Wie kann man das Leben auf dem Lande attraktiver machen? Das war die zentrale Fragestellung für 17 StudentInnen der HAWK Hildesheim. Am Freitag stellten sie in Lüchow Ideen und Konzepte für die Umnutzung eines großen Hofes vor.
"Man ist hier in einer anderen Welt - und das ist nicht immer schlecht," dieser spontane Satz eines Design-Studenten könnte als Motto für den ganzen Nachmittag im Lüchower Postlab stehen.
Er und weitere 16 KommilitonInnen der Hochschule für Angewandte Künste (HAWK) in Hildesheim hatten das Wendland zuerst an einem recht nebligen Tag erkundet. "Doch in den weitere Tagen lichtete sich nicht nur das Wetter, wir bekamen auch einen immer besseren Durchblick wie man auf dem Land leben und wie man das Leben auf dem Land attraktiver machen kann."
Auf ihrer Exkursion durch die Region entdeckten sie, dass es hier "schon eine ganze Menge Ideen, Modelle und auch Umsetzungen von ländlichem Leben" gibt. Am Beispiel eines vorhandenen Hofkomplexes in Kröte entwickelten sie Entwürfe für eine kreative Nutzung. Nun erhoffen die StudentInnen sich, dass ihre Ideen und Konzepte frische Impulse für die Region geben.
Ein drängendes Thema: die Umnutzung großer Höfe
Initiiert hatte das Projekt die Grüne Werkstatt Wendland. Begleitet wurde es von den Professoren Barbara Kotte und Günter Weber. Die Aufgabenstellung war, für einen ehemaligen landwirtschaftlichen Hof mit mehreren Gebäuden kreative Nutzungsideen zu entwickeln. Auf einem ha-großen Gelände stehen ein Wohnhaus sowie mehrere Nebengebäude unterschiedlichster Art - große Ställe und Scheunen ebenso wie offene Unterstände.
Über 100 Interessierte fanden sich zur Präsentation ein - Denkmalschützer ebenso wie leitende Verwaltungsbeamte, Besitzer von großen Höfen oder andere Kulturschaffende. Der große Andrang bewies erneut, wie sehr das Thema "Umnutzung von großen Höfen" auf den Nägeln brennt. Während die einen (Denkmalschützer und Interessierte an Baukultur) befürchten, dass immer mehr historische Höfe verfallen, suchen Andere (Besitzer der großen Höfe oder an alternativen Wohnformen Interessierte) neue Ideen für gemeinsames Wohnen und Arbeiten.
In fünf Blöcken stellten die StudentInnen ihre Ideen aus unterschiedlichen Perspektiven vor.
KRÖTEFESTIVAL
Anna-Lena Klensang (Innenarchitektur), Cathleen Kämpfe (Metallgestaltung), Elena Kelpe (Farbdesign) und Pascal Wedeken (Grafikdesign) wurden vor allem durch die Vielfalt der Nutzungsmöglichkeiten inspiriert. Sie stellen sich auf dem Gelände ein "Krötefestival" für ""große und kleine Kröten" vor. Aus dem Hof soll ein Zentrum für "Kunst, Musik und Action für die ganze Familie" werden. Mit Spielscheune, Bühne, Pizzeria, Workshop- und Arbeitsräumen sowie einer solidarischen Landwirtschaft.
Professionell visualisiert lieferte die Studentengruppe auch Vorstellungen von architektonischen Lösungen für das Nebeneinander von Wohnräumen und Ateliers oder Proberäumen. Mit im Gepäck auch Vorschläge für eine durchgestaltete Werbekampagne mit ansprechendem Logo, Werbemöglichkeiten und Merchandisingartikeln wie T-Shirts, Kleidung oder Taschen. Und überall tauchen Kröten auf.
Dabei muss Werbung nach den Vorstellungen der Studenten nicht immer teuer sein: warum nicht mal eine Bushaltestelle zum kreativen Hingucker umgestalten? Und witzige Taschen mit dem "Kröte"-Motiv dürften Selbstgänger sein.
ZoBo Kuben / Wensuchtsland
Dem Thema "Arbeiten" widmeten sich Neslihan Altug (Innenarchitektur), Julian Robert Körber (Digitale Medien), Vincent Timm (digitale Medien) und Max Gültig (Grafikdesign). Sie stellen sich in Kröte einen Pool von flexiblen Arbeitsplätzen vor. Durch den Zusammenschluss von mehreren Einzelanschlüssen in "Cubes" wird die schwache digitale Infrastruktur umgangen. Es ensteht ein leistungsstarkes WLAN-Netz, welches dem Einzelnan auch ohne Glasfaseranbindung Geschwindigkeiten von 300 Mbits/s ermöglicht.
