Auf Antrag der - atomkritischen - „Gruppe X“ sollten am Donnerstag im Fachausschuss für „Atomanlagen und öffentliche Sicherheit" verschiedene Behördenvertreter Auskunft über die höhere Strahlenbelastung während des jüngsten Castortransports geben. Doch niemand der eingeladenen Vertreter erschien. So blieb die Einschätzung von Greenpeace der einzige inhaltliche Vortrag, auf den sich die Kommunalpolitiker stützen können.
„Das ist unglaublich, wie die Ministerien und Behörden mit uns umgehen“, schimpfte Kurt Herzog, Kreistagsabgeordneter für die Grüne Liste Wendland, und forderte, eine scharfe Protestnote zu formulieren, die dem Unmut des Landkreis-Gremiums Rechnung trägt. „Die Tatsache, dass alle beteiligten und für die Aufsicht zuständigen Behörden unsere Einladung abgelehnt haben, ist ein unglaublicher Affront gegen diesen Ausschuss, letztendlich gegen den Kreistag.“ Eingeladen waren unter anderem der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU), Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP), Vertreter des Eisenbahnbundesamtes und des Gewerbeaufsichtsamtes sowie der Einsatzleiter der Polizei, Friedrich Niehörster. Doch niemand der Eingeladenen hielt es für nötig, den Kommunalpolitikern in Sachen „höhere Strahlenbelastung“ vor Ort Auskunft zu geben.
Da die offiziellen Grenzwerte auch mit dem neuen Transportbehälter TN 85 unterschritten bleiben, sind sämtliche beteiligten Behörden offensichtlich der Ansicht, ihrer Pflicht Genüge getan zu haben.
Auch Greenpeace geht nach ihren eigenen Messungen davon aus, dass die für einen derartigen Transport zulässigen Grenzwerte „vermutlich“ nicht überschritten worden sind. Trotzdem: beim Transport 2008 wurde im Vergleich zum Transport 2005, der noch mit den alten „Castor“-Behältern durchgeführt wurde, eine 500-fach höhere Strahlenabgabe gemessen, also 40 – 45 % mehr. Das bestätigt im Wesentlichen auch das von Dipl.-Physiker Wolfgang Neumann erstellte Gutachten von Anfang November.
Greenpeace-Sprecher Thomas Breuer wies in der Ausschuss-Sitzung darauf hin, dass nach der Strahlenschutz-Verordnung ein „Minimierungsgebot“ gilt. „Es sind schon einmal wesentlich geringere Belastungswerte geschafft worden, siehe z.B. Transport 2005. Wenn für die jetzt stärker strahlende Fracht kein geeigneter Transportbehälter gefunden werden kann, der diese ehemals niedrigeren Werte garantiert, dann müssen die Transporte so lange ausgesetzt werden, bis ein geeigneter Behältertyp gefunden ist“, so Thomas Breuer.
Auch Kerstin Rudek, Vorsitzende der Bürgerinitiative Umweltschutz, war erschrocken über die „Ignoranz“ der Behördenvertreter. „Die Bevölkerung hier hat ein Recht darauf, detailliert zu erfahren, welchen Belastungen sie während des Transports ausgesetzt sind“, so die BI-Vorsitzende in der Sitzung. „Angesichts der beim Endlager-Symposium abgegebenen Versprechen, nun transparent und unter Beteiligung der Öffentlichkeit handeln zu wollen, schaffen diese Absagen kein Vertrauen.“
Für Dipl.-Physiker Wolfgang Neumann, der im Auftrag der grünen Europaparlamentarierin Rebecca Harms, ein Kurz-Gutachten erstellt hatte, ist einer der wesentlichen Punkte in der Bewertung der Strahlenbelastung, dass es seit Jahren über die Bewertung der biologischen Wirksamkeit von Neutronenstrahlung eine wissenschaftliche Auseinandersetzung gibt. So hat z.B. Prof. Kuni 1995 und 1997 veröffentlicht, dass der „Neutronengewichtungsfaktor beim Übergang von der physikalischen Energiedosis zur Strahlenbelastung" zu gering angesetzt wird. Für die offiziellen Berechnung wird 15 zugrunde gelegt, Kuni fordert 300 bis 600. Folgt man dieser deutlich kritischeren Berechnungsweise, so hat die Strahlenbelastung bei der Begleitung des Transports deutlich über den Grenzwerten (sogar für strahlenexponiert beschäftigtes Personal) gelegen.
Doch da Prof. Kuni sich mit seiner Sichtweise bisher offiziell nicht durchsetzen konnte, wird weiterhin mit den wesentlich niedrigeren Faktoren gerechnet. Somit liegen auch die Greenpeace-Messungen offiziell unter dem geltenden Grenzwert.
Dem Fachausschuss waren diese wissenschaftlichen Widersprüche sehr wohl bewusst. Da aber in dieser Frage kurzfristig keine Klärung herbeizuführen ist, musste sich das Gremium damit begnügen, weiterhin die Veröffentlichung aller durchgeführten Messungen sowie der Meßverfahren und Berechnungsmethoden zu fordern. Außerdem fordert der Ausschuss immer noch, dass alle jetzt angelieferten Transportbehälter noch einmal von einer unabhängigen Stelle nachgemessen werden dürfen. Minister Sander verweigert dies bisher mit dem Hinweis, dass er „keine weiteren Mitarbeiter einer Strahlenbelastung aussetzen wolle.“ Und von der Polizei wird Auskunft darüber verlangt, ob und wie die eingesetzten Beamten vor der erhöhten Strahlenabgabe geschützt worden sind.