Das "DocMobile" sorgt in griechischen Flüchtlingslagern für eine medizinische Notversorgung. Koordiniert wird es aus Hitzacker.
Die rollende Arztpraxis, ein umgebauter „Postkoffer“, wird
ehrenamtlich von Ärzten aus der ganzen Welt betrieben, die Medikamente stammen aus Spenden. Nicht ein Cent wird für Verwaltung ausgegeben, berichtet Mit-Initiator Alexander Ottavio aus Hitzacker, das Projekt gemeinsam mit seinen Mitstreitern Kai Wittstock
aus Hamburg und Ioannis
Liebich aus Thessaloniki organisiert.
„Wenn mich meine Tochter in zwanzig Jahren fragt: „Und was hast du damals getan, während der Flüchtlingskrise?“ Dann will ich nicht sagen: Pokémons gefangen“, schmunzelt Alexander Ottavio aus Hitzacker. Der chronisch Erkrankte hat sich gemeinsam
mit Freunden ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: „Wir wollen die kontinuierliche medizinische Versorgung
von Flüchtlingen in den Flüchtlingslagern von Nordgriechenland sicherstellen. Und zwar langfristig“.
Überleben unter erbärmlichen Bedingungen
Das Problem: „Seit dem Flüchtlingsdeal mit Erdogan gibt es ja keinen offiziellen „Notfall“ mehr“, erläutert Ottavio. Deswegen darf Griechenland z.B. das Deutsche Rote Kreuz nicht mehr offiziell für Hilfe anfordern. Die Zustände in den griechischen Flüchtlingslagern sind teilweise katastrophal. Die Camps in Militäreinrichtungen seien völlig unzureichend, ebenso wie die von der Regierung neu geschaffenen Camps in abgelegenen Lagerhallen – weit weg von der Bevölkerung. Ottavio berichtet von einem solchen Camp, wo 1000 Menschen untergebracht sind, die sich elf Toiletten teilen müssen - und einen einzigen Wasserhahn.
„Zu den erbärmlichen
Bedingungen kommt sehr
schlechtes Essen“. Beispiele
zeigt die Facebook-Seite des
DocMobile: Zum Frühstück
ein (!) eingeschweisstes
„Croissant“, zum Mittag ein
Beutelchen mit einigen wenigen
Kartoffeln.
Ein Arzt kommt für zwei
bis drei Stunden vorbei - pro
Woche. Die wirklich schweren
Fälle werden an Krankenhäuser
abgegeben. Die
anderen müssen sehen, wie
sie klarkommen.
Das DocMobile - medizinische Versorgung für die Ärmsten
Ottavio und seine Partner haben zur Schließung dieser Lücke das Konzept einer mobilen Arztpraxis entwickelt, die von Freiwilligen ehrenamtlich betrieben wird. Ottavio: „Unsere rollende Praxis besteht aus einem speziell für diesen Einsatz aufgebauten und eingerichteten Mercedes Benz 308 DP mit Kögel-Aufbau“, im Volksmund „Postkoffer“ genannt. Normalerweise werden Päckchen und Pakete mit diesen Fahrzeugen zugestellt. Nun helfen sie den Ärmsten der Armen.
Denn in
griechischen Flüchtlingslagern stellt das DocMobile
teilweise die einzige medizinische Versorgung der
„Refugees“ dar, etwa im
Yesiden-Camp. Unter ihnen
immer ein großer Anteil an
Kindern und Säuglingen.
„Da leben 90 Familien, und
da gab es vorher nichts“, so
Ottavio trocken. „Und da haben wir das DocMobile reingestellt“.
Hilfe, die offensichtlich
mehr als dringend benötigt
wird. Sogar Griechen – die
keine Krankenversicherung
mehr haben – kommen ins
Camp, um sich versorgen
zu lassen. „Wir schicken natürlich keinen weg“, erklärt
Ottavio.
„Wir kümmern uns buchstäblich um das Überleben
der Menschen, um Säuglinge und Kleinkinder, die
hungern“, so Ottavio, „um
Menschen, die an Killefitz-Krankheiten sterben, weil
es einfach keine Versorgung
gibt!“
Grundversorgung für über 1000 Menschen
Das DocMobile liefert neben medizinischer Versorgung auch Hygieneartikel - ebenfalls überlebenswichtig. Ein Problem ist auch der Nachschub spezieller Medikamente, da alles privat – von Spenden – angekauft werden muss. „Für die Grundversorgung haben wir für die Belieferung mit Medizin wir eine gute Connection aufgebaut. Was aber teuer ist, sind die spontanen Geschichten“, erläutert Ottavio.
