Andreas Conradt, Fotograf von publixviewing war am Wochenende auch im "Einsatz" auf der Hüttenbaustelle in Gorleben. Hier sein Kommentar zu den Geschehnissen ...
Ein Fingertip auf die Fernbedienung. Die Flimmerkiste ist aus. Der Tatort ist zuende. Wieder einmal war die Kripo erfolgreich, der Mörder ist eingelocht. Die beiden Polizisten waren brillant, und menschlich waren sie auch. Ein gutes Gefühl.
Moment mal! Vor ein paar Stunden war ich noch in Gorleben und habe mich furchtbar über die Polizei geärgert! Eine Kollegin raunte mir zu: „Auch nach dreißig Jahren regt mich das hier immer noch auf. Ich könnt‘ platzen!“ Stimmt!
Eigentlich weiß ich, dass eine Gesellschaft irgendeine Instanz braucht, die darauf achtet, dass die in dieser Gesellschaft geltenden Regeln auch eingehalten und notfalls durchgesetzt werden. Nichts anderes sollte unsere Polizei sein, und eigentlich möchte ich ein gutes Bild von eben dieser Polizei haben. Ich möchte sie in der Not alarmieren können und darauf vertrauen, dass sie mir aus dieser Not hilft. Ich möchte, dass sie Kinderschänder jagt, Waffenschieber, Steuerflüchtige und Mörder. Ich möchte, dass sie Raser ausbremst und Einbrechern Beine macht. Ich möchte, dass sie neutral bleibt, abwägt und, wenn niemand zu Schaden kommt, auch mal ein Auge zudrückt. Eigentlich möchte ich auch jeden einzelnen Beamten als Menschen und Menschenfreund sehen können, ihn respektvoll behandeln und ihn als Polizisten titulieren. So wie die Jungs im Tatort eben.
Eigentlich war das auch viele Jahre meines Lebens so. Oh, ja, ich war ein braver Bürger! Aber das nimmt ab, und zwar ausgerechnet deshalb, weil ich jetzt öfter mit der Polizei zu tun habe – nicht nur im Fernsehen.
Denn irgendwann kam mein Umzug ins Wendland. Seit dem muss ich immer wieder erleben, dass es häufig nicht die Demonstranten sind, die Schuld an Konflikten, Rangeleien und Gewalttätigkeiten haben. Oft, zu oft, werden diese Situationen von eben der Polizei provoziert, der ich doch vertrauen soll. Aber wie kann ich das, wenn ich erleben muss, dass junge Beamte völlig unprofessionell agieren und mutwillig provozieren, dass sie unvorhersehbar und ohne jeden erkennbaren Grund Schubsereien, Rangeleien und Pöbeleien beginnen und dass mit dem Mittel der körperlichen Gewalt unverhältnismäßig und leichtfertig umgegangen wird? All dies geschieht oft, zu oft, ohne jede Koordination oder gar mit der Billigung der jeweiligen Einsatzleitung. Da werden unsinnige „Maßnahmen“ durchgeführt, Pressevertreter behindert oder geschlagen und massenweise Gesetze übertreten. Nicht von den Demonstranten – von der Polizei...
Viele Atomkraftgegner hier im Wendland – auch Menschen aus dem so genannten Bürgertum – haben ein erschreckend schlechtes Bild von der Polizei. Viele sind, genau wie ich, erst im Laufe ihres Lebens nach Lüchow-Dannenberg gekommen und haben hier ihr ursprünglich positives oder neutrales Bild von der Polizei korrigieren müssen. Sie pflegen eine derbe Sprache, wenn von den Beamten die Rede ist – und häufig nur dann. Nicht selten reden sie von den „Bullen“, und eigentlich will ich ihnen das gar nicht nachtun. Nach den Erfahrungen der letzten Monate, nach den Erlebnissen in Gorleben heute wächst aber die Erkenntnis: Ich weiß täglich weniger, wie ich ihnen widersprechen soll.
Foto: Andreas Conradt
{{tpl:tocbox |style=width:60%;margin:6px; |hd=Mehr zu "Gorleben" |bd={toc |dt=Wiki |groupID=wnet |public=1 |tags=gorleben |max=10 |template=tpl:link-list }
}}