Sie sind bäuerlich-derb, vergeistigt oder sehnsüchtig. Die Taufengel in den wendländischen Kirchen haben besonderen Charme - und sind teilweise über 300 Jahre alt .
Vor 350 Jahren – Mitte des 17. Jahrhunderts - hatten die Menschen gerade dreißig Jahre Krieg überstanden – und es ging ihnen rundherum schlecht. Die Kriege hatten sie überlebt – aber es gab nichts zu essen, sie hungerten und froren, ihre Häuser und viele andere Gebäude waren zerstört – Krankheiten und Seuchen wüteten.
Zerstört und entweiht waren auch die
Kirchen. Bevor sie wieder für sakrale Feiern genutzt werden konnten,
mussten sie renoviert werden. Die lutherische Neuordnung der
Gottesdienste hatte Predigtgottesdienste eingeführt, die bis zu zwei Stunden und länger dauern konnten.
Das konnte man den Menschen, die
früher während der kirchlichen Feiern gestanden oder gekniet
hatten, nicht zumuten. Man wollte Sitzmöglichkeiten schaffen –
dafür wurde entsprechend freier Raum gebraucht.
Dann schwebten sie von oben herab ...
Also wurden unter anderem die oft monströsen, steinernen Taufbecken entfernt. Aber Taufbecken waren unerlässlich – nur: Was stattdessen? In dieser Situation hatte jemand die Idee, einen Engel mit der Taufmuschel in der Hand an die Kirchendecke zu hängen. Das gefiel den Menschen im Norden. Anscheinend entsprach es ihrer Sehnsucht nach anfassbaren Symbolen, nach gewohnter Bildhaftigkeit. Die ersten Taufengel tauchten im Ostpreußischen auf - und verbreiteten sich ziemlich schnell über den ganzen Norden bis in die Niederlande.
Die Entscheidungshoheit für die Kirchenausstattung lag damals bei den Patronatsherren. Das waren in den ländlichen Regionen oft der Landadel, die Großgrundbesitzer. Die waren größtenteils Anhänger des aufkommenden Pietismus. In deren Weltanschauung passte durchaus ein von der Decke herabschwebender Himmelsbote. Insofern wurde die Verbreitung der Taufengel auch von den Patronatsherren unterstützt und breitete sich überwiegend in ländlichen Regionen aus.
Nach den langen Kriegsjahren
symbolisierte der Engel für die Menschen wahrscheinlich auch die
Hoffnung auf Frieden, auf bessere Zeiten. Engel werden auch oft als
Friedenboten gesehen.
Trotz Kirchenverbot blieben viele Engel erhalten
Mitte des 19. Jhds. (1846) entschieden die Kirchenführer, dass die Engel zu entfernen seien, da sie aus ihrer Sicht die Kirchenräume entstellten und einen unangenehmen Eindruck machten. Eigentlich sollten sie vernichtet werden – aber zum Glück kamen dem nicht alle Gemeinden nach, hängten die Taufengel wohl ab – aber versteckten sie. Jahrzehnte lagerten sie auf Dachböden, in Scheunen, waren vergessen – tauchen aber jetzt langsam wieder auf.
Im Wendland gibt es aktuell sechs in Gebrauch befindliche Taufengel (Meuchefitz, Nahrendorf, Restorf, Satemin, Schnackenburg, Zeetze) und im Uelzener Kirchenbereich einen (Marienkirche in Molzen). So unterschiedlich diese Engel in ihrem Aussehen sind, gibt es einige Gemeinsamkeiten. Sie sind alle aus Holz geschnitzt – von leider inzwischen unbekannten Künstlern. Nur in Schnackenburg weiß man noch den Spender. Sie sind gut 150 cm lang und in wallende barocke Gewänder gehüllt. Alle Taufengel sind farbig und mit mehr oder weniger Goldanstrich versehen. Bei dreien von ihnen ist die Taufmuschel gestaltet wie eine Jacobsmuschel.
Eine Ausnahme bildet der Molzener
Taufengel. Statt der Taufmuschel hält er ein Spruchband in der Hand,
auf dem steht: „Ein Gott, ein Glaube, eine Taufe.“ Den
Tauffeierlichkeiten schaut er aus seiner schwebenden Höhe lediglich
zu.
Fotos | Dörthe Uhlendorf: Taufengel geben sechs wendländischen Kirchen eine besondere Atmosphäre.