Etwa der siebenjährige Junge, der an Epilepsie
leidet. „Er war vorher in Syrien medikamentös gut eingestellt. Auf der Flucht gab
es aber keine Medizin. Immerhin haben wir die passenden Medikamente in einer griechischen Apotheke
kaufen können – für einen
Aufpreis von 680 Prozent.
Marktwirtschaft!“
Auch der Bananenpreis
schwanke vor Ort inzwischen wie an der Börse. „Für
stillende Mütter brauchen
wir aber dringend Bananen.“
In einem weiteren Camp
leben zur Zeit 450 Babys. „Da
ist eine Palette mit Babynahrung
schnell weg“, so Ottavio lakonisch.
Umso mehr freut er sich
über eine Großspende, die
er kürzlich im Wendland
erhalten hat – letzlich einen
ganzen Container voller medizinisch verwertbarer Pro-
dukte und haltbarer Lebensmittel konnte Ottavio für das
DocMobile vor Ort entgegennehmen. Er ist „mehr als
dankbar“, dass die Spedition
Süßmilch aus Streetz den
Transport bis München ko-
stenlos übernommen hat.
Eine komplizierte Logistik
Von dort konnten die so dringend benötigten Güter mit NGOs weiter nach Griechenland transportiert werden, wo sie im „Warehouse“ bei Thessaloniki, einer Art Versorgungsstation für Hilfs-Organisationen, deponiert und verteilt werden. Die Idee des DocMobile geht auf den Uelzener Arzt Ijous Biezker zurück. Der hatte während der großen Flüchtlingswelle die „Flücht- lingszuflucht Hundertwasser“ organisiert und mit Freiwilligen zusammen in 100 Tagen rund 1000 gestrandeten Flüchtlingen auf dem Bahnhof im Winter geholfen. Nach den Grenzschließungen wollte Biezker weiter helfen. Er fuhr nach Idomeni und half in dem berüchtigten provisorischen Flüchtlingscamp.
„Da entstand letzlich die Idee mit der rollenden Arztpraxis“, erinnert sich Ottavio, der anfing, sich um die Logistik zu kümmern. Er spricht vom segensreichen Internet, von den tollen Möglichkeiten, die die Vernetzung bietet. Mit Spenden wurde das DocMobile gekauft, der raffi- nierte Umbau finanziert. Inzwischen bietet die rollende Arztpraxis ausreichend Platz für die Erstversorgung durch ein Team aus Arzt/Ärztin und Assistent/Assistentin, sowie genügend Helfen, wo es not tut.
Tag und Nacht einsatzbereit - durch ehrenamtliche Hilfe
Das
DocMobile verfügt über einen Defibrillator, über Ultraschall,
auch können kleinere Operationen durchgeführt werden. Ottavio über den Vorteil des Vor-Ort-Prinzips:
„Da unser Fahrzeug, wie der
Staffelstab beim Staffellauf,
immer vor Ort von einem
Team zum Nächsten gereicht wird und somit durchgehend im Einsatz sein kann,
werden Kosten für zum Beispiel An- und Abreise sowie
Fährkosten, gespart.“
Vor kurzem konnte sich
das DocMobile über prominente Hilfe freuen: Der Bruder des bekannten deutsch-iranischen Schriftstellers,
dem Friedenspreisträger
Navid Kermani, Dr. Khalil
Kermani, hat gemeinsam
mit seiner Frau Dr. Bita
Kermani, beides Ärzte aus Köln in Nordrhein-
Westfalen, ehrenamtlich auf
dem DocMobile gearbeitet. Auf Facebook hat Dr. Bita Kermani eindrücklich ihre
so dringend benötigte Arbeit
in den griechischen Camps
geschildert.
Alexander Ottavio bittet: „Wir brauchen Unterstützung in Form von Geldspenden, aber auch motivierte Menschen, die helfen können und wollen. Ärzte und Nicht-Mediziner gleichermaßen!“. Anfang September wurde der Verein "DocMobile Medical Help" gegründet, so dass das Orgateam über einen eingetragenen gemeinnützigen Verein arbeiten kann. Noch ist der Verein nicht eingetragen, weshalb die Spenden derzeit noch auf das Konto von Alexander Ottavio fließen - der betont, dass die Spenden zu 100 Prozent direkt an das DocMobile gehen: „Es verschwindet nicht ein Cent für Verwaltungskosten.“
Wer einen Beitrag leisten
möchte, kann spenden an:
IBAN: DE 62 25 86 19 90 00
88 55 76 00; BIC: GENODEF1CLZ; Kontoinhaber Ottavio;
Verwendungszweck: Spende
DocMobile.
Alle Infos: www.DocMobile.org
Fotos / Bita Kermani