Angelika Blank besuchte als
Bürgerin die "Dialog"-Veranstaltung der AfD in Salzwedel - und war entsetzt. Ein Erlebnisbericht.
Zugegeben, etwas mulmig ist mir schon,
alleine eine AfD-Veranstaltung zu besuchen - zumal als Thema "Linksextremismus bekämpfen" (o.s.ä.) aufgerufen ist.
Umso mehr bemühe ich mich, einen
bürgerlichen Eindruck zu machen, um nicht gleich als
"linksextremistisches Subjekt" des Saales verwiesen zu werden. Wie
berechtigt diese Vorsicht war, zeigt sich, als ich an die
Polizeischleuse komme. Hinter den (vermummten) Polizisten gibt ein
AfD-Mitarbeiter per Handzeichen das Signal, ob der Zutritt genehm ist
oder nicht. Glücklicherweise ist mein Gesicht in Salzwedel nicht
bekannt. Ich werde hineingelassen.
Im Foyer bedient die AfD-Organisation alle
Klischees, die gegenüber der Partei bestehen: rund ein Dutzend
breitbeinige Muskelpakete mit stumpfem Gesichtsausdruck mustern alle Gäste misstrauisch und signalisieren allein durch ihre Körperhaltung,
dass sie auch zu Körpereinsatz bereit sind, falls jemand aufmüpfig
werden sollte. Die Taschenkontrolle an der Saaltür ist natürlich auch
obligatorisch.
Aber irgendwie kein Wunder, dieser
Aufmarsch an Security. Wie man der Einladung entnehmen konnte, ist die
AfD anscheinend davon überzeugt, dass im Lande gefährliche " linksextremen
Seilschaften" existieren, die "bis in die höchsten Ebenen der Politik"
reichen. Und da draußen stehen ja viele, viele dieser
"Linksextremisten", die unverschämterweise gegen die AfD-Veranstaltung
protestieren. Später wird sich herausstellen, dass sich über 1000
Demonstranten vor dem Kulturhaus zusammengefunden hatten.
Und die sind gefährlich: sie trommeln, sie
halten Transparente hoch, sie buhen, wenn ein erkennbarer AfD-Funktionär
oder -Sympathisant vorbei kommt. Es ist nicht eindeutig belegt, aber
kurz vor Beginn der Veranstaltung ist anscheinend ein Bus mit AfD-Fans
aus Magdeburg von Protestierern blockiert worden. Die Polizei
widerspricht dem zwar später. Aber im Saal tauchen mehrere aufgeregte
Frauen auf, die um Hilfe bitten, "weil wir aufgehalten werden".
Drinnen füllt sich der Saal. Letztendlich
sind es rund 400, die sich für die Thesen der AfD-Vorderen
interessieren. Ihr Idol Björn Höcke begrüßen sie mit frenetischem Jubel
und Standing Ovations - zumal der Arme ja die letzten Meter mit einem
gepanzerten Wagen zur Veranstaltung gefahren wurde. Ob das wirklich
notwendig war oder Wunsch des Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag
bleibt im Dunkeln. Aber es passt den Organisatoren gut ins Konzept,
dass es Probleme gibt. "Da draußen sehen wir eindrücklich, warum das
Problem 'linksextremistische Gewalt' kein aufgebauschtes ist," dröhnt es
von der Bühne. Die Lautsprecher sind so laut eingestellt, dass auch vor
der Saaltür noch jedes Wort verstanden werden kann.
Wer sind diese Leute?
Ich versuche herauszufinden, wer mit mir da im Saal sitzt. Auf den ersten Blick sind es alles Leute, die mir jeden Tag begegnen könnten: als Kassiererin, als Landwirt, Handwerker oder Büroangestellte. Frauen sind wenige da - und wenn, dann gehört meist ein Mann um die 50 dazu. Einige smarte, junge Männer versuchen eifrig, Kontakt zu den "Oberen" aufzunehmen. Aber all diese Menschen werden mir im Verlauf der Veranstaltung immer fremder. Ihre Begeisterung für Björn Höcke, den man nach einem Gerichtsurteil "Faschist" nennen darf, ihr begeistertes Klatschen auch bei den unglaubwürdigsten Behauptungen befremdet mich. Was treibt diese Menschen um? Ich werde es an diesem Abend nicht herausfinden.
