Empörung löste bei Castorgegnern die Ankündigung des Niedersächsischen Umweltministeriums aus, in den nächsten Tagen den für November geplanten Castortransport genehmigen zu wollen. Zuvor hatten Vertreter des NMU den Umweltausschuss des Landtages in Lüchow über die aktuellen Messergebnisse informiert.
Lautstark protestierten Castorgegner vor dem Sitzungssaal im Kreishaus, als bekannt wurde, dass das NMU trotz aller Unsicherheiten über überhöhte Strahlungswerte am Gorlebener Zwischenlager den für November geplanten Transport mit hoch radioaktivem Abfall "in den nächsten Tagen" genehmigen werde.
"Wie wollen Sie diese Entscheidung der Öffentlichkeit erklären?", versuchte nicht nur BI-Vorsitzende Kerstin Rudek eine Aussage zu der NMU-Entscheidung zu bekommen. Doch die Vertreter des Ministeriums, Referatsleiter Hans-Christoph Salfeld und einige seiner Mitarbeiter, hatten es vorgezogen, sich den Fragen der Öffentlichkeit nicht zu stellen und waren kurz nach der Sitzung verschwunden. Statt dessen informierte eine Pressemitteilung die Öffentlichkeit über die Sichtweise des Ministeriums.
Lediglich Karin Bertholdes-Sandrock, als hiesige CDU-Abgeordnete Mitlied im Umweltausschuss, verteidigte den Beschluss, wurde aber von enttäuschten Castorgegnern verbal hart angegangen. Auch sie verließ daraufhin recht schnell das Kreishaus. Aus der (nichtöffentlichen) Sitzung wurde berichtet, dass Bertholdes-Sandrock dort nachgefragt habe, warum denn der Grenzwert nicht hochgesetzt würde, das "würde doch Probleme ersparen".
Landkreis prüft Klagemöglichkeiten
Der LINKE-Abgeordnete Kurt Herzog, Umweltpolitischer Sprecher seiner Fraktion, wiederholte, wie er das Vorgehen bewertet: "Hier wird manipuliert, geschönt und hingerechnet, so lange bis es passt. Das Ganze ist noch verbunden mit der Unmöglichkeit, dagegen zu klagen - ein einziger Skandal."
Der Atomausschuss des Landkreises hatte in seiner letzten Sitzung beschlossen, gegen die Einlagerungsgenehmigung zu klagen bzw. zu prüfen, welche Klagemöglichkeiten der Landkreis hat. Doch Landrat Jürgen Schulz ist skeptisch, dass eine Klage Erfolg haben wird: "Nach den uns bis jetzt vorliegenden Rechtsauskünften wird eine Klage wahrscheinlich gar nicht zugelassen, da wir nach Rechtsansicht nicht betroffen sind." Ein Zustand, der Landrat Schulz auch deswegen höchst unzufrieden macht, weil die zuständigen Stellen den Landkreis auch ansonsten in Gorleben-Fragen kaum einbeziehen. "Selbst für den Landkreis so wichtige Fakten wie die womögliche Überschreitung der Grenzwerte in Gorleben erfahre ich zuerst aus der Presse", so Schulz am Montag. "Da gibt es deutlich Verbesserungsbedarf."
Das NMU hatte dem Landrat zwar erst unlängst versprochen, dass sich in Sachen Kommunikation etwas ändern würde, doch lt. Schulz hat sich bisher "nichts getan".
Ergänzung: Irritiert zeigte sich Landrat Schulz auch über die Begründung für die durch die PTB angenommene Hintergrundstrahlung: "Wenn der Umgebungswahll Tschernobyl-belastetes Material enthält und der Schotterweg ebenfalls strahlt, so frage ich mich, warum ein solches Material für ein so sensibles Objekt wie das Zwischenlager überhaupt eingesetzt wurde." Außerdem stelle sich die Frage, wieso diese Tatsache erst jetzt durch die PTB-Messungen bekannt geworden ist.
Grüne: Manipulationsverdacht erhärtet
Auch für die Landtags-Grünen hat sich nach Ansicht des Grünen-Fraktionsvorsitzenden Stefan Wenzel der "Verdacht einer Manipulation der Messwerte" erhärtet. Es gebe Hinweise auf eine schon länger anhaltende Überschreitung der Messwerte für die radioaktive Strahlung. So seien im Jahresbericht 2010 zur Umgebungsüberwachung die Messwerte an dem Referenzmesspunkt für natürliche Hintergrundstrahlung im Weißen Moor bei Gorleben nicht eindeutig ausgewiesen worden.
Auf Nachfrage hätte das Ministerium auch am Montag keine Neutronen-Messwerte von TÜV und Physikalisch-Technischer Bundesanstalt (PTB) für den Messpunkt im Weißen Moor nennen können. Für den Gamma-Wert der Messung sei auf 169 Seiten nur eine einzige Zahl aufgeführt, die jedoch in die Analyse für den wichtigen "ungünstigen Aufpunkt" nicht einfließen würde.
Die Herausgabe der entsprechenden Werte des Niedersächsischen Landesamtes für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) für die Vorjahre hatte der Staatssekretär vor der heutigen Sitzung mit dem Hinweis auf ein kompliziertes Verfahren verweigert.
Offen sei auch weiterhin, wie genau und aufgrund welcher Genehmigungsgrundlage die Castoren im Zwischenlager umgestellt wurden, sagte Wenzel. Insgesamt sind 19 Castoren umgestellt worden. Dies erfolgte angeblich nur aus Gründen des Terrorschutzes, gleichzeitig wurde vom Betreiber, der Gesellschaft für Nuklearservice (GNS), aber eingeräumt, dass die Maßnahme auch eine Absenkung der Strahlenbelastung am Kontrollpunkt zur Folge habe.
Wenzel: "Indizien deuten darauf, dass der Genehmigungswert für die Strahlung schon länger überschritten wurde!" Der Betreiber habe sich aber offenbar zur Verschleierung entschieden, weil er fürchtete, dass die Beantragung einer Änderungsgenehmigung zu Protesten geführt hätte. "Wenn sich herausstellt, dass die niedersächsische Atomaufsicht geschlampt oder sogar bewusst weggeschaut hat, dann haben wir es mit einem handfesten Skandal zu tun. Klar ist schon jetzt, dass die Rechtsgrundlagen und die Genehmigungsgrenzwerte keinen weiteren Transport zulassen!", sagte der Grünen-Politiker.
Foto: Angelika Blank / Direkt vor dem Sitzungssaal hatten Castorgegner ihren Protest in Bild und Schrift aufgebaut.