Thema: finanzkrise

Über die Toten nichts Schlechtes!

Daß er, der sonst half und so hoch geachtet wurde, jetzt keine solche Hilfe entdeckte, daß er auf das Ausbleiben von Solidarität und verletzende Kommentare stieß, muß ihn im Innersten verwundet haben.
Ex-Landesbischof Gerhard Maier in seiner Totenpredigt für „das prominenteste Opfer der Finanzkrise“.

Es gibt wohl, außer vielleicht den diplomatischen Dienst, keinen Bereich des menschlichen Lebens, in dem so viel gelogen wird wie bei Nachrufen. So auch im Fall Adolf Merckle. Der hatte sich am 5. Januar in seinem Heimatort Blaubeuren vor einen Regionalzug geworfen. Was darüber in großen und kleinen Zeitungen zu lesen war, ist an Heuchelei kaum zu überbieten. Da war die Rede von „der großen Unternehmerpersönlichkeit“ mit seinem verschachtelten „Imperium“, welches sein „Lebenswerk“  gewesen sei und dessen drohender Zerfall den Mann „zerbrochen“ habe.

Merckles Familie formulierte es so: „Die durch die Finanzkrise verursachte wirtschaftliche Notlage seiner Firmen und die damit verbundenen Unsicherheiten der letzten Wochen sowie die Ohnmacht, nicht mehr handeln zu können, haben den leidenschaftlichen Familienunternehmer gebrochen, und er hat sein Leben beendet.“

Was die so herrlich anonyme „Finanzkrise“ alles kann! In Wahrheit ist es umgekehrt: Adolf Merckle ist einer derer, die die Finanzkrise fabriziert haben. Denn sein Lebenswerk geriet in Gefahr, weil sich „der Unternehmer alten Schlages“ an der Börse, vor allem mit VW-Aktien, verzockt hat – man munkelt von einer Milliarde Euro Verlust. Trotzdem verkündete er zunächst, daß er eben ein Spieler sei, und im übrigen wäre alles halb so wild.

Doch hinter den Kulissen bemühte er sich um Kredite, um sein Imperium – ein Gemischtwarenladen aus, unter anderem, Pharma- und Baustoffirmen, aus Forstbetrieben und einem Hersteller von Pistenraupen – zu retten. Spätestens da hätte einer unserer klugen Wirtschaftsjournalisten vielleicht mal darauf hinweisen können, daß es schon etwas merkwürdig ist, wenn ein Mann mit geschätzten 9,2 Milliarden Dollar Privatvermögen wegen ein paar hundert Millionen in Schwierigkeiten sein soll.

Doch so nach und nach stellte sich heraus, daß die Merckle-Firmen mit rund 20 Milliarden Euro in der Kreide stehen, daß dringend Geld nötig ist, um Zusammenbrüche zu verhindern, daß jedoch die Kredite – welch Zumutung! – nur gegen Sicherheiten vergeben würden.

Also sollte der arme Mann die eine oder andere Firma seines Imperiums verkaufen. Das aber hat „die große Unternehmerpersönlichkeit“, so jammert’s aus den Nachrufen, ebensowenig verkraftet wie die „Ohnmacht, nicht mehr“ (unumschränkt) „handeln zu können“.

Wer wirklich etwas über den Verstorbenen erfahren will, muß schon in früheren Artikeln nachlesen, zum Beispiel im „Manager Magazin“, Januar 2004: „Adolf Merckle sammelt Unternehmen wie andere Uhren, sein Firmenreich regiert der Milliardär mit einer Hand voll Getreuer. Das Geschäftsmodell basiert vor allem darauf, Gewinne zu verschieben und Steuern zu minimieren.“

Und weiter: „Familienoberhaupt Adolf führt seinen Konzern wie ein Industrieller seine Fabriken im vorigen Jahrhundert: Wer für ihn arbeiten will, muß ihm treu ergeben sein. Rechthaberisch und streitsüchtig legt sich der Rechtsanwalt mit fast jedem an, der aufmuckt. Merckle führt Prozesse wie andere Tagebuch. Kaum eine List, kaum eine Trickserei, die der raffinierte Winkeladvokat nicht schon genutzt hat, um sein Geld zu mehren.“

Das hört sich schon nicht mehr ganz so verlogen an. Herr Merckle hat in seinen Firmen also geherrscht, wie es sich für einen Patriarchen der ganz alten Schule gehört. Er ließ sich von niemandem reinreden, nicht von kreditgebenden Banken und auch nicht vom Staat, den er um jeden Steuercent – natürlich völlig legal – beschummelte. Das schien so lange nicht zu interessieren, wie der Laden halbwegs rund lief. Schon mehr von öffentlichem Interesse schien, wie man lesen konnte, zu sein, daß der Herr Merckle ein so bescheidenes Leben geführt habe: gelegentlich wurde er gar auf dem Rad statt in einer Limousine durch den Heimatort fahrend gesehen – so was putzt auf der sparsamen und häuslebauenden Schwäbischen Alb ungemein.

Und keine Frage: Jeder hat das Recht, sein Leben zu beenden, wann es ihm beliebt und egal, ob das andere als feige empfinden oder nicht. Doch wenn ein Mann, der unter anderem eine Firma namens „Ratiopharm“ und säckeweise Geld besitzt, aus dem Leben scheiden will, dann gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, das weitestgehend  mit sich selbst abzumachen. Der aus der Ravensburger Fabrikantenfamilie Spohn stammende Merckle aber zog es vor, dafür zu sorgen, daß noch möglichst viele etwas von seinem Tod haben. Er ging nach Büroschluß zur nahe gelegenen Regionalbahn und warf sich vor den Zug, so daß seine Überreste erst durch einen DNA-Test zweifelsfrei identifiziert werden konnten.

Adolf Merckle ist gestorben, wie er gelebt hat: ohne Rücksicht auf irgendwas, auf Steuerrecht, Angestellte, eigene Familie – und schon gar auf Sanitäter Lokführer und die Feuerwehrleute, die ihn von den Schienen kratzen mußten. Wenn dieser Lebenslauf uns jetzt als vorbildlich, weil erfolgreich und bescheiden, verkauft wird, dann sagt das mehr über Ideale und Bewußtseinszustand dieses Landes und seiner Meinungsmacher aus als alle Studien von Soziologen und Psychologen zusammen. Vor allem aber warte ich auf die Nachrufe auf all die Hartz-IV-Empfänger, die verzweifelt aus dem Leben treten.

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2009-01-27 ; von Stefan Buchenau (autor),

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