Thema: ddr

SED = Schlichtes Einheitsdesign

img |size=L |align=right }An im Westen weitgehend unbekannt gebliebene Produkte der DDR-Zeit will das am Montag eröffnete Projekt „Konsum Lüchow“ erinnern. In 25 Geschäften längs der Lüchower Hauptstrasse lassen sich noch bis zum 15. 11. „BeBo-Sher“,  „KoKo“ oder andere „Waren des täglichen Bedarfs“ begutachten.

Kennen Sie „BeBoSher“? Was klingt wie ein orientalischer Barbier war das DDR-Rasierzeug der Berliner Firma Bergmann Borsig. „Ministon“ dürfte in Westdeutschland erst recht unbekannt sein, war es doch die ostdeutsche Version der Empfängnis verhütenden „Pille“.

Diese und viele andere Standardprodukte der DDR-Zeit haben die Initiatoren der Schaufenster-Ausstellung – die Interessengemeinschaft Handel in Kooperation mit dem Museum Wustrow – zusammengetragen. Ca. 25 Geschäfte in Lüchows Innenstadt beteiligen sich an dem Projekt und stellten ihre Schaufenster zur Verfügung. Bei geführten Rundgängen informiert der ehrenamtliche Lüchower Stadtführer Ralf Hubo über die DDR-Waren-Welt.

Doch auch ohne die interessanten Nebengeschichten des gebürtigen Plaueners Hubo lassen sich die Schaufenster gut auf eigene Faust erkunden: informativ gestaltete Plakate erzählen Anekdoten und geben Auskunft über Geschichte und/oder Gebrauchswert der ausgestellten Produkte.

Sammelleidenschaft machts möglich

Möglich wurde die umfangreiche Ausstellung durch das Engagement des leidenschaftlichen Sammlers und Museumsleiters Rolf Meyer aus Wustrow. Schon Jahre vor der Wende schwamm ihm ein DDR-Produkt – eine alte Wittol-Dose – im wahrsten Sinne des Wortes vor die Füsse. Durch alle Grenzsperren hindurch hatte sich die ausgediente Plastepackung ihren Wege über die Jeetze in die Jeetzel gebahnt, um vor Rolf Meyers Füßen wieder aufzutauchen. „Dies war das erste Stück einer mittlerweile einige hundert Exemplare umfassenden Sammlung“, so Rolf Meyer in seiner Eröffnungsrede am Montag Abend auf dem Lüchower Marktplatz. Auch im Dienste der Bewahrung deutscher Designgeschichte sammelte Meyer Stück um Stück. Ob Frotteehandtuch, Tampons, Kondome, die „Pille“ oder „akzisefreier Alkohol“ - viele DDR-Fahrten von Nord nach Süd, von West nach Ost und einiges an „Zangsumtausch“-Geld waren nötig, um die umfangreiche Sammlung zusammen zu stellen. Dabei lernte Rolf Meyer auch die eigentliche Bedeutung der drei Buchstaben „SED“. Bezogen auf die „Waren des täglichen Bedarfs“ kursierte in der DDR der Witz, dass SED „Schlichtes Einheits Design“ bedeutet.

Rotkäppchen - d a s ostdeutsche Erfolgsprodukt

Nur wenige der ehemaligen Standardprodukte sind auch in Gesamtdeutschland „Einheits“-Produkte geworden. So konnte zum Beispiel der "Schaumwein" „Rotkäppchen“ seine DDR-Erfolgsgeschichte fortsetzen. Heute wird der legendäre Sekt von der Mumms Sektkellerei produziert. Ein deutliches Anzeichen für überwältigenden Erfolg: die Rotkäppchen-Sektkellerei war das erste - und bis heute so gut wie das einzige - ostdeutsche Unternehmen, das die in Westdeutschland renommierten Marken Mumms, Jules Mumm und MM Extra von einem kanadischen Konzern übernahm. Der Gesamtabsatz der Rotkäppchen-Mumm Sektkellereien lag im Jahr 2008 für die Bereiche Sekt, Spirituosen und Wein bei 198,9 Millionen Flaschen - 82,2 Millionen davon alleine „Rotkäppchen-Sekt“. Damit ist die EX-DDR-Marke heute mit einem Markt-Anteil von rund 27 % Marktführer des deutschen Sektmarktes.

Doch die meisten anderen Produkte waren schon zu DDR-Zeiten im Westen kaum bekannt – und sind seit seit der Wende meist nur noch im Museum zu bewundern. Bis zum 15. 11. sind einige von ihnen nun in Lüchower Schaufenstern zu besichtigen. Darüber hinaus kann die vollständige Sammlung "DDR-Konsum" mit über 1000 Exponaten zu den Öffnungszeiten im Museum Wustrow besichtigt werden. 

