Am Donnerstag ging es in der Plenarsitzung im Landtag hoch her. Schwarz-Gelb lehnte in Bausch und Bogen einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ab, in dem unter anderen gefordert wurde: Die Landesregierung möge sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass sofort mit der Suche nach alternativen Standorten für ein atomares Endlager begonnen wird.
Eben diesen Wunsch hatte Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) am 6. November 2010 in einem Interview mit der Zeitung „Die Welt“ geäußert. Und auch Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) überraschte in den vergangenen Wochen mehrfach in verschiedenen Medien mit der Forderung nach einer alternativen Standortsuche.
An der Regierungskoalition scheiterten dann zwei weitere Forderungen der Bündnisgrünen: Sie wollten die Landesregierung via Antrag bitten, sich für die Lagerung künftiger Castor-Behälter an denjenigen Atomkraftwerken einzusetzen, die den strahlenden Müll auch erzeugt haben. Und: Niedersachsen möge darauf drängen, dass der Bund die Kosten für weitere Castor-Transporte trägt.
Schon 1981: CDU-Minister warnt vor Nicht-Eignung
Doch nur das Thema Endlager-Standort war dann Gegenstand einer Debatte im Parlament, ehe Schwarz-Gelb den grünen Wünschen die Zustimmung versagte. Der Fraktionsvorsitzende der Landtagsgrünen, Stefan Wenzel, hielt Rückschau und zitierte eingangs aus einem Vermerk, den der damalige Sozialminister Hermann Schnipkoweit (CDU) 1981 an Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) geschickt hatte.
Darin heiße es, sowohl die hydrogeologischen Gegebenheiten im Deckgebirge als auch der innere Aufbau des Salzstocks bestätigten bereits früher geäußerte Zweifel an der Eignung - zumindest für die Lagerung hochradioaktiver Wärme entwickelnder Abfälle. Trotzdem habe Schnipkoweit weitere Untersuchungen gewollt. Nach Angaben der Physikalisch Technischen Bundesanstalt (PTB) werden diese Arbeiten etwa zehn Jahre in Anspruch nehmen, habe der Minister damals an Albrecht geschrieben. Im Jahre 1991 wollte man fertig sein, erinnerte Wenzel.
Grüne: Man wollte AKWs am Netz halten
Zwischenzeitlich habe man den Standort Gorleben trotz der schwerwiegenden hydrogeologischen und geologischen Mängel zu einem Teil der so genannten Entsorgungsvorsorge nach dem Atomgesetz und damit zu einem Teil der Betriebsgenehmigungen der laufenden Atomkraftwerke gemacht. Damit habe man Sachzwänge geschaffen, die jede weitere rationale Planung vereitelten. „Man wollte die Atomkraftwerke unbedingt am Netz halten, und deshalb brauchte es einen Ort, der als virtuelles oder auch als fiktives Endlager herhalten musste – und das war Gorleben“, resümierte Stefan Wenzel, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag.
„Polizei kurz vor der Meuterei“
An Ministerpräsident David McAllister (CDU) gewandt, sagte Wenzel: „Sie haben im vergangenen November erlebt, wie breit der Widerstand ist - von den Kirchen und Gewerkschaften bis zu den Initiativen und Umweltverbänden.“ Des Weiteren wisse der Regierungschef, wie teuer der Castor-Transport war und „dass die Polizei kurz vor der Meuterei stand, weil man den Konflikt auf ihren Schultern abgeladen hat“. Es stünden noch viele Castoren in der Republik herum, mahnte Wenzel, und jeder einzelne werde einen zentralen Konflikt auslösen, falls man ihn nach Gorleben schicke.
„Gorleben ist rechtsfreie Zone“
Auch an den Besuch von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) in Hitzacker erinnerte Stefan Wenzel und fragte: „ Ja, kennt denn der Mann die einfachsten Regeln des Anstandes nicht? Schon die Höflichkeit im Umgang miteinander gebietet es, dass man erst redet und dann entscheidet.“ Gorleben sei eine rechtsfreie Zone ohne Planfeststellung, ohne Umweltverträglichkeitsprüfung und ohne gesetzlich verbriefte Bürgerrechte.
Allerdings sei die Wucht des Widerstandes nicht ohne Wirkung geblieben auf die Mitglieder der Landesregierung in Niedersachsen, konstatierte Wenzel, denn: Im vergangenen Herbst seien von dort plötzlich neue Töne zu vernehmen gewesen: Umweltminister Heinrich Sander wolle „den Atommüll im Süden abstellen“, auch von David McAllister seien entsprechende Bemerkungen bekannt.
Und Innenminister Uwe Schünemann wollte ja sofort mit der Suche nach alternativen Standorten beginnen. „Wir haben ihre Worte vernommen und sie umgesetzt in einen Antrag“, bemerkte der Fraktionssprecher. Aber in den vergangen Wochen habe man erkennen müssen, dass den Worten aus dem Landeskabinett keine Taten folgten.
