Gibt es noch Hoffnung? Letzte Woche durfte Albrecht von Sydow (dan-ke.org) zwei ausführlichen Gespräche mit Landrat Jürgen Schulz führen. Ein Telefonat letzten Dienstag und ein zweistündiges Treffen am Freitag. Seine Eindrücke aus diesem Gespräch sind vielfältig und im Ergebnis zwiegespalten. Ein Blogeintrag von Albrecht von Sydow.
Die Herausforderung für diejenigen, die den Kreis erhalten wollen, sind noch deutlich größer, als ich gedacht hätte. Ich bin davon ausgegangen, dass hierfür drei schwierige Hürden genommen werden bzw. Probleme gelöst werden müssen:
- die schwierige Finanzsituation des Kreises und der Samtgemeinden,
- die Uneinigkeit innerhalb der Kommunalpolitik und die fehlende Bereitschaft der Samtgemeinden effektiv zusammenzuarbeiten, und
- die Unwilligkeit der Landesregierung, eine kreiserhaltende Eigenentschuldung zu fördern und zu unterstützen.
Neben diesen “bekannten” Problemen, steht ein Kreiserhalt auch vor zwei weiteren Herausforderungen.
Zum einen stehen die kommunalen Spitzenverbände “kreativen” Lösungen kritisch gegenüber. Wenn eine nicht dem berüchtigten, vierzig Jahre alten “Leitbild” entsprechende Verwaltungsstruktur erhalten werden soll, müssen bestimmte Verwaltungsaufgaben eben anders, “kreativer”, wahrgenommen werden können, als es ein Leitbild vorsieht. Dieses Leitbild ist bestenfalls für einen Durchschnittskreis geeignet – und auch für diesen ist es nicht mehr zeitgemäß. Für einen Landkreis, dessen Bevölkerungs- und Flächenstruktur aber völlig anders aussieht als im Durchschnittskreis, ist eine Leitbildgerechte Verwaltungsstruktur definitiv ungeeignet. Sie wird nur im Interesse von Machtstrukturen aber nie im Interesse der Menschen durchgesetzt werden.
Sind kreative Lösungen überhaupt gefragt?
Für die kommunalen Spitzenverbände bedeuten “kreative Lösungen”, also heterogene, experimentelle Verwaltungsstrukturen, automatisch Verlust von Einfluss und Macht. Deswegen werden sie sich solchen Lösungen immer widersetzen. Und Jürgen Schulz hat sehr eindrücklich dargelegt, wie wirkmächtig diese Verbände auf Landes- und Bundesebene sind.
Zum zweiten haben die Parteien auf Landes- und Bundesebene unterschiedliche Vorstellungen davon, wie das Kommunalrecht reformiert werden sollte. Es sind sich zwar alle einig, dass es zu viele Hierarchie-Ebenen gibt. Aber während Schwarz-Gelb dazu tendiert, die derzeitige Struktur der (leitbildgerechten) Kreise zu erhalten und gleichzeitig Gemeinden und Samtgemeinden zu “Einheitsgemeinden” fusionieren möchte, will Rot-Grün die Kreise zu Großkreisen fusionieren und dafür aber die lokalen Gemeinden erhalten.
Strukturreform - bitte kein Wahlkampfthema!
Alle politischen Lager scheinen sich aber einig zu sein, dieses Thema nicht im Wahlkampf auf die Tagesordnung zu setzen, weil sie fürchten, dass es ihnen auf die Füße fallen könnte. Deswegen unternehmen sie auch keine Anstrengungen, die Frage der Verwaltungsreform in Lüchow-Dannenberg konstruktiv hochzukochen. Denn dann müßten sie sich positionieren – was sie nicht wollen. Als Folge dieser Unentschlossenheit, scheinen die parteigebundenen Abgeordneten in Kreis und Samtgemeinden in dieser Frage wie gelähmt zu sein. Und in dieser Passivität haben sie nur die Wahl, ob sie den Vorschlägen der Verwaltung folgen, oder aber den Gang vor Gericht suchen. Kreative und konstruktive Lösungen sind von ihnen nicht zu erwarten. Es spricht Bände, dass die Gartower UWG sich meines Wissens bis her als einzige politische Gruppierung eindeutig für den Kreiserhalt ausgesprochen hat.