Die Vorträge der eingeladenen
Parteivorderen aus Land und Bund sind inhaltlich nicht weiter
bemerkenswert. "den linken Sumpf trockenlegen", "finanzielle Basis
entziehen", "Gemeinnützigkeit aberkennen", "der Staat ist auf dem linken
Auge blind", "wir werden ungerecht behandelt", "man wird uns ernstnehmen müssen" sind die
eintönigen, immer wiederkehrenden Ansagen.
Bei der These, dass der Verfassungsschutz auf dem linke Auge
blind sei, muss ich innerlich grinsen. Wie war das noch? Seit es den
Gorleben-Widerstand gibt, wird beklagt, dass die
Verfassungsschutz-Berichte überwiegend eine Gefährdung aus der linken
Ecke sehen - aber Rechtsradikalismus weitestgehend verharmlosen. Andreas Kalbitz (Fraktionsvorsitzender der AfD im Brandenburger Landtag) merkt
gar nicht, dass er mehr oder weniger die gleichen Argumente bringt wie
Generationen "Linker" vor ihm - nur eben mit anderen Vorzeichen.
Aber klar, ich verstehe. Der oberste Berater der AfD, Hans-Georg Maaßen,
ehemals Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, war im
November 2018 in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden, weil er
eine Hetzjagd auf einen ausländisch aussehenden Mann geleugnet hatte.
Was heißt hier linksextremistisch?
Mir wird immer mulmiger. Ob ich vielleicht
doch lieber mitklatsche, wenn die Masse frenetisch jubelt? Vielleicht
ist langsam auch von außen zu erkennen, dass ich entsetzt bin. Entsetzt
von soviel Platitüden und wild zusammengewürfelten Behauptungen, die
immer nur eines sagen: da draußen lauert eine linksextremistische
Gefahr, die das ganze Land durchzieht.
Es beschleicht mich das ungute Gefühl, dass
ich von all diesen AfD-Anhängern vermutlich auch als
linksextremistische Gewalttäterin eingestuft werde. Immerhin habe ich ja
auch schon auf der Straße gesessen und gegen Castortransporte
demonstriert. Versucht, auf dem Boden liegende Demonstranten gegen auf
sie eintretende Polizisten zu schützen. Versucht, eine Gruppe
schlagbereiter Bundespolizisten von ihrem Angriff auf Demonstranten
abzuhalten. War das linksextremistische Gewalt?
Ist es linksextremistische Gewalt in einer
Beratungsstelle für die Opfer rechtsradikaler Übergriffe zu arbeiten?
Oder eine "Jugendkultur-Etage" zu betreiben, in der Jugendliche sich
musikalisch betätigen und ihre eigenen Bands aufbauen können? All diese
Initiativen, die im Miteinander e.V. vernetzt sind (u.a. Kreissportbund Salzwedel, Kickerfreunde
Salzwedel, Aktion Musik Evangelisches Landjugendzentrum, Kreissportbund
Altmarkwest, Sekundarschule Klötze, Jeetze-schule Salzwedel )
soll nach Vorstellungen der AfD der finanzielle Boden entzogen werden.
Die Gemeinnützigkeit soll aberkannt und so der "Sumpf
linksextremistischer Gewalt" ausgetrocknet werden. Überhaupt ist der Miteinander e.V. besonders im Visier der AfD-Oberen. Allein der Aufruf zur Anti-G-20-Demonstration reicht ihnen schon aus, den Verein als linksextremistisch abzustempeln.
Ovationen für den Star
Nach über einer Stunde betritt Björn Höcke unter frenetischem Jubel
das Rednerpult und besetzt ein Zitat Hendryk M. Broders in seinem Sinne
("Deutschland ist ein Irrenhaus. Könnte man die Bundesrepublik
überdachen, wäre es eine geschlossene Anstalt.“ ). Gleichzeitig
empfiehlt Höcke dringlich die Lektüre des Buches "Der Links-Staat:
Enthüllt: Die perfiden Methoden der »Antifa« und ihrer Helfershelfer in
Politik und Medien". Da habe ich endgültig genug.