Diese Grundidee der Vernetzung soll auch im Alltag verwirklicht werden. Die Nutzer der Arbeitsplätze tauschen sich aus, arbeiten miteinander oder lernen voneinander.
Auf einer Internetplattform "Wensuchts.land" werden die erarbeiteten Projekte vorgestellt, Mitmacher eingeladen.
Deine Auszeit im Wendland
Evgeni Cuncev (Grafikdesigner), Kjara Bohnenkamp (Innenarchitektur) und Björn Kendelbacher (Produktdesign) sehen den historischen Hof als Ort für eine Ruhepause, in der neue Kräfte getankt und Inspirationen gefunden werden können. Das Angebot richtet sich nach eigenem Bekunden an "Kreative, Individualisten, Macher, Flexible und Weltoffene". Freiberufler können die Räume als Home-Office nutzen oder Studenten als abgeschiedener Ort für Studienarbeiten. Auch als Stipendiatenstätte könnte der Hof wirken.
Spraakhuus
Eine Lehrstätte für ausländische Studenten stellen sich Julia Felicitas Franzmeier(Grafikdesign, Werbedesign), TahminehSezavar (Grafikdesign), Soyoung Park (Metallgestaltung) vor. 15,4 Millionen Menschen lernen alljährlich Deutsch als Fremdsprache. Die Nachfrage nach Sprachschulen sei groß, so die Studenten. Warum also nicht eine Sprachschule im Wendland etablieren, in der nicht nur die Sprache gelernt wird, sondern auch gleichzeitig Einblicke in "wendländisches Leben" möglich sind?
Veranstaltungen und andere Angebote wie gemeinsame Kurse sollen die "Einheimischen" mit den Lernenden in Kontakt bringen und so den Austausch befördern.
Krötentheater
Als ein Ort der Zusammenkunft und Kreation sehen Qi Jiang (Produktdesign), Viona Feulner (Innenarchitektur), Clara Happ (Grafikdesign) den Hofkomplex. Naturverbundene, umweltbewusste Kreative sollen den Hof gemeinschaftlich und nachhaltig bewohnen und ihn zu einem Anlaufpunkt für Theaterschaffende aus aller Welt machen.
Solidarisch bewirtschaftet wird ein Garten, der nicht nur die Bewohner mit frischem Gemüse versorgt. Und ein E-Lastenfahrrad fährt durch den Landkreis und sammelt alte Baumaterialien ein, die wiederum auf dem Hof verbaut werden.
Viele kreative Ideen warten auf Umsetzung
Auffällig war bei allen Konzepten, dass sie von gemeinsamem Wohnen, Arbeiten und Leben ausgehen. Gemeinsam untereinander - aber auch in enger Verbindung mit den Menschen aus der Region. Ein Umkehrtrend zum grassierenden Egoismus der Vorgeneration? Oder nur eine Vorgabe im wissenschaftlichen Prozess? Die Frage blieb am Freitag unbeantwortet. Es gibt aber Hinweise, dass in Zeiten, wo die Anzahl der Freunde im social media-Account mehr wert ist als reale Freundschaften, die Sehnsucht der jungen Generationen wächst, das Leben innerhalb einer verbindlichen Gemeinschaft zu verbringen.
Unabhängig davon waren an diesem Freitag im Lüchower Postlab so viele kreative Ideen zu hören, dass es manch Einen hinaus an die frische Luft trieb. Es wird wohl keines der Konzepte in Reinform umgesetzt werden, aber allgemein war aus dem Publikum zu hören, dass die Präsentationen viel Inspiration für weitere Überlegungen boten.
Ein E-Lastenfahrzeug, welches alte Baumaterialien für die Weiternutzung einsammelt? Eine Sprachschule für Deutschlernende, die lebendigen Kontakt zu Mensch und Region ermöglicht? Allein diese beiden Ideen sind es wert, genauer beleuchtet zu werden.
Und die professionelle Präsentation der StudentInnen sowie ihre schlichten, aber wirkungsvollen Ideen für Werbemaßnahmen dürften in so manchem Aktiven aus Verein oder Institution ein "Aha, so kann es also auch gehen" ausgelöst haben. Nicht nur in dieser Hinsicht haben die StudentInnen die Erwartung, frische Ideen für das Landleben zu entwickeln, voll erfüllt.
Weitere Informationen über die einzelnen Konzepte und Ideen bzw.Kontaktvermittlung zu den StudentInnen gibt es bei der Grünen Werkstatt Wendland.
Foto | Gerhard Ziegler: Unbelastet von Finanzierungsfragen und Realisierbarkeit stellten StudentInnen der HAWK Hildesheim am Freitag vor über 100 Interessierten ihre Ideen und Konzepte für ein lebendiges Landleben vor.