Wir haben es also mit fünf schwierigen Problemen zu tun – nicht nur mit dreien. Viel Hoffnung hat mir der Landrat nicht gemacht. Es sei eigentlich schon zu spät und der Reformbedarf so groß, als dass der Kreis noch erfolgreich erhalten werden könnte. Aber es gab eine Reihe von konstruktiven Aspekten, die wir diskutiert haben.
Die Schranken in den Köpfen überwinden
Erstens ist die finanzielle Situation nicht ausweglos. Die Haushalte der Samtgemeinden und des Kreises sehen nicht so schlecht aus, dass eine Eigenentschuldung unmöglich wäre. Ganz im Gegenteil, die prognostizierten Entwicklungen sind teilweise sogar so gut, dass es für die Samtgemeinde Lüchow eventuell sogar offen ist, ob die Vorraussetzungen für eine Entschuldung nach dem Zukunftsvertrag überhaupt gegeben wären. (Vor diesem Hintergrund nimmt sich der Alleingang der Samtgemeinde Dannenberg als noch egoistischer aus.) Allerdings steht ausser Zweifel, dass Kosten eingespart werden müssten, um sich dem abzeichnenden Investitionsstau an Schulen etc. zuwenden zu können.
Zweitens sind die Beschränkungen des geltenden Kommunalrechts umgehbar. Über die Bildung von Kooperationsgemeinschaften – kreisintern zwischen den Samtgemeinden und in der Region mit anderen Kreisen – können dieselben Einsparungen und Synergien realisiert werden, wie über Zusammenlegungen und Fusionen. Gleichzeitig können die demokratisch legitimierten Strukturen erhalten bleiben.
Das Kommunalrecht selbst wurde laut Jürgen Schulz entwickelt, ohne dass die Zusammenarbeitsmöglichkeiten, die die Informationstechnologie und das Internet bieten, überhaupt ansatzweise absehbar gewesen wären. Auch entspricht es überhaupt nicht den heutigen Anforderungen einer “gelebten Bürgergesellschaft”, die – wie er anmerkte – von unserem Grundgesetz noch nicht einmal erwähnt, geschweige denn gefordert wird. Die Diskrepanzen zwischen den EU-Vorgaben, die regionale Förderprogramme mit offenen Bürgerbeteiligungsprozessen verschränken, und den im Kommunalrecht verankerten hierarchischen Verwaltungs- und Planungsstrukturen würden immer größer und immer schwieriger zu überbrücken. Er würde sich sehr freuen, wenn eine starke Bürgerbewegung im Wendland, die den Erhalt der Verwaltungsstruktur zum Ziel hat, auch konstruktiven Einfluss auf die Reform dieser Missstände nehmen würde.
Drittens sind die Schwierigkeiten, die einer kreiserhaltenden Verwaltungsreform entgegenstehen, teilweise rein analytischer Natur. Es fehlt verwaltungsintern an den Analyse-Werkzeugen, um nicht nur sektorelle Einsparungen zu veranlassen, sondern quer hindurch die Verwaltungsstrukturen überkommene Kostenpositionen zu identifizieren und einzusparen. Wenn die Bürgerinnen und Bürger laut und nachdrücklich die Entwicklung solcher Analyse-Werkzeuge einfordern würden und dafür auch die erforderlichen Budgets freigegeben würden, wäre den Bemühungen um die Optimierung der Verwaltungsstrukturen sehr geholfen.
Schließlich – und das stimmte mich dann doch hoffnungsvoll – könnte er sich theoretisch schon vorstellen, daß eine breite Bürgerbewegung, die nicht nur “Ja” zum Kreiserhalt sagt, sondern auch kreativ und konstruktiv dazu beiträgt, einen solchen zu ermöglichen, die genannten Widerstände überwinden könnte. Er hält es nur für praktisch sehr unwahrscheinlich, daß sich eine solche Bürgerbewegung rechtzeitig und schlagkräftig genug formieren wird.
Laßt uns ihn eines Besseren belehren!