„Die Schreihälse aus dem Süden sind dran“
In Richtung Schwarz-Gelb rief Wenzel: „Sie haben einen gesellschaftlichen Großkonflikt ausgelöst, der Sie die Mehrheit in weiteren Bundesländern und auch die Mehrheit im Bundestag kosten wird bei den nächsten Wahlen.“ Niedersachsen sei seit Jahrzehnten die Müllhalde der Nation. „Es reicht! Jetzt sind endlich mal die Schreihälse aus dem Süden dran mit Verantwortung übernehmen; die Schreihälse, die nie genug bekommen konnten vom Atomstrom“.
Aus den schwarz-gelben Reihen, unter anderem von Karl-Heinrich Langspecht (CDU), wurde der Schwarze Peter in puncto Endlager Gorleben in Richtung Rot-Grün geschoben: Die damalige Koalition im Bund habe es zu verantworten, dass die Erkundungsarbeiten ausgesetzt wurden. Wegen zehnjähriger Untätigkeit habe die Bevölkerung noch immer keine Aussage zur Eignung des Salzstocks.
Kurt Herzog: CDU soll sich endlich Wissen aneignen
Kurt Herzog aus Dannenberg, umweltpolitischer Sprecher der LINKE im Landtag, griff die Worte von den zehn Jahren auf und sagte: Wer Norbert Röttgen beim Kreistag in Hitzacker erlebt habe, müsse feststellen: Sowohl für den Umweltminister als auch für nahezu die gesamte CDU reichten auch weitere zehn Jahre nicht, „um sich das endlich nötige Wissen anzueignen über die geologische Untauglichkeit des Salzstocks“. Es gebe Ausnahmen, zum Beispiel Innenminister Uwe Schünemann mit seiner Forderung nach sofortiger Suche alternativer Endlager-Standorte. „Ich hoffe, er wird dazu heute noch sprechen“, sagte Herzog im Plenum.
Der Bundesumweltminister – Herzog nannte ihn „Norbert der Nichtssagende“ - habe noch vor einem Jahr posaunt: Die bisherigen Ergebnisse in Gorleben sind positiv. Am Montag habe er jedoch in Hitzacker erklärt: Die Erkundung muss nachweisen, dass Gorleben ungeeignet ist - und er wolle nicht enteignen. Etwas leiser habe Röttgen hinzugefügt „während meiner Amtszeit“. Das sei leicht daher schwadroniert, meinte Herzog, bei Röttgens „Restlaufzeit“ von zweieinhalb Jahren, wo Enteignungen ja erst 2015 anstünden.
Neue Risse drohen bei Atommüll-Einlagerung
Nach den Wasserwegsamkeiten bis weit in die Tiefe, den Frostrissen und den verschwiegenen Gasvorkommen unterm Salzstock sei endgültig „die Katze aus dem Sack“, bekräftigte Kurt Herzog. Der Geologe Ulrich Schneider habe zunächst im Auftrag der Linksfraktion, dann für Greenpeace eine Arbeit erledigt, die eigentlich die dafür zuständigen Behörden hätten machen müssen: „Schneider wertete die Gesteinsproben der Gorleben-Bohrungen aus, und in jeder gab es Gas oder flüssige Kohlenwasserstoffe, und auch Gaseinschlüsse von außerhalb des Salzstockes, die nachträglich ins Salz eingewandert sind.“ Dies würde weiter geschehen, wenn unter dem Einfluss großer Hitze hochradioaktiven Atommülls und den daraus resultierenden großen Drücken neue Risse entstünden.
„Wendland will keine Atomfetischisten“
Röttgen habe die Wut des Wendlands gespürt, gab Herzog dem Landtag zu bedenken. Die Menschen dort „wollen keine unverbindlichen Plauderrunden, vollgepfropft mit Fakten-leugnenden Atomfetischisten“. Auch wolle man in Lüchow-Dannenberg „keinen Scheindialog, der die willkürliche Standortbestimmung nicht klärt, der die Manipulation außen vor lässt und der die geologische KO-Mängel leugnet“. Des Weiteren, so Herzog, wollten die Wendländer „keinen schwächlichen Minister, der in seiner eigenen Partei ständig überfahren wird und dem die Krachledernen aus dem Süden ständig die Bauklötze wegnehmen“.
Da nütze es auch nichts, wenn Norbert Röttgen „sich zum Schutzpatron des 2010 vom Castor-Transport geschluckten Dannenberger Kartoffelsonntags macht und vielleicht noch demnächst als letzten Trumpf einen großen Scheck nachschiebt. Das Wendland ist nicht käuflich!"
Uwe Schünemann schwieg
Kurt Herzogs Hoffnung, dass sich Innenminister Schünemann noch zu seinem Wunsch „sofort alternative Standorte suchen“ äußert, blieb am Donnerstag in der Landtagssitzung unerfüllt. Um den Standpunkt der Landesregierung zu vertreten, die auch ein Weitererkunden in Gorleben gut heißt, trat Umweltminister Heinrich Sander ans Rednerpult.