Einige Beispiele aus der Lüchower Schaufenster-Ausstellung:

Empfängnisverhütung
Die hier – neben DDR-Mondos-Kondomen – abgebildete DDR-Pille „Minisiston“ war eine Fortentwicklung der im Jahre 1965 zugelassenen Pille „Ovosiston“. Maßgeblich verantwortlich für die Einführung der Wunschkindpille war Prof. Dr. Karl-Heinz Mehlan. Erbetrieb Forschungen zur Empfängnisverhütung und war am Aufbau von Beratungsstellen und dem Bau der ersten Kondomfabrik der DDR in Gotha beteiligt.

Funk/Fernsehen:
VEB (Volkseigener Betrieb) Robotron-Elektronik Radeberg oder VEB Fernseh-gerätewerk Staßfurt waren nur einige der vielen Staatsbetriebe die nach politischem Auftrag 5 % der industriellen Warenproduktion als Konsumgut herstellen sollten. Doch eine optimale bedarfsorientierte Produktion mit Synergieeffekten war nicht möglich, die DDR wurde kein Konsumparadies.

Grubenhandtuch
Heinrich Mauersberger aus Limbach-Oberfrohna/Sachsen erfand ein 1949 patentiertes Nähwirkverfahren mit dem Gebrauchs-Textilien erheblich schneller produziert werden können als Webware. Das Textil, wie das Verfahren, wird „Malimo“ genannt, ein Kunstwort aus Mauersberger Limbach-Oberfrohna ...

Nähmagazine
In der DDR musste man – wie auf einem Schnittmusterbogen – nach Orten suchen, wo berstimmte Produkte zu kaufen waren. So soll es in Putlitz stets „Furz + Feuerstein“ gegeben haben.  Wer nicht hin- und herreisen konnte, ... bestellte seinen Klein-Garten oder schneiderte selbst. Sonderhefte enthielten ausführliche Anleitungen und Schnittmusterbögen – zum Beispiel für die „lieben Kleinen von 0 – 6.

Brillen
Was nutzten die besten optischen Instrumente mit Weltstandard vom VEB Carl Zeiss Jena, wenn Einblick und ausguck derselben verstaubt waren? Hier half das Brillen-Anti-Beschlag-Tuch „Klar Sicht“ des Herstellers „Rekord“ aus Plauen im Vogtland: Einfach im Gebrauch – Stets spiegelblanke Gläser – Verblüffend in der Wirkung. Und, da an den damit behandelten Gläsern keine Tropfenbildung stattfindet, selbst im Regen klare Sicht.

Schuhcreme
Der Volkseigene Betrieb VEB Wittol Lutherstadt Wittenberge stellte Reinigungs- und Schuhpflegemittel sowie Kerzen jeglicher Art her. Firmengeschichtlich war der Betrieb aus den Dr. Thompson-Seifenwerken und dem Sidol-Werk hervorgegangen.

Spee-Vollwaschmittel
Das Waschmittel Spee wurde seit 1968 im Volkseigenen Betrieb „VEB Waschmittelwerk Genthin produziert und vertrieben. Der Name steht für Spezial-Entwicklung. Schon kurz nach seiner Einführung wurde Spee zum meistgekauften Waschmittel in der DDR. Heute ist Spee eine Marke des Henkel-Konzerns und eine der wenigen ostdeutschen Waren, die sich nach der Wende in den alten Bundesländern durchsetzen konnten.

Bebo Sher
Schier unermesslich war die Worterfindungsgabe des sozialistischen Marketings, um aus Anfangsbuchstaben des Herstellers Bergmann-Borsig und dem – vermuteten – leicht verunstalteten deutschen Wort „scheren“ ein altaramäisch anumtendes Bebo sher zu kreieren.

Quelle für die Foto-Texte: Bildtafeln zu den ausgestellten Produkten / IHG / Museum Wustrow ....

 

{{tpl:inlineLB2 |ID=Y6ME7FTK1S}}

 

{{tpl:tocbox |style=width:60%;margin:6px; |hd=Mehr zu "Mauerfall" |bd={toc |dt=Wiki |groupID=wnet |public=1 |tags=mauerfall |max=10 |template=tpl:link-list }
}}




2009-11-03 ; von Angelika Blank (autor),

ddr   wiedervereinigung   mauerfall  

Kommentare

    Sie müssen registriert und angemeldet sein um einen Kommentar schreiben zu können