnamkrieg war. (...)
Was der 68er-Bewegung – neben der kreativen Vielfalt der Ausdrucksformen – fehlte, war eine verallgemeinerte innere Achse, was Befreiung inhaltlich sein könnte und in bestimmten unveräußerlichen Grundwerten zivilisierten menschlichen (Zusammen-)Lebens sein muß.
Tagebucheintragung vom 21. April 1967 von Johannes Ammon
„Schultag. Am Abend Film und Diskus-sion über Vietnam. Sehr gut.“
Was ich als „sehr gut“ bewertete? Muß die Diskussion gewesen sein. Ich war Schüler in einem Gymasium mit Internat – und wohl um der wachsenden politischen Unruhe unter Schülern und Studenten zu begegnen, wurde von offizieller Stelle ein Repräsentant des Goethe-Instituts auf Reisen geschickt, uns Uninformierten schöne Bilder der Flora und Fauna, bzw. der Architektur Vietnams per Dia-Vortrag zu zeigen.
Die Rede war, wenn ich mich recht erinnere, von einem ruhigen und schönen Vietnam/Süd, in dem ab und zu fanatische buddhistische Mönche demonstrierten und die allgemeine Zufriedenheit störten, was wiederum von „den Kommunisten“ zu Propagandazwecken ausgeschlachtet wurde.
Dieser Propaganda säßen wir Kriegsgegner auf. Es gibt dort keinen Krieg, die „Kommunisten“ wollen nur keine Demokratie.
In der dem Vortrag folgenden Diskussion waren wir 14- bis 18jährigen Schüler dem Goethe-Institut-Dozenten mangels eigener authentischer Information natürlich hoffnungslos unterlegen – aber das Maul haben wir trotzdem aufgemacht, und das fand und finde ich heute noch sehr gut. So scheinheilig und von eigentlich respektierter Stelle hinters Licht geführt zu werden – wen wundert’s, daß in den darauffolgenden Jahren (Tet-Offensive, Flächenbombardements, My Lai, usw.) die Autoritäten in Deutschland immer autoritärer werden mußten,während unsereiner ihnen gegenüber immer mißtrauischer wurde.
Schließlich haben in den nun vierzig Jahren seither die Lügen und Verarschungen nicht abgenommen. Aber jede Generation braucht wohl ihren eigenen „Augenöffner“ – und das muß nicht unbedingt ein revolutionäres Schriftstück, sondern kann auch ein Vortrtag über z. B. „Eidechsen in Mesopotamien“ leisten.
Uwe Altenkirch - Jahrgang 1943
Als junger Finanzbeamter Mitte der 60er Jahre, eingebunden in Gewerkschaftsjugend, Jugendpersonalratsarbeit und noch Mitglied bei der SDJ – Die Falken (Sozialistische Jugend Deutschland) lernte ich schon schnell Autoritäten vom autoritären Gehabe älterer Menschen zu unterscheiden. So herausgefordert, war es logisch, daß ich mir mit meiner großen Klappe so manche Beule eingefangen habe.
Ein Schlüsseldatum war der 2. Juni 1967. Zu meinem Erlebnis an diesem Tag muß ich vorausschicken, daß ich auch Angehöriger der Freiwilligen Polizei Reserve (FPR) im guten alten Westberlin war. Diese Polizeieinheit war auf Wunsch der Westalliierten eingerichtet worden, um im Falle „innerer Unruhen“ die Schutz- und Bereitschaftspolizei beim Objektschutz zu entlasten.
Aber am 2. Juni 1967 sollte die FPR repräsentativ anläßlich des Schah-Besuchs vor dem Schöneberger Rathaus eingesetzt werden. Dazu waren die FPR-Männer im alten Straßenbahn-Depot in der Belziger Straße angetreten. Weil es bei vorangegangenen geschlossenen Einsätzen üblich war, einen polizeilichen Imbiß-Wagen einzusetzen, fragte ein vierschrötiger Kollege der Berliner Straßenreinigung den Einsatzleiter, Polizeihauptkommissar Weißer: „Herr Weißer, watt is’n heute mit Ess’n?“
Der Oberpolizist antwortete: „Mit Essen ist heute nichts! Aber ihr könnt ja nachher ein paar Studenten vernaschen!“.
Jetzt hätte ich gehen sollen. Ich blieb. Wir marschierten vor das Rathaus hinter die Absperrung, Gesicht zum Publikum.
Eine größere Gruppe junger Menschen hatte Papiertüten mit Schah- und Farah-Diba-Gesichtern über die Köpfe gestülpt. Der Potentat, seine Angetraute und begleitende SAVAK-Männer (Persischer Geheimdienst) erschienen, „Mörder“-Rufe erschallten, auch von ungetüteten jungen Menschen. Schutzpolizisten und Zivilbeamte kreisten eine größere Gruppe ein, es kam zu Festnahmen.
Gleichzeitig rissen die SAVAK-Leute anderen Demonstranten Latten mit kleinen Schildern mit Anti-Schah-Parolen aus den Händen und versuchten, in Sensenmanier auf das Publikum einzuschlagen. Schutzpolizisten drängten die SAVAK-Männer zurück.
Nun hatte ich endgültig genug, entließ mich selber, ging zum Bus und fuhr nach Hause. Als ich am späten Abend von dem gewaltsamen Tod von Benno Ohnesorge hörte, konnte ich nicht fassungslos sein, denn die Eskalation hatte sich schon vormittags angekündigt.
Als ich zwei Jahre später Kriminalbeamter wurde, mußte ich leider punktuell mit dem Todesschützen zusammenarbeiten.
Im Kühlschrank
von Ulla Eisenberg
Eiskristalle funkeln
unsichtbar im Dunkeln.
Der Gletscher hat sich aus dem Kühlfach gedrängt
in Kissen an die Decke gehängt,
berührt nun die Wand
mit eisiger Hand
und legt sich als Schnee
auf den Auflauf von Dorothee.
Erikas Nuckelflasche mit Wein
lehnt an dem Gletscher und friert langsam ein.
Teewurstpelle, verwaist,
ist schon zur Härte vereist.
Ein halbes Stück Leber,
blutig und roh
von Frank angebissen, er ißt sie gern so.
Fünf Himbeerjoghurt hat Gretel gehortet
und vier davon auch schon angebohrt.
Da, wo die Mailand-Salami borst,
kam sie zwischen die Zähne von Horst.
Matschiger Kohlkopf, grünlicher Knochen:
Hella wollte ne Suppe draus kochen,
doch immer wieder rief die Partei.
Heftig klebt ein gebrochenes Ei,
während siebzehn geplatzte Tomaten
errötend die nächste Demo abwarten.
Unter Kohl und Tomaten versteckt
lagert für Gretl Klaus’ Piccolo-Sekt.
Finster ist es im Kühlschrank und still,
doch es erlauscht, wer es wahrhaben will
alle Dinge unhörbar lallen:
„ Alle gehören wir immer nur allen.“
Nur eine Torte schließt sich nicht an,
klebt doch ein fettiger Zettel dran:
„KLAUEN VERBOTEN!“ steht da und: „HALT!“
Stumm steht die Torte, innerlich kalt,
lückenhaft ihre Sahne-Garnierung,
Finger-Abdrücke als neue Verzierung.
Eisige Fülle, lang nicht getaut.
Plötzlich wird die Stille sehr laut.
Motorbrummen läßt alles erbeben
und die Leber am Gletscher festkleben.