Ich ertrage
es nicht mehr, in einem Saal voller selbstgerechter AfD-Anhänger zu
sitzen, die haltlos alles beklatschen, was auf dem Podium geredet wird.
Ich weiß nicht, was das für ein Verein "Miteinander e.V." ist, dem
staatliches Geld entzogen werden soll. Kennen ihn die, die im Saal
sitzen und der Absicht, dem Verein die staatliche Finanzierung zu entziehen,
begeistert zuklatschen?
Die unübersichtlichen Zahlenspiele,
die auf dem Podium über die Statistiken links- und rechtsradikaler
Gewalttaten gemacht werden, kann ich auf die Schnelle nicht
nachvollziehen, geschweige denn überprüfen. Können es die, die um mich
herum so begeistert klatschen?
Oder die Nennung einer Linken
Landtagsabgeordneten, die "seit 120 Semestern irgend etwas Sinnfreies
studiert" und angeblich Linksextremisten unterstützt. Im Internet ist
der Name nicht zu finden - weder als Abgeordnete des
sachsen-anhaltinischen noch des brandenburgischen Landtags noch als
Bundestagsabgeordnete. Aber egal, wird schon
stimmen, was der Fraktionsvorsitzende da oben behauptet.
Und
so weiter, und so weiter. Es wird geklatscht, was die Finger hergeben.
Egal, ob es stimmt, was von der Bühne herunterdröhnt, egal ob es glaubwürdig ist. Ich befürchte, dass wenn vom Podium die Frage "Wollt Ihr den totalen
Krieg gegen Linksextremisten?" gestellt würde, wird der ganze Saal
begeistert "Ja" schreien. Die Frage wurde - zumindest in meiner
Anwesenheit - nicht gestellt. Doch was uns erwartet, wenn die AfD
tatsächlich Regierungsmacht bekäme, macht mir Angst.
Was ist eine "wirkliche" Demokratie?
Höcke hält nicht damit hinterm Berg was der AfD-Plan ist: "... Unsere Demokratie befindet sich in einer Schieflage und es ist unsere Aufgabe, diese Demokratie, die schon stark
geschädigt worden ist, wieder in eine wirkliche Demokratie zu
wandeln." Wie diese aussehen soll, führt Höcke nicht weiter aus. Aber das kann man im Parteiprogramm für Sachsen-Anhalt nachlesen. Hier nur ein Auszug: Kündigung aller Rundfunkstaatsverträge (da sie mit Steuergeldern ein einseitiges(linkes) Programm liefern), der § 130 Strafgesetzbuch (Volksverhetzung) soll durch den Begriff "die Deutschen als Volk" ergänzt werden. Flüchtlingskinder sollen in Sonderklassen abgeschoben und das "Aktionsprogramm zur Akzeptanz von Lesben, Schwulen .... soll sofort beendet werden usw. ...
Das
Schlimme sind nicht die Demagogen auf dem Podium. Die können nur etwas
werden, wenn sie in der Bevölkerung ein Echo finden. Was mich entsetzt, dass hunderte - augenscheinlich "ganz normaler" Menschen - ihren Helden kritiklos zujubeln, als seien sie
die Erlöser in einer verzweifelten Situation. Aber ich muss zugeben: ich
habe keine Ahnung, was diese Menschen umtreibt. Ist es die Angst vor
dem Abrutschen in das Prekariat? Ist es die Wut über eine angebliche
Ungerechtigkeit, die "kleine (deutsche) Leute" belastet und Migranten
bevorzugt? Ist es die Sehnsucht nach dem alten DDR-System, wo man sich auf die Strukturen verlassen konnte und kaum eigene Entscheidungen treffen musste? Oder sind sie schlichtweg selbstherrlich und wollen ihre
eigene Meinung anderen aufzwingen?
Als ich nach draußen komme, trommelt sich auf dem Vorplatz auch nach Stunden noch ein kleiner Haufen junger Demonstranten die Kälte aus den